Wenn Naturschutz den „geborenen Verkehrsträger für die Energiewende“ ausbremst
Auf deutschen Verkehrswegen ist noch Platz. Zwar kaum auf den Autobahnen, wo die Zahl der Staus im vergangenen Jahr mal wieder gestiegen ist, ebenso wenig auf der Schiene, wo ein Rückgang der Verspätungen und Zugausfälle nicht abzusehen ist. Aber auf dem Wasser. „Da ist noch Kapazität frei“, sagt Eric Oehlmann, Leiter der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt des Bundes, und verweist auf den Rhein. Dort sei „eine Verdoppelung der zu transportierenden Mengen problemlos möglich“.
Der Nachhaltigkeit käme es zweifellos zugute, wenn auf dem Rhein und den anderen deutschen Binnenwasserstraßen mit einer Gesamtlänge von knapp 7500 Kilometern mehr Güter transportiert würden: Ein Binnenschiff ersetzt bis zu 150 Lkw, die Energiebilanz ist der des Straßensektors deutlich überlegen. Und weil die bestehenden Flüsse und Kanäle nicht ausgelastet sind, bedarf es bei ihnen keiner weiteren Landschaftszerstörung durch Neubauten.
Doch die ungenutzte Kapazität dürfte bis auf Weiteres ungenutzt bleiben. Das Güteraufkommen auf den Wasserstraßen sinkt seit Jahren, erreichte 2024 mit 173,8 Millionen Tonnen den zweitniedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Laut der jüngsten Verkehrsprognose des Bundesverkehrsministeriums soll die Transportleistung, gemessen in Tonnenkilometern, in dem Sektor bis 2040 um weitere sieben Prozent zurückgehen. Der ohnehin geringe Anteil der Wasserstraßen am Güterverkehr würde sich dann auf nur noch gut fünf Prozent verringern. Vorhergesagt wird das vor allem deshalb, weil in Deutschland immer weniger Kohle und Erze – klassische Transportgüter der Binnenschifffahrt – gebraucht werden.
Doch ließen sich auf dem Wasser auch andere Güter transportieren, sagt Oehlmann. So sei „das Binnenschiff der geborene Verkehrsträger für die Energiewende und der Kreislaufwirtschaft, weil unter anderem größere Mengen Abfälle, Schrott und Recyclingmaterial klimaschonend transportiert werden können“. Hinzu kämen „im Rahmen der Energiewende neue Gütergruppen wie Wasserstoff und Ammoniak“. Auch für den Transport von Baumaterial wie Kies, Sand oder Steine seien Schiffe ideal. „Wenn also jetzt überall mehr gebaut werden soll, könnten Schiffe die Versorgung der Baustellen gewährleisten.“
Damit das gelingen kann, müssten an den bestehenden Wasserstraßen überall die Schleusen und Fahrrinnen für zügige Transporte ertüchtigt werden. Hier gebe es einen „unglaublichen Investitionsstau“, sagte Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt, bereits vor gut einem Jahr laut der Website vergabeblog.de bei einer Anhörung im Bundestags. Schwanen sieht einen jährlichen Investitionsbedarf von 2,5 Milliarden Euro. Tatsächlich bereitgestellt werden seit Längerem nur jeweils Beträge von weniger als einer Milliarde. „Der Investitionsbedarf für Erhalt und Ausbau der Wasserstraßeninfrastruktur ist seit Jahren deutlich höher als die getätigten Ausgaben“, kritisierte schon 2023 die Initiative System Wasserstraße, ein Zusammenschluss zahlreicher Wirtschaftsverbände.
Zwar findet Oehlmann die Lage weniger beklagenswert: „Von einem Sanierungsstau bei den Wasserstraßen lässt sich insofern nicht sprechen, als sie bei der Funktionsfähigkeit im Vergleich zu Straße und Schiene sehr gut dastehen. Sie sind übers Jahr zu 98 Prozent für die Schifffahrt verfügbar.“ Aber auch Oehlmann gibt zu, dass seine für Bau und Unterhalt zuständige Generaldirektion des Bundes deutlich mehr Geld gebrauchen könnte. Man könne pro Jahr „gut 2,5 bis drei Milliarden Euro“ in Projekte stecken. Flösse das Geld, könne man übers Reparieren hinaus „die Optimierung der Wasserstraßen“ in größeren räumlichen Zusammenhängen und über einen längeren Zeitraum planen und umsetzen.
Höhere Naturschutz-Hürden als bei Straße und Schiene
Doch selbst wenn hierfür die künftige Regierung Investitionsmittel in der gewünschten Höhe bereitstellen sollte – etwa mithilfe des schuldenfinanzierten Sondervermögens –, dürften es nur wenige Vorhaben geben, die sich rasch verwirklichen lassen. Das liegt vor allem an einem speziellen Aspekt der Nachhaltigkeit, dem Landschafts- und Naturschutz, der in diesem Bereich für noch viel höhere Hürden sorgt als beim Straßen- oder Schienenausbau.
