Der Auftritt des FC Bayern an diesem Dienstagabend gegen Inter Mailand taugt recht gut dazu, zu analysieren, wie es eigentlich um den italienischen Fußball so steht. Philipp Lahm meint: nicht so gut. Gar nicht gut, um genau zu sein. Seine Bilanz wird zur Abrechnung, er zerlegt das Spiel der Italiener geradezu.

Die Münchener messen sich im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League mit dem italienischen Meister und aktuellen Tabellenführer der Serie A (21.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT). Lahm hat nun dem italienischen Topklubs ein ernüchterndes Zeugnis ausgestellt. „Italienische Mannschaften erinnern mich an einen Ferrari, dem, um 200 PS gedrosselt und halbvoll getankt, zehn Runden vor dem Ziel der Sprit ausgeht“, schreibt der ehemalige Münchener Kapitän in seiner Kolumne bei „Zeit Online“.

Seit jeher sind italienische Fußballmannschaften für ihren Hang zu einem Spiel mit defensivem Fokus und taktischer Disziplin berühmt-berüchtigt. Lange dominierten Teams aus der Serie A so den europäischen Vereinsfußball. Mittlerweile liegt der letzte Champions-League-Triumph eines italienischen Klubs jedoch 15 Jahre zurück. 2010 schlug Inter Mailand die Bayern im Endspiel mit 2:0.

Auch seine Fußballschule war von den italienischen Darbietungen geprägt, schrieb Lahm: „Meine Schule hieß AC Milan. Das 4:0 gegen Barcelona im Champions-League-Finale 1994 war in meiner Ausbildung der Gradmesser dafür, wie eine Elf gemeinsam angreift und verteidigt. Welche Abstände halten wir ein? Wer steht in der Verantwortung, den Ball zu erobern? Wann sind Querpässe verboten?“

Er wisse hinlänglich und aus eigener, leidvoller Erfahrung, „was Italiens Fußball stark macht. Ich sollte sagen: Was ihn stark machte“. Gegen Bayern im Viertelfinale jedenfalls sei Inter nach seinem Dafürhalten jedenfalls nicht der Favorit.

„Grandezza alleine reicht nicht mehr“, stellt Lahm klar

Grundlage der einstigen sportlichen Überlegenheit war ja Arrigo Sacchis ballorientierte Raumdeckung, das Betriebssystem des Fußballs bis heute. Auf dem Platz mangele es jedoch heute nach Ansicht von Lahm „an Initiative, Engagement, Athletik. Italien betreibt viel weniger Aufwand als die vier anderen Top-Ligen aus Spanien, England, Frankreich und Deutschland. Die Spieler rennen weniger. Ich habe vor ein paar Jahren in einer Statistik gelesen, dass die Bundesliga-Mannschaft mit den niedrigsten Werten mehr lief als die mit den höchsten der Serie A. Italien hat sein Betriebssystem nicht aktualisiert, es arbeitet zu langsam“.

Das Problem sei nicht neu, so Lahm. Er habe noch vor Augen, wie Inters Trainer José Mourinho 2010 auf dem Weg zum Titel im Halbfinal-Hinspiel gegen Barcelona zwei, im Rückspiel drei Stürmer ausgewechselt habe, weil sie Krämpfe bekamen: „In der regulären Spielzeit, nicht in der Verlängerung. An der fehlenden Dynamik hat sich nichts geändert, und das führt zu einem Qualitätsproblem. Wo der Gegnerdruck zu gering ist, entwickelt kein Spieler seine Fähigkeiten zur Weltklasse. Daher gibt es keinen Baggio mehr, keinen Del Piero, Cannavaro, Maldini, Baresi, Gattuso oder Pirlo.“

Taktisch seien Italiens Fußballer, gerade im Vergleich mit deutschen und englischen, zwar noch immer gut. Ballorientiertes Verteidigen, die Details im Zweikampf und Risikomanagement „haben sie alle intus“, bilanzierte Lahm. Doch sich auf einem 1:0 auszuruhen, gehe „immer wieder schief. Alle Mann hinter den Ball – das beherrschen inzwischen auch Nationen wie Georgien, siehe EM 2024“. Auch deswegen verpasste der viermalige Weltmeister zuletzt zweimal die WM. Ein WM-K.o.-Spiel gewann Italien zuletzt 2006. Italiens taktische Klarheit helfe „nur noch seinen Trainern zu großen Vereinstiteln“, befand Lahm.

Es gebe aber auch eine „gute Nachricht für Italien“. Auch heute könnten Teams mit defensivem Fußball noch immer gewinnen. „Doch Tempo raus ist keine Lösung, Grandezza alleine reicht nicht mehr