Der nicht zu fassende Fluch greift nach dem FC Bayern
Der FC Bayern reist mit einer schweren Hypothek zum Viertelfinal-Rückspiel der Champions League. Bei Inter Mailand müssen die Münchner nach der bitteren Heim-Niederlage unbedingt gewinnen. Dafür muss etwa ein Harry Kane alles anders machen.
Es gibt diese Geschichte über Harry Kane, die niemand mehr hören möchte. Der Stürmer, der so wahnsinnig viele Tore schießt und so wahnsinnig wichtig für seine Mannschaften ist, hat in seiner Karriere noch keinen Titel gewonnen. Außer natürlich den Torneio Internacional Algarve-Cup, mit der englischen U17, vor 15 Jahren. Aber das zählt nicht. Der Superstürmer aus England ist noch völlig blank, was Teamerfolge angeht. Kaum zu fassen. Mit dem FC Bayern will er das ändern. Anders als sein Ex-Team Tottenham Hotspur sind die Münchner jederzeit in der Lage, Titel zu gewinnen. Oder doch nicht? An diesem Dienstagabend wurde eine nächste Chance nach der titellosen Vorsaison auf bittere Weise verzwergt. Auch weil Harry Kane Dinge tat, die ein Harry Kane sonst nicht tut. Das Viertelfinal-Hinspiel gegen Inter Mailand verlor der FC Bayern in der heimischen Arena mit 1:2 (0:1).
Nach 26 Minuten hatte der Münchner Flügelstürmer Michael Olise alles so vorbereitet, dass es ein großer Abend für seine Mannschaft werden könnte. Trotz des sich zuletzt immer höher aufgetürmten Berges an Verletzten. Der junge Franzose, der von Sportvorstand Max Eberl zur Benchmark für neue Transfers beim Rekordmeister erhoben wurde, hatte die gesamte Abwehr von Inter ausgefummelt. Die Abwehrmonster aus Italien bekamen Olise mit ihren Zähnen nicht zu greifen, er tanzte einfach an ihnen vorbei und legte dann quer zu Kane. Der stand frei. So frei, wie man es bei einem Superstürmer gegen Mailand niemals erwarten würde. Das Stadion erhob sich, jeder wusste, was kommen würde. Doch dann machte es "pong" und der Ball knallte an den Pfosten. Es stand NICHT 1:0 für den FC Bayern. Kane war fassungslos, seine Teamkollegen waren fassungslos, das Stadion ebenfalls. Zum zweiten Mal an diesem Abend.
Kompany pfeift auf Fußball-Romantik
Rund eine Stunde vor Anpfiff, als die Aufstellung öffentlich wurde, rieben sich die Münchner Anhänger die Augen. In der sich nahezu selbst aufstellenden Startelf fehlte ein Spieler. Es fehlte DER Spieler. Thomas Müller, die Vereinsikone, die am Samstag einigermaßen angefressen mitgeteilt hatte, dass sein Klub ihn nicht mehr weiterbeschäftigen möchte, saß nur auf der Bank. Jeder Experte hatte den sich stets neu erfindenden Freigeist von Beginn an erwartet. Weil mit Jamal Musiala der wichtigste Mann im Mittelfeld ausfiel und weil sie die Kraft des wütenden Müllers beschworen, der es auf seinen letzten Metern in Rot noch einmal allen zeigen wollte. Doch der Trainer pfiff auf die kitschige Romantik. Er hatte das Beste für seine Mannschaft im Sinn und das sah Müller von Anfang an nicht vor. Raphael Guerreiro spielte auf der Zehn. "Mein Fokus ist nur darauf, was wir machen, um dieses Spiel zu gewinnen. Rapha hat das letzte Mal in dieser Position gespielt und zwei Tore erzielt. Das ist eine Position, die er kennt. Er gibt uns auch hoffentlich defensiv etwas extra", rechtfertigte sich Kompany.
Müller reagierte professionell auf die Entscheidung des Trainers. Er wollte auf keinen Fall seine Person und seine nach dem verkündeten Bayern-Abschied zum Saisonende besondere Situation zu sehr in den Fokus rücken. "Wichtig ist, dass ich das ausstrahle, dass es um das große Ganze geht", sagte er.