Ein Beispiel ist das schier endlose Projekt der sogenannten Abladeoptimierung am Mittelrhein. Zwischen Budenheim bei Mainz und St. Goar sollen Felsen im Fluss so abgefräst werden, dass die Fahrrinne 20 Zentimeter tiefer wird als heute, zudem sollen Buhnen-Konstruktionen mehr Wasser durch die Fahrrinne leiten. Das würde einen besseren Gütertransport auch bei niedrigeren Wasserständen gewährleisten.
Alle Industrieverbände entlang des Rheins befürworten das Projekt; 2022 forderten es auch die damaligen drei Verkehrsminister der Grünen in den Bundesländern Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Weil es aber um einen Fluss mit erheblicher Artenvielfalt in einer Welterbe-Region geht, zwangen Umweltverbände, Landschaftsschützer und Anrainer-Kommunen die Generaldirektion des Bundes zu immer neuen Umplanungen. Ob und wann das Vorhaben vollständig verwirklicht wird, ist offen.
Oehlmann hat für jene Einwände grundsätzlich Verständnis. „Wasserstraßen sind im Unterschied zu Straße und Schiene Lebensräume vieler Tiere und Erholungsraum für die Menschen. Nicht nur in den Flüssen, sondern auch an Kanälen wie dem Mittellandkanal leben viele verschiedene Arten von Fischen und Muscheln. Hinzu kommen all die Tiere und Pflanzen an den Ufern, und insgesamt gehören fast alle Wasserstraßen zu naturnahen Lebensräumen mit hohem Freizeitwert für viele Menschen.“ Daher gehe man „sehr sorgfältig und ressourcenschonend“ vor.
Doch immer wieder gebe es Fälle, bei denen die Planungen erheblich erschwert würden. „Auch weil das Planungs- und Genehmigungsrecht in Deutschland sehr komplex ist“, sagt Oehlmann. So komme es zu lange Verfahrenszeiten, die dann wiederum „auf wenig Verständnis“ bei den Bürgern oder der Industrie träfen.
Sehr lange gedauert hat alles auch bei einem Vorhaben, dessen Name eigentlich besagt, dass es längst fertig sein sollte. Gemeint ist das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 17, das via Havel und Spree die Hauptstadt Berlin und Brandenburg mit der Oder-Region sowie Sachsen-Anhalt an das westdeutsche Wasserstraßennetz Richtung Rhein und Nordsee anschließen soll. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung befindet sich das Projekt jetzt immerhin in der Nähe der Fertigstellung: In den nächsten Wochen beginnt die Anpassung der Havel-Fahrrinne rund um die Stadt Brandenburg.
Aber um die Bauarbeiten in der landschaftlich reizvollen Gegend mit vielen wertvollen Naturräumen ausführen zu können, mussten zahlreiche Kompromisse mit Umweltschützern und regionalen Tourismusvertretern geschlossen werden. So werden auf jenem Havel-Abschnitt nach Abschluss der Arbeiten zwar etwas größere Schiffe fahren können, aber sie müssen künftig „Einschränkungen in Form von Begegnungs- und Geschwindigkeitseinschränkungen in Kauf nehmen“, wie das Wasserstraßen-Neubauamt Berlin im Januar 2025 mitteilte.
Dass gerade bei den Wasserstraßen sehr viele Vorhaben schier endlos infrage gestellt werden, hält Oehlmann für einen Ausdruck fehlgeleiteter Debattenkultur, bei der an jedem Einzelfall stets von Neuem alles Allgemeine diskutiert werde: „Mein Eindruck ist, dass wir in Infrastrukturprojekten regelmäßig gesellschaftliche Fragestellungen wir die Energie- oder Verkehrswende neu und grundsätzlich diskutieren. Es gibt ganz offensichtlich sehr differenzierte Vorstellungen zu diesen Ansätzen, und es scheint an einem belastbaren gesellschaftlichen Konsens zu fehlen.“
Das sei eine deutsche Besonderheit, meint Oehlmann und verweist auf das in Ausführung befindliche Straßen- und Schienenprojekt des Fehmarnbelt-Tunnels durch die Ostsee zwischen Dänemark und Deutschland: „Auf dänischer Seite waren kaum Einwände zu verzeichnen. Auf deutscher Seite hat dasselbe Projekt zu deutlich größeren Einwendungszahlen im Bereich von mehreren Tausend geführt.“ Offensichtlich gebe es in Dänemark anders als in Deutschland „einen belastbaren gesellschaftlichen Konsens, wie die Mobilität der Zukunft aussehen soll“.
Dieser Artikel ist im Rahmen der BETTER FUTURE WEEK von WELT erschienen.
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