„Wo kommen Sie her? Aus der Eifel? Aha, wo könnte die denn wohl sein?“ Es ist noch keine drei Jahrzehnte her, da musste man im Rest der Republik immer erst sehr weit ausholen, um die Lage der Eifel im Ungefähren zu beschreiben: „Mitten zwischen Aachen, Köln, Koblenz und Trier.“

Diese oberflächliche Einsortierung half meistens. Die Städte kennt man. Vom Kaiser Karl, vom Karneval, vom Deutschen Eck, 19 von der Porta Nigra. Dass es dazwischen noch etwas gab, hatte bislang noch nie jemanden sonderlich gestört.

Heute braucht es diese Lagebeschreibung kaum noch. Inzwischen ist die allabendliche Wetterkarte im Fernsehen deutlich kleinteiliger geworden, und als einer der westlichsten Zipfel unseres Landes findet die Eifel mittlerweile fast immer Erwähnung.

Hier kommt nämlich die folgenreiche Atlantikluft nach Deutschland hereingefegt, und die schnell wechselnden Warm- und Kaltfronten der Tiefdruckgebiete machen es oft ganz schön turbulent. Die Eifeler trifft es fast immer als Erste. In früheren Zeiten wurde gespottet, dass hier nicht nur die Wetterseiten der Häuser, sondern auch die Autos mit Eternitplatten verkleidet wurden.

Die Eifel war geschundenes Land

„Fängt hier die Eifel an?“, wird ein Reisender zitiert, der mit seinem Auto in einem Dörfchen anhielt, das sich auf bereits leicht ansteigendem Gelände befand. „Aber nein!“, entgegnete die grauhaarige Frau in der Kittelschürze entgeistert und streckte den Zeigefinger weit aus. „Da müssen Sie noch ein Dorf weiterfahren!“ Im nächsten und übernächsten Dorf dasselbe. Und auch im übernächsten.

Gut möglich, dass der Autofahrer so die gesamte Eifel durchquerte, ohne dass er es gemerkt hätte. Mit Städtern konnte man so was früher schon mal machen. Zur Eifel wollte man eben einfach nicht gehören. Die Region war alles andere als the place to be.

Sie hatte den wenig schmeichelhaften Titel „Preußisch Sibirien“ verliehen bekommen. Kalt war sie ganzjährig, und schneereich waren die langen Winter, mitunter bis in den Juni hinein. Felsige Böden, verheerende Missernten und große Hungersnöte führten Mitte des 19. Jahrhunderts zu enormen Auswanderungswellen. Man verließ die Eifel aus nackter Not.

„Der große Teil der Bevölkerung der tiefen Eifel schleicht umher mit eingeschwundenen Augen und hohlen Wangen, gelber, an den Knochen klebender Haut, unfähig zu Arbeit und Erwerb“, schildert Johann Joseph Görres, ein Publizist und Historiker aus Koblenz, Mitte des 19. Jahrhunderts das Elend der Bevölkerung.

Damit hat er wahrscheinlich kaum übertrieben, denn die Eifel war ein auf vielerlei Arten geschundenes Land. Was die Natur nicht zerstörte, machte der Mensch sich selbst madig. Im Dreißigjährigen Krieg und in den Kriegen Ludwigs XIV. hatte man verheerende Zeiten erlebt, die Hügel waren wegen des Erzbergbaus und einer flächendeckenden Abholzung zugunsten der Metallverhüttung faktisch kahl geschlagen.

Dazu kam das Erbrecht mit der praktizierten Realteilung, das sämtlichen Grundbesitz zwischen den zumeist zahlreichen Erben über nur wenige Generationen hinweg in immer kleinere Parzellen zerstückelte, deren Bewirtschaftung sich kaum noch lohnte.

Von der Not während der beiden Weltkriege und der jeweiligen Nachkriegszeit muss man in diesem Zusammenhang erst gar nicht mehr reden. Es waren Zigtausende, die zwischen 1840 und 1914 in mehreren großen Auswanderungswellen ihre Eifelheimat verließen. Ganze Dörfer verschwanden damals von der Landkarte.