Eine im Nachhinein klassische Fehlentscheidung war die Aufstellung von Guerreiro nicht. Der Portugiese machte ein gutes Spiel, sorgte immer wieder für Impulse. In der 20. Minute ließ er eine große Chance mit seinem schwächeren rechten Fuß liegen. In der 65. Minute rauschte ein Schuss von ihm knapp über das Tor. Er hätte im Schatten des bis dato verhinderten Helden Müller seine eigene Heldengeschichte schreiben können. Doch an diesem Abend wollte so viel nicht klappen, gegen diese starken Italiener. Die so gut verteidigen und so brutal effektiv sind. Nach 38 Minuten waren sie in Führung gegangen. Sie hatten einen Konter auf zuckerwatteweise ausgespielt. Der herausragend gute Carlos Augusto legte den Ball auf der linken Seite in die Mitte vors Tor, wo Marcus Thuram perfekt mit der Hacke nach hinten weiterleitete. Kapitän Lautaro Martínez stach in die Lücke und schoss den Ball fantastisch mit dem Außenrist oben rechts unter die Latte ins Tor.
Die Münchner verloren danach ihre Kraft, die sie bis dahin ausgestrahlt hatten. Sie hatten ein gutes Spiel gemacht und Chancen gehabt. Aber ausgerechnet ihr Ex-Torwart Yann Sommer war mehrfach zur Stelle. Zwar fehlte vor allem beim letzten Pass die Präzision, aber es wirkte alles irgendwie stabil, mutig, gefährlich. Die Bayern strahlten ein gutes Gefühl aus. Die Kraft kehrte erst nach 74 Minuten zurück. Thomas Müller stand bereit, es allen zu zeigen. Er kam für Leroy Sané und müllerte sofort rum. Die Zuschauer wurden von der Magie, die dieser Mann immer noch in sich trägt, wachgeküsst. Bayern drückte vehement auf den Ausgleich. Und der viel, dank Müller. Nach 82 Minuten scheiterte er noch mit einem Schuss in die Beine von Alessandro Bastoni, dann stand er nach 85 Minuten richtig. Er hatte sich an den langen Pfosten gestohlen, winkte mehrfach vehement und bekam eine Flanke von Joshua Kimmich. Aus kürzester Distanz drückte er den Ball über die Linie. Was für eine Geschichte! Müller hatte es allen gezeigt. Seinem Trainer, den Bossen, der ganzen Welt!
"Es steht jetzt blöderweise durch den letzten Konter 1:2"
"Thomas hat das Gefühl, im engen Raum was zu machen. Ich hoffe, dass es noch oft passiert", sagte Kompany später über seinen Joker. Gegen die Verteidigungs-Gladiatoren aus Italien hätte es definitiv mehr Müller bei den überlegenen Bayern gebraucht. "Inter wirkt nicht super gefährlich, aber sie sind zäh zu bespielen. Ein bisschen wie Kaugummi. Deswegen war das kein Spaziergang. Am Ende entscheiden die Dinger, die sie gemacht haben. Es steht jetzt blöderweise durch den letzten Konter 1:2", analysierte Müller.
Eine solche Geschichte kann man sich ja gar nicht ausdenken. Man spürt sie. Oder eben nicht. Aber diese Geschichte hatte noch eine andere Erzählung parat. Sie wollte Müller nicht als strahlenden Helden dastehen lassen, sondern als tragischen. Kaum waren die letzten Bilder des 1:1 weggesendet, dann stach Inter eiskalt zu. Gegen die aberwitzig weit und wild aufgerückten Münchner vollendete Davide Frattesi erneut einen perfekt ausgeführten Überfallangriff. Der "Dämon von Piacenza", Trainer Simone Inzaghi, hatte wieder einmal alles richtig gemacht mit der Wahl von Personal und Taktik. Es wurde leise im Stadion. Die Hypothek, die dieses Tor den Bayern aufsattelt, war sofort spürbar. Das "Finale Dahoam" plötzlich ganz weit weg.
"Mailand auswärts ist immer schwierig. Aber wir bekommen wieder die Chance. Es ist noch keine Mannschaft nach einem 1:2 in der Halbzeit in die Kabine gekommen und hat gesagt, dass wir nach Hause fahren können. Wir glauben an unsere Chance", sagte Trainer Kompany. Dabei hofft er auf Müller, dann vielleicht von Beginn an? Denn neben der Frage, ob Harry Kane seinen Fluch jemals loswerden wird (kleiner Spoiler: in der Bundesliga sieht es sehr gut aus!), bleibt vor allem die Frage hängen: Was wäre passiert, wenn Müller von Anfang an gespielt hätte?
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