Eine Reise an die Originalschauplätze der Bauernkriege
Eine schmucke deutsche Altstadt zu besichtigen heißt immer auch, in die Geschichte einzutauchen. Man schaut sich Burgen, Schlösser, Kirchen, Rat- und Bürgerhäuser an, flaniert lustvoll über mittelalterliche Brücken und macht es sich in einem der Straßencafés auf dem historischen Marktplatz gemütlich. Kaum etwas fasziniert Städtetouristen mehr als die Zeugen der Vergangenheit, die freilich immer auch Zeugen der Macht, der Herrschaft und des Reichtums sind.
In Thüringen und Sachsen-Anhalt finden jetzt Landesausstellungen statt, bei denen auf die gern übersehene Rückseite des altstädtischen Glanzes aufmerksam gemacht wird – auf die Tatsache, dass dies alles ohne die Ausbeutung der Landbevölkerung nicht möglich gewesen wäre. Der Zeitpunkt ist nicht zufällig gewählt: In diesen Wochen jährt sich der Bauernkrieg zum 500. Mal.
Mühlhausen, Bad Frankenhausen und die Lutherstadt Eisleben stellen sich der Aufgabe, all jenen Sichtbarkeit zu verschaffen, die sich nicht ruhmreich im Stadtbild verewigen konnten. Womit indirekt an eine Frage erinnert wird, die längst wieder aktuell geworden ist: die nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit.
Mühlhausen: Verborgenes Juwel in Thüringen
Wüssten Städtetouristen, was sie dort erwartet, so würde Mühlhausen auf ihrer Wunschliste ganz oben stehen. Nicht nur, weil die ehemals freie Reichsstadt Highlights wie die Porta Nigra oder die Karlsbrücke bietet. Sondern auch, weil sie in einer mittelalterlichen Geschlossenheit erstrahlt, nach der man in vielen Städten der alten Bundesländer lange suchen kann. Vor allem aber, weil man die Sehenswürdigkeiten in aller Ruhe auf sich wirken lassen kann – ohne die Massen an Tagesgästen und Kurzurlaubern, die sich anderswo durch die Gassen schieben.
Es gibt im boomenden Deutschlandtourismus kaum ein unbekannteres Ziel als die zwischen Hainich und Kyffhäuser versteckte Marktsiedlung, die in ihrer Gründungszeit Mulinhuson hieß und im 14. Jahrhundert die achtgrößte Stadt Deutschlands war. „Lägen wir zwischen Frankfurt und Nürnberg, so würden wir uns vor Reisebussen kaum retten können“, sagt grinsend Marco Fongern, der mit dem „Brauhaus zum Löwen“ das Vorzeigehotel der Stadt leitet. „Auch Japaner und Chinesen würden hier dann Schlange stehen!“
Zu den baugeschichtlichen Trümpfen gehören nicht nur die fast vollständig erhaltene und begehbare Stadtmauer, sondern auch ein knappes Dutzend mittelalterliche Kirchen, von denen einige geradezu monumentale Ausmaße besitzen. Religiösen Zwecken dienen aber nur noch die wenigsten: Im selbst ernannten Arbeiter- und Bauernstaat DDR wurden sie als Lagerhallen und eine sogar als Autowerkstatt genutzt.
Während St. Jakobi inzwischen meisterhaft zu einer dreistöckigen Stadtbibliothek umgebaut wurde, beherbergt die im 13. Jahrhundert erbaute Klosterkirche St. Crucis heute das am reichsten ausgestattete Bauernkriegsmuseum Deutschlands. Im Inneren des Gotteshauses sollen die Aufständischen sogar ihre Waffen geschmiedet haben – nachdem sie die franziskanischen Bettelmönche aus der Abtei vertrieben hatten.
Eine Attraktion ersten Ranges ist auch die naheliegende Marienkirche. Sie prägt die Silhouette der Stadt, dient heute als Ausstellungsort und ist das zweitgrößte Kirchenbauwerk Thüringens nach dem Erfurter Dom. Im Januar 1525 kam es hier zu einem protestantischen Bildersturm, dem die gesamte Inneneinrichtung zum Opfer fiel.
Thomas Müntzer, der radikalste unter den Kirchenreformern, erhielt kurz darauf die Pfarrerstelle und dürfte für das Abräumen der katholischen Glaubenssymbole mehr als dankbar gewesen sein. Unter seiner Führung zogen im Mai dann Hunderte kampfbereite Bauern und Bürger in einem Dreitagesmarsch nach Frankenhausen, wo sich bereits mehrere Tausend Gesinnungsgenossen in einer Wagenburg verschanzt hatten.
