Als Jesus von Nazareth am Vorabend seiner Hinrichtung seine Jünger in Jerusalem zum letzten Abendmahl versammelte, war die Kirchenspaltung bereits in vollem Gange. Wollte Jesus, der Mann aus Galiläa, doch eigentlich das Judentum reformieren und keine neue Kirche gründen, hatten seine Anhänger schon damals viele unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die frohe Botschaft verbreitet werden sollte.

In den vergangenen zwei Jahrtausenden hat sich das fortgesetzt. Mehrere katholische und orthodoxe Kirchen, unzählige evangelische Spielarten, Sekten und Splittergruppen haben sich im Laufe der Jahrhunderte gebildet und entwickelt. Nun rücken – ausgerechnet an dem Ort, an dem die Spaltung begann – die Kirchen wieder enger zusammen. Von einer neuen Ökumene ist die Rede, von Annäherungen, die lange für unmöglich gehalten wurden. Der Lateinische Patriarch Kardinal Pizzaballa bezeichnete Jerusalem kürzlich gegenüber WELT als „ein Modell für die Ökumene“.

1700 Jahre nach dem ersten ökumenischen Konzil in Nicäa fallen nach langer Zeit erstmals wieder die christlichen Feiertage im orthodoxen und im westlichen Kalender zusammen. Ostern und damit die Auferstehung Jesu Christi werden in diesem Jahr von allen Christen auf der Welt am gleichen Tag gefeiert.

WELT hat Abt Nikodemus Schnabel von der Benediktinerabtei Dormitio und Propst Joachim Lenz von der evangelischen Erlöserkirche getroffen. Sie sind die beiden wichtigsten deutschen Vertreter im christlichen Jerusalem. Sehen Sie hier das Video des kompletten Gesprächs.

„Wir leben hier. Die Mönche lebenslang, wir auf Jahre, unsere Gemeinde auf Jahrzehnte. Es gibt eine enge ökumenische, evangelisch-katholische Verbindung, für die wir sehr, sehr dankbar sind“, sagt Propst Joachim Lenz. „Dazu sind wir umgeben von all den anderen Kirchen, die in Jerusalem sind – drei Patriarchen, mehreren Erzbischöfen, Bischöfen – und dann der deutsche Abt, der deutsche Propst, die im Konzert der Ökumene versuchen, mitzureden.“ Die Christen hätten während Corona gelernt, dass sie enger zusammenrücken können, nicht nur müssen. „Wir haben uns auf der nachbarschaftlichen, freundschaftlichen Ebene aneinander angenähert.“

Abt Nikodemus sagt: „Was wir erleben, ist ein wirklich immer engeres Miteinander, ein Zueinander. Wir sind nicht die feine schöne Ökumene der Denkfabriken in Rom, Wittenberg oder in den USA. Die sind wie der Opernball. Wir in Jerusalem dagegen tanzen auf der Straße. Wenn ich hier sage, Katholiken dürfen nur Katholiken heiraten, wird bei ein bis zwei Prozent Bevölkerungsanteil der Christen hierzulande der Heiratsmarkt noch kleiner, als er ohnehin schon ist.“

Der Krieg in Gaza und Corona haben Dinge möglich werden lassen, die vorher weit entfernt schienen. „Seit dem 7. Oktober 2023, dem Überfall der Hamas auf Israel und dem Ausbruch des Krieges, kommt zum ersten Mal seit 1000 Jahren der griechisch-orthodoxe Patriarch in einen westlichen Gottesdienst. Das war bis dahin unvorstellbar“, sagt Joachim Lenz. „Wir machen ja auch keine Ökumene in einem luftleeren Raum. Wir sind umgeben von zwei großen, sehr selbstbewussten Religionsgemeinschaften – Judentum und Islam. Das heißt, hier verbietet sich auch eine Ökumene auf Kosten des interreligiösen Lebens. Wir machen quasi Ökumene auf dem Tablett, während unsere jüdischen und muslimischen Freunde zuschauen.“

Beide betonen, dass auch in schwierigen Fragen, wie zum Beispiel dem gemeinsamen Abendmahl, viel mehr möglich sei, als bisher gelebt wurde. „Da kann ich immer sagen: Ich glaube, es ist sehr, sehr vieles möglich – gerade in Jerusalem und gerade hier in meinem Kloster“, sagt Abt Nikodemus. Die Dormitio-Abtei in der Jerusalemer Altstadt steht am Ort des letzten Abendmahls. „Ich kann sagen, auch theologisch, warum meines Erachtens vieles möglich sein muss. Wir lassen uns nicht trennen.“

Mit Blick auf die steigende Zahl von Spuckattacken durch jüdische Extremisten auf Christen in Jerusalem und Schmierereien an Kirchen sagte Schnabel: „Ich habe noch nie ein Graffiti gesehen, das sagt ‚Tötet die Lutheraner‘. Es heißt immer: ‚Tötet die Christen‘.“ Wenn sie schon gemeinsam für den Namen angegriffen würden, „dann müssen wir uns auch fragen, ob gewisse ökumenische Nickeligkeiten vor dieser Atmosphäre und hier am Ort des Abendmahls, von Pfingsten, der Kreuzigung, der Auferstehung Christi noch zu rechtfertigen sind. Ich würde einfach sagen, wir haben hier in Jerusalem definitiv eine Beweislastumkehr.“ So müsse jeder, der eine Einheit verhindere, „in dieser Stadt Zeugnis ablegen, warum er denkt, dass gewisse Dinge nicht möglich sind – statt sie zusammen möglich zu machen“, sagt der katholische Abt.

Nun muss sich zeigen, ob die Kirchen die Kraft aufbringen, diese neuen Gemeinsamkeiten in die Welt zu tragen. Auf die Frage, ob denn der Papst die Jerusalemer Bemühungen um die Ökumene unterstütze, hatte vor wenigen Tagen Kardinal Pizzaballa noch geantwortet: „Eher nicht.“ Warum es wohl dennoch gelingen könnte, darauf geben die Jerusalemer Christen eine Antwort, die vieles Unerklärliche in dieser Stadt beschreibt: „Das ist das Wunder vom Zion.“

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