„In Marokko muss man den Dicken machen“
Helge Timmerberg hat einen Benz geerbt, Baujahr 2002. Für einen Gonzo-Journalisten, der Reisen wie Rock’n Roll-Touren zelebriert, ist der E 220 CDI Elegance wie ein Versprechen auf ewige Jugend. Beste Voraussetzungen also für einen Roadtrip nach Marokko. Gerade erschien sein Buch zur Reise, wir trafen ihn vorab zum Gespräch.
WELT AM SONNTAG: Als Sie 2008 Ihren Bestseller „In 80 Tagen um die Welt“ veröffentlichten, war der alternative Buchtitel „In 80 Frauen um die Welt“ noch frei. Sind Sie im Rückblick froh, nicht selbst auf diesen Buchtitel gekommen zu sein, immerhin kostete er Thilo Mischke vor Kurzem den Job als Moderator von „Titel, Thesen, Temperamente“?
Helge Timmerberg: Ein Buch sollte halten, was der Titel verspricht. Und Mischkes Titel wäre mir ein bisschen zu sportiv.
WAMS: Echt jetzt? Immerhin nahmen Sie 30 Beutel Testosteron-Gel auf die Marokko-Tour mit. Warum eigentlich?
Timmerberg: Seit meiner Pubertät gehörte zu jeder Traumreise auch der Traum, die Liebe am Wegesrand zu finden, egal welche, die große, die mittlere, die kleine, bis runter zur one night affair, alles ist willkommen auf Traumreisen, und auch wenn nichts davon passiert, träumt man weiter, bis der Hormonspiegel sinkt. Und dann plötzlich Rock the road in den Wechseljahren! Wie sieht er aus, der Anfang nach dem Ende? Geht man da ins Museum statt in Clubs? Ich nicht.
Ich schwärme von Parkplätzen. Und damit das aufhört, habe ich sieben Tage mal Testosteron probiert. Und Folgendes festgestellt: Es macht nicht nur Lust auf Sex. Es treibt alle möglichen Lüste an. Die Lust, nach vorn zu gehen, die Lust, sein Ding zu machen, die Lust am Spiel, die Lust am Wettkampf, die Lust am Leben – alles wieder da, als wäre nichts gewesen, und etwa bei diesem Kenntnisstand stellt sich auch die Lust auf Rock the road wieder ein.
WAMS: Für solche Sätze wurden andere schon als Sexisten verurteilt.
Timmerberg: Mag sein. Aber wenn ich vor einem spektakulären Sonnenuntergang sitze, und hinter mir sitzt eine spektakuläre Frau, dann würde ich mich umdrehen. Warum? Weil ich ein Mann bin. Einen schönen Himmel genießen Männer mit Geist und Seele, eine schöne Frau auch, aber sie sehen wir noch dazu mit unseren Hormonen an. Das ist nicht sexistisch, das ist nur ganzheitlicher. Und damit überzeugender.
WAMS: Schließt Ihr ganzheitlicher Reiseansatz auch das Auto ein? Das heißt, haben Sie Ihren alten Benz für den Roadtrip gen Süden noch etwas aufgepimpt?
Timmerberg: Der Benz, obwohl schon über 20 Jahre alt, sieht immer noch nach einer Karre aus, mit der man erhobenen Hauptes vor einem Hotel parken kann. Zusätzlich habe ich ihm mit ein paar Beulen und Schrammen eine Charakterkarosserie verpasst und kam damit auch überall gut an.
In Marokko muss man den Dicken machen. Wenn die Straßen so voll sind wie in Tanger, gewinnt nicht der Schnellere, sondern der Größere, weil er stärker aussieht, und es empfiehlt sich in jedem Fall, seine Klasse mental ein bisschen upzugraden. Einen Kleinwagen wie einen SUV zu fahren oder einen Benz wie einen Bus. Und auch die Beulen am Mercedes forderten Respekt ein, weil sie Gewaltbereitschaft signalisierten.
WAMS: Das klingt nach Straßenkampf. Dabei hatten Sie die Fahrt, wie Sie im Klappentext schreiben, doch als Genussreise geplant.
Timmerberg: Stimmt, so war der Plan, aber ich habe ihn schon nach zwei Tagen aufgeben müssen.
WAMS: Lassen Sie mich raten, das Navi führte Sie in die Irre und statt zu einer Klippe mit spektakulärem Sonnenuntergang lotste es sie zu einem vermüllten Aussichtspunkt?