Die Antwort der feudalen Machthaber ließ indes nicht lange auf sich warten: Am 15. Mai wurde die Bauernarmee von einem überlegen ausgerüsteten Söldnerheer eingekreist und vernichtend geschlagen. Thomas Müntzer entkam dem Gemetzel, wurde aber wenig später gefasst, nach Mühlhausen zurückgebracht, verurteilt und zusammen mit seinem Mitstreiter Heinrich Pfeiffer geköpft. Der Thüringer Bauernkrieg, der gerade erst begonnen hatte, fand damit auch schon ein jähes Ende – und hinterließ 6000 Tote auf dem Schlachtfeld.
Mühlhausen bekommt nun die Chance, seine Bekanntheit signifikant zu erhöhen: Die 36.000-Einwohner-Stadt an der Unstrut wird der zentrale Ort der am 26. April beginnenden Thüringer Landesausstellung „Freiheyt 1525“, für die alle Museen der Stadt freigeräumt wurden. Zu den Höhepunkten des Programms gehört es, ein mittelalterlich gekleidetes Bauernheer auf den Weg nach Frankenhausen ziehen zu lassen – nicht, wie heute üblich, mit kraftstrotzenden Traktoren, sondern mit Pferdewagen und Ochsenkarren.
Umgesetzt wurde zudem eine großartige Idee: In Albrecht Dürers erhalten gebliebener Proportionenlehre hat man den Entwurf eines Denkmals für die getöteten Bauern gefunden, den er nur wenige Monate nach der Niederschlagung der Revolte auf Papier gebracht hatte – und der zu seinen Lebzeiten niemals umgesetzt werden konnte.
Mithilfe großzügiger Spender bekam man das Geld tatsächlich zusammen, um eine solche Plastik anfertigen und aufstellen zu lassen. Für alle Zukunft wird sie an das einschneidendste Ereignis in der Stadtgeschichte Mühlhausens erinnern – ein Ereignis, das zugleich den Beginn der modernen Demokratiegeschichte markiert.
Bad Frankenhausen: Schräger als der Turm in Pisa
Das anerkannte Sole-Kurbad liegt etwa 50 Kilometer nordöstlich von Mühlhausen, ebenfalls in Thüringen. Die mittelalterliche Atmosphäre beschränkt sich hier auf zwei Straßenzüge, während der Anger, der geräumigste Platz des 8000-Seelen-Städtchens, lediglich als Abstellfläche für Autos dient.
Der Ort besticht aber durch eine wahrhaft großzügige Parkanlage, die sich bis zur markanten Ruine der Oberkirche hinaufzieht. Dass ihr Turm zum Wahrzeichen der Stadt werden konnte, ist leicht nachzuvollziehen: Er ist so schief, dass er sogar seinen berühmten Kollegen in Pisa in den Schatten stellt. Während dieser nur vier Meter aus dem Lot ragt, werden hier 4,93 Meter gemessen. Eine Million Euro musste investiert werden, um das Bauwerk zu sichern.
Die eigentliche Sensation befindet sich aber auf der Kuppe des Hausberges, an dem vor 500 Jahren die berühmteste Schlacht des deutschen Bauernkrieges stattgefunden hat. Die DDR-Führung sah in dem Ereignis die erste Station auf dem glorreichen Weg zu einer sozialistischen Politik, die Schluss machen wollte mit den Privilegien gesellschaftlicher Eliten.
Kein Wunder, dass rund um den 450. Jahrestag der Erhebung gegen die Fürsten und Pfaffen die Idee aufkam, einen Erinnerungsort zu schaffen, der alles bisher dagewesene in den Schatten stellt. Man entschied sich für einen weithin sichtbaren Rundbau, der den einzigen Zweck hatte, einem Monumentalgemälde von 14 mal 123 Metern Raum zu geben.
Den Auftrag bekam Werner Tübke, Rektor der Leipziger Kunstakademie. Weil die Herstellung eines Kunstwerks, in das die DDR-Regierung höchste Erwartungen setzte, schnell mal das Karriereende bedeuten konnte, hatte er keine Mitbewerber. Es gelang ihm, einen Vertrag mit der Kulturbehörde abzuschließen, der ihm freie Hand gab, seine ganz eigenen Vorstellungen zu verwirklichen.
Aus der beabsichtigten Heroisierung der Aufständischen zu frühsozialistischen Revolutionären ist so ein komplexes Historienbild geworden, dem Tübke den Titel „Der Weltlauf“ gab. Obwohl auch die Darstellung der Schlacht von Frankenhausen einigen Raum bekam, besteht das Werk vor allem aus Allegorien zur allgemeinen Condition Humana; es wird mit mehr als 3000 Einzelfiguren eine Welt gezeigt, die geprägt ist von Gewalt, Ungerechtigkeit und Unbill und deshalb dem Untergang geweiht ist. Die hymnische Bezeichnung als „Sixtina des Nordens“ wirkt allerdings etwas übertrieben.