Ein Turm für den Kaiser auf dem höchsten Berg

Dass die hauptsächlich protestantische Regierung sich nicht gerade durch eine überbordende Zuneigung zu dem stark katholisch geprägten „Armenhaus Preußens“ auszeichnete, mag der wenig schmeichelhafte Spruch „Die Eifel ist ein herrliches Jagdgebiet, nur schade, dass hier Menschen leben“, der Kaiser Wilhelm II. zugeschrieben wird, verdeutlichen. In anderen Quellen ist die Rede davon, dass es sein Sohn, der Kronprinz Friedrich Wilhelm war, der sich anlässlich eines Jagdaufenthalts zu dieser Sottise habe hinreißen lassen.

Nun ja, trotz solcher Frechheiten aus der Chefetage haben die Menschen, die hier bedauernswerterweise lebten, dem Kaiser anlässlich seiner Silberhochzeit den stattlichen Kaiser-Wilhelm-Turm auf den höchsten Berg, die Hohe Acht, gepflanzt.

Sie bauten ihm eine prunkvolle evangelische Erlöserkirche in Gerolstein, unter Verwendung von rauen Mengen Blattgold, 24 Millionen Mosaiksteinchen und dem ersten elektrischen Licht der Stadt. Zur Einweihung im Jahr 1913 reiste der Monarch mit eigenem Zug und großem Gefolge an.

„Wir kommen aus bei Köln“

In seinem faszinierenden Dokumentarfilm „Ein trefflich rauh Land“ aus dem Jahr 1986, dessen Titel einem Zitat des Kosmografen Sebastian Münster aus dem Jahr 1544 entlehnt wurde, beobachtet der in Kronenburg lebende Filmemacher Dietrich Schubert ein ganzes Jahr lang ungeschminkt und völlig ohne romantische Verklärung den landwirtschaftlichen Alltag in der Schnee-Eifel.

Bei seiner Erstausstrahlung im Jahr 1987 sorgte sein Film für große Empörung. Die Touristiker heulten und knirschten mit den Zähnen und traktierten die ARD mit geharnischten Beschwerdebriefen. Die Eifel brauche ein positives Image, so forderten sie.

Man verkannte Schuberts Motive und betrachtete ihn als eine Art Nestbeschmutzer, der sich auf Kosten seiner Wahlheimat profiliert und die Eifeler als rückständig vorführt. Wer den Film aber heute anschaut, erlebt ihn als das, was er ist: ein ehrliches Porträt ohne die gefällige Reisefilmweichzeichnung, eine Verbeugung vor der Leistung der Bevölkerung einer klimatisch anspruchsvollen Region.

Selbst die Bewohner meiner Heimatstadt Euskirchen erklärten zu dieser Zeit im Urlaub ihren Strandnachbarn noch gerne: „Wir kommen aus bei Köln“, und im Spielfilm „Kohlhiesels Töchter“ aus dem Jahr 1962 gibt es eine Szene, in der eine Fabrikantengattin angesichts der gesalzenen Schweizer Grundstückspreise zur anderen sagt: „Bauen Sie doch in der Eifel, wenn Sie sich’s hier nicht leisten können.“

Das Bild von Armut, Zurückgebliebenheit und Ödnis haftete der Region sehr lange an. Aber das alles ist Geschichte. Man kann die Eifel zwar immer noch nicht als den Nabel der Welt bezeichnen, aber mein verstorbener Freund und Kollege, der Krimiautor Jacques Berndorf, hat einen unvergessenen Satz geprägt: „Die Eifel ist der schönste Arsch der Welt.“ Solche prägnanten Statements haben nachhaltig mitgeholfen, das Image der Region aufzupolieren. Kein Renommiergehabe, nicht mehr Schein als Sein …

Man pflegt heutzutage ein gesundes Selbstbewusstsein. Die Eifel hat sich mit dieser aufrichtigen Art zur äußerst beliebten Urlaubsregion gemausert. Und selbst die rundherum angesiedelten Flachländer behaupten heute breitbrüstig: „Hier bei uns ist das Tor zur Eifel!“ Wir lassen sie in dem Glauben. Mir könne jönne.

Der Text ist ein Auszug aus der gerade erschienenen „Gebrauchsanweisung für die Eifel“ von Ralf Kramp, Piper Verlag, 224 Seiten, 16 Euro, piper.de.

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