Timmerberg: Nein, viel profaner. Ich hielt mich nicht an meine eigenen Regeln, die da waren: Erstens, fahre nie länger als vier Stunden; zweitens, fahre nie in der Dunkelheit; drittens, gehe am Ende jeder Etappe 10.000 Schritte. Doch meistens fuhr ich deutlich länger, kam erst weit nach der Dämmerung an und wollte dann statt 10.000 Schritte gehen nur noch Bier, Bier, Bier.
WAMS: Man verrät nicht zu viel aus Ihrem Buch, wenn man sagt, dass Sie trotz aller Regelbrüche mit Ihrem Benz wieder heil nach Hause zurückgekehrt sind. Also Ende gut, alles gut?
Timmerberg: Mir blieb gar nichts anderes übrig, als das Auto heil heimzubringen. Zum Schutz der eigenen jungen Fahrzeugindustrie verpflichtet die marokkanische Regierung Europäer neuerdings dazu, ihre Autos, wenn sie älter als fünf Jahre sind, nach dem Roadtrip wieder auszuführen. Selbst nach einem Unfall mit Totalschaden.
Und das ist schon ziemlich mies von den Marokkanern, denn sie wissen ja genau, was auf ihren Straßen los ist. In Casablanca hält man für Blechschäden nicht mal mehr an. Das Ergebnis kann man dann im Hafen von Tanger sehen, wo tonnenschwere Schrottklumpen mit holländischem Nummernschild auf ihre Ausreise warten.
WAMS: Was hat sich noch so verändert, seit Sie in den 1990er-Jahren einige Jahre in Marrakesch gelebt haben?
Timmerberg: Es gibt mehr Autobahnen als damals, und sie sind besser als die deutschen. Trotzdem ist Diesel noch immer billig. Und in den Basaren holen einen die Händler nicht mehr auf eine Art in ihre Läden, die an Freiheitsberaubung erinnert. Das sind gute Entwicklungen.
Bei den jungen Marokkanern hat Englisch mittlerweile Französisch als Zweitsprache abgelöst. Das ist auch gut, denn obwohl ich zehn Jahre in Marrakesch gelebt habe, beherrsche ich summa summarum heute nur noch zwei Sätze auf Französisch: „Ce n’est pas très amusant“ (das ist nicht sehr amüsant) und „Manger en terrasse“ (Essen auf der Dachterrasse).
WAMS: Ist Marrakesch für einen Hippie damit überhaupt noch das Paradies auf Erden?
Timmerberg: Kommt drauf an, wie viel Geld der Hippie hat. Und wie viel Gesellschaft er mag. Obwohl Marrakesch nicht am Meer liegt und damit unerreichbar für Kreuzfahrtschiffe ist, hat sich der Massaker-Tourismus auch in 1001 Nacht breitgemacht. Und noch etwas (falls der Hippie kifft): Cannabis ist mittlerweile in Deutschland legal, in Marokko noch immer nicht. Die Paradiese verschieben sich.
WAMS: Jetzt verstehe ich, warum sich im ganzen Buch keine hippiesken Fotos von Ihnen finden.
Timmerberg: Die gibt es auch in früheren Büchern nicht. Ich bin kein Fotograf, sondern ein Mann, der die Hoffnung nicht aufgeben kann, dass ein Satz mehr sagt als 1000 Fotos.
WAMS: Wie Sie das so sagen, müssen Sie jetzt bitte auch ein schönes Satzbeispiel liefern.
Timmerberg: „Ich bin froh über dein Muttermal, es macht deine Schönheit erträglicher.“ Dieser Satz galt einer Flamenco-Tänzerin in Granada.
WAMS: Und nun noch ein romantischer Satz über Ihren Benz.
Timmerberg: Kumpel Benz kriegt den Zündschlüssel reingesteckt.
WAMS: Das ist alles?
Timmerberg: Und umgedreht. Ganz langsam. Vorfreude heißt bei ihm Vorglühen.
WAMS: Wirklich schön, wie Sie Ihren Benz preisen. Apropos, wenn Sie frei von automobilen Erblasten wie dem Benz wären und über unbegrenzte Geldmittel verfügten, was wäre Ihr Traumauto für Touren abseits befestigter Pisten?
