Polizei warnte Berliner Ämter bereits 2024 vor Messerangreifer Shadi S.
Bereits am 7. Mai 2024 hatte die Berliner Polizei auf die Gefährlichkeit des Syrers Shadi S. in zwei gleichlautenden Schreiben an die sozialpsychiatrischen Dienste der Berliner Bezirke Pankow und Steglitz-Zehlendorf hingewiesen. Wörtlich hieß es in den Schreiben, deren Inhalt WELT bekannt ist, dass es „konkrete Hinweise auf eine akute Eigen- und Fremdgefährdung“ gebe. Die Polizei warnte insbesondere vor einer Kombination aus paranoiden Wahninhalten, hoher Impulsivität, einer Neigung zu plötzlicher körperlicher Gewalt sowie einer tief sitzenden Aggression gegenüber staatlichen Autoritäten, insbesondere Polizistinnen und Polizisten.
Der Bericht wurde vom Staatsschutz des Landeskriminalamtes verfasst. Die Ermittler prüften nämlich, ob es sich bei dem Syrer aufgrund früherer „tiefgreifender Kontakte“ um einen Islamisten handeln könnte. Die Beamten berieten sich sogar mit Islamwissenschaftlern, stuften Shadi S. aber nicht als religiös oder politisch motiviert ein. Hinweise auf eine geschlossene islamistische Gesinnung konnten trotz anfänglichen Verdachts demnach nicht belegt werden, jedoch eine wertekonservative Glaubensauffassung.
So habe der Syrer etwa geäußert, dass er Personen unmittelbar angreifen werde, die in seiner Gegenwart den Koran verbrennen oder Mohammed-Karikaturen zeigen würden. Die Sicherheitsbehörden kamen jedoch zu dem Schluss, dass es sich bei diesen Äußerungen eher um religiös verbrämte Ehrverletzung handelt und S. mit solchen religiösen Aussagen eher kokettierte.
Vielmehr sei die Gewaltbereitschaft persönlich motiviert: Er empfinde behördliches Handeln oft als Ehrverletzung, neige zur Eskalation in Konflikten und zeige eine niedrige Frustrationstoleranz. Eine „erhebliche Fremdgefährdung“ bei subjektiv empfundenen Ehrverletzungen könne laut Polizei nicht ausgeschlossen werden.
Beamte wurden bereits 2022 angewiesen bei einem Aufeinandertreffen auf ihre Eigensicherheit zu achten
Dass die Gefahr nicht neu war, zeigt auch ein weiteres Dokument, dessen Existenz WELT bekannt ist: Aus einer Personenfahndung der Bundespolizei aus dem Jahr 2022 geht hervor, dass die Beamten bereits damals angewiesen wurden, bei einem Aufeinandertreffen mit Shadi S. besonders auf ihre Eigensicherung zu achten. In der Einschätzung hieß es, er sei gewalttätig, zeige einen pathologischen Hass auf Amtsträger und es sei nicht auszuschließen, dass er Verbindungen zur salafistischen und islamistischen Szene unterhalte.
Trotz dieser deutlichen Warnungen reagierten die zuständigen Stellen nicht. Dominique Krössin, Bezirksstadträtin für Soziales und Gesundheit in Pankow, bestätigte WELT auf Nachfrage, dass der Hinweis der Polizei aus dem vergangenen Jahr bekannt sei. Man prüfe derzeit, was mit dem Schreiben geschehen ist. Auch Gespräche mit Mitarbeitern würden geführt. In Steglitz-Zehlendorf erklärte Bezirksstadträtin Carolina Böhm, dass dem dortigen sozialpsychiatrischen Dienst das Schreiben ebenfalls vorliege. Einen Kontakt zu Shadi S. habe es aber nie gegeben. Warum nicht, konnten weder Böhm noch Krossin auf Nachfrage sagen. Der Fall werde nun intensiv aufgearbeitet.
Dabei war Shadi S. längst kein Unbekannter mehr: WELT-Recherchen hatten erstmals öffentlich gemacht, dass der Syrer bereits im Februar 2022 seiner Schwester in Chemnitz mit einem Küchenmesser in den Oberschenkel gestochen hatte, weil sie ihm den Zugriff auf ihr Handy verweigerte. Bei der Festnahme verletzte er einen Polizisten schwer. Während der Untersuchungshaft bedrohte er Mitgefangene und kündigte massive Gewalt bei seiner Gerichtsverhandlung an. Im März 2023 verurteilte ihn das Landgericht Chemnitz dennoch lediglich zu zwei Jahren auf Bewährung.
Auch in Berlin und Brandenburg fiel Shadi S. immer wieder auf: Verurteilungen wegen Beleidigung, Körperverletzung, Bedrohung, Drogenbesitzes und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte summierten sich. Die Amtsgerichte Berlin-Tiergarten, Fürstenwalde/Spree, Neuruppin und Dresden führten entsprechende Verfahren – allein in einem Fall aus 2021 wurde er zu 120 Tagessätzen verurteilt, im Februar 2024 erneut zu derselben Strafe.
Nach mehrfachen Verstößen gegen seine Bewährungsauflagen stellte die Staatsanwaltschaft Chemnitz im Dezember 2024 beim Landgericht Berlin den Antrag, die Strafaussetzung zu widerrufen und einen Sicherungshaftbefehl zu erlassen. Der Antrag traf im März 2025 ein. Nur wenige Wochen vor der Tat am Abend des 12. April 2025.
In der U-Bahnlinie U2 am Bahnhof Sophie-Charlotte-Platz griff Shadi S. den 29-jährigen Fitnesstrainer Steve H. mit einem Küchenmesser an und verletzte ihn tödlich. Auf der Flucht wurde er von der Polizei gestellt. Als er mit dem Messer auf die Beamten losging, schossen sie viermal. Shadi S. erlag später seinen Verletzungen.
Shadi S. war seit 2016 als Flüchtling anerkannt und besaß eine Aufenthaltserlaubnis bis Oktober 2025. Trotz seiner kriminellen Karriere wurde keine Abschiebung geprüft. Als erste Konsequenz plant der Berliner Senat nun ein Waffen- und Messerverbot im gesamten öffentlichen Nahverkehr, einschließlich U- und S-Bahnen, Trams, Bussen und Bahnhöfen.
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