Wer den Panoramaraum über die lange Treppe betritt, ist von der Wucht des monumentalen Kunstwerks überwältigt und weiß kaum, in welche Richtung zuerst geschaut werden soll. Dass man sich an die künstlerische Handschrift von Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel erinnert fühlt, ist natürlich kein Zufall. Bevor der Meister aus Leipzig den ersten Pinselstrich machte, widmete er sich ausgiebigen Studien über die darstellende Kunst des 16. Jahrhunderts. Ideologischer Ballast ist in diesem wahrlich meisterhaften Amphitheater nirgendwo zu erkennen, was das Kunstwerk umso sympathischer macht.
„Die Thüringer Landesausstellung ist ohne das Panoramabild undenkbar“, sagt Museumsleiter Gerd Lindner. Es gehört wohl tatsächlich zu den Zeugnissen der deutschen Kunstgeschichte, die man einfach mal gesehen haben muss. Es ist deshalb zu hoffen, dass in diesem Jahr mehr als die 80.000 Besucher gezählt werden, die in normalen Jahren auf den Frankenhauser Schlachtberg strömen.
Lutherstadt Eisleben: Schau im Sterbehaus
Von Kampfhandlungen auf Sachsen-Anhaltischem Boden ist nichts überliefert. Eisleben in ebenjenem Bundesland hat sich in Sachen Bauernkrieg aber trotzdem zu Wort gemeldet. Warum ist klar: Hier wirkte der Reformator, der die Auflehnung gegen die Katholische Kirche nicht nur überlebt, sondern der Reformation zum Durchbruch verholfen hatte: Martin Luther.
Zwar hielt er sich die längste Zeit seines Lebens in Wittenberg auf, im ebenfalls „Lutherstadt“ genannten Eisleben wurde er aber geboren und starb dort auch. Sein Sterbehaus dient der Landesausstellung „Gerechtigkeyt 1525“ nun als Ausstellungsraum. An hochrangigen Sehenswürdigkeiten gibt es in Eisleben ansonsten vor allem die St.-Andreas-Kirche, in der Luther seine letzten Predigten abgehalten hat.
Im Kontext der Bauernkriege an Luther zu erinnern, ist freilich etwas gewagt. Müntzer hatte ihn anfänglich noch verehrt, später dann aber als „sanftlebendes Fleisch aus Wittenberg“ verhöhnt. Er reagierte damit auf Luthers Kampfschrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“.
Statt sich mit den Aufständischen zu solidarisieren und Verhandlungen über ihren berechtigten Forderungskatalog anzumahnen, hatte er die Landesherren hier zum harten Durchgreifen ermuntert – was diese sich nicht zweimal sagen ließen. Kein Wunder, dass Friedrich Engels Luther später als „Fürstenknecht“ bezeichnen sollte.
Tipps und Informationen:
Anreise: Mühlhausen und Eisleben sind mit der Bahn gut erreichbar, etwa von Erfurt, Kassel oder Halle (Saale). Nach Bad Frankenhausen verkehren Busse von den Bahnhöfen Sondershausen und Heldrungen.
Unterkunft: Mühlhausen: Im Hotel „Brauhaus zum Löwen“ wird im Jubiläumsjahr ein spezielles Bauernkriegsbier gebraut, zudem gibt es regionale Spezialitäten wie Mühlhäuser Pflaumenmus, Doppelzimmer ab 75 Euro pro Person (goebel-hotels.com). Bad Frankenhausen: Das Hotel-Restaurant „Thüringer Hof“ bietet auch Arrangements mit Thermen-Besuch an, Doppelzimmer ab 65 Euro pro Person (thueringer-hof.com). Lutherstadt Eisleben: Das „Hotel Graf von Mansfeld“ liegt im historischen Zentrum, Doppelzimmer ab 60 Euro pro Person (hotel-graf-von-mansfeld.jimdosite.com).
Bauernkrieg: Der „Marsch der Bauern“ in historischen Kostümen startet am 8. Mai in Mühlhausen und endet am 11. Mai in Bad Frankenhausen. Die Schlacht zu Frankenhausen wird am 6./7. September nachgestellt. Am Himmelfahrtswochenende (29. Mai bis 1. Juni) feiert Mühlhausen das „Freiheitsfest 1525“. Monumentalbild Bad Frankenhausen, Eintritt 9,50 Euro: panorama-museum.de. Überblick: bauernkrieg2025.de (Thüringen); gerechtigkeyt1525.de (Sachsen-Anhalt).
Weitere Auskünfte: thueringen-entdecken.de; eisleben-erleben.de
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der Thüringer Tourismus Gesellschaft und der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.
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