Timmerberg: Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Das müsste ich recherchieren. Will es aber nicht. Außerdem geht’s dabei auch nicht zu knapp um meinen Vater. Der Benz ist das Letzte, was ich von ihm habe. Und auch das Beste. Treu wie ein Hund und so stark wie 130 Pferde. Nur eines würde ich mir wünschen.
WAMS: Und das wäre?
Timmerberg: Als mein Vater den Wagen damals kaufte, hatte er die Wahl zwischen einem Kassettenrekorder und einer CD-Anlage – und er entschied sich gegen das neumodische Zeug. Wenn ich diesbezüglich in der Gegenwart andocken könnte, wäre mein Traum schon erfüllt.
WAMS: Ich gehöre auch zur Boomer-Generation und bekam von meinem Vater ein Auto geschenkt – einen Opel Vectra B von 1999. Welche Ratschläge geben Sie mir, wenn ich Ihren Spuren folgen möchte?
Timmerberg: Aus touristischer Sicht lohnen sich Städte wie Genua, Barcelona, Valencia und Granada, die allesamt an Ihrer Route liegen werden, sicherlich, denn ihre Schönheit ist ewig, aber als Automobilist interessiert Sie das wenig, da zählen nur noch die Ansprüche des Straßenverkehrs. Und die sind beträchtlich. Aber spätestens, wenn Sie mit ihrem Opel Vectra B in Tanger und Marrakesch unterwegs sind, werden Sie sich nach den südeuropäischen Rushhours zurücksehnen.
WAMS: Fällt wenigstens der Strafzettel bei Geschwindigkeitsüberschreitungen in Marokko niedriger als in Europa aus?
Timmerberg: Schwer zu sagen. Für 20 Stundenkilometer zu viel sollte ich in Marokko einen Haufen Dirham zahlen. Der freundliche Polizist ließ sich dann aber auf die Hälfte runterhandeln. Nicht von mir, er handelte sich selbst runter. Erst sagte er 350 Dirham. Ich sagte nichts. Dann sagte er, okay, 175, weil du Tourist bist.
WAMS: Und wie vermeide ich es, unterwegs ausgeraubt zu werden?
Timmerberg: Indem Sie meinen Fehler nicht wiederholen.
WAMS: Erzählen Sie!
Timmerberg: Es war an einem Rastplatz in Spanien, 60 Kilometer vor Valencia. An der Air Station hinter der Tanke überprüfte ich den Reifendruck. Vorne fehlte nichts, aber der Reifen hinten links brauchte mehr Luft. Ein weißer BMW stoppte derweil ein paar Meter entfernt. Einer der drei Insassen sprang heraus und lief mit einer aufgeklappten Straßenkarte auf mich zu, während der BMW langsam weiterrollte. Als der Mann bei mir war, hielt er die Karte direkt vor mein Gesicht und fragte nach dem Weg nach Barcelona.
Danach eilte er zum BMW zurück, der mittlerweile neben meinem Auto stand. Kaum war er drin, gaben sie dermaßen Gas, dass man sich unwillkürlich fragte, warum? Die Frage beantwortete ein Blick auf den Beifahrersitz. Mein Rucksack war weg. Und damit so ziemlich alles: Ausweis, Führerschein, Autopapiere, Kreditkarten, Laptop, Handy … Plötzlich hatte ich nur noch 50 Euro und einen vollen Tank. Wie weit komme ich damit auf meinem Weg in den Süden? Und was ist wichtiger? Essen oder Zigaretten? Das sind essenzielle Fragen für einen aus seiner Komfortzone gefickten Automobilisten.
WAMS: Warum haben Sie nach diesem Überfall die Tour nicht abgebrochen?
Timmerberg: Weil erst mit dem Überfall das wahre Roadmovie begann.
Helge Timmerberg – Journalist und Schriftsteller:
Weitgereist, erfolgreich, kreativ: Mit 17 war er in einem indischen Ashram und wartete auf Erleuchtung, als eine innere Stimme zu ihm sagte: „Werde Journalist“. Daran hielt sich der inzwischen 73-Jährige. Er pflegt einen stark subjektiven Erzählstil, bei dem die Objektivität schon mal zugunsten fiktionaler Verdichtung in den Hintergrund rückt.
Sein neues Buch „Bon Voyage. Mit Papas Benz bis nach Marokko“ (240 Seiten, 22 Euro) ist gerade bei Malik erschienen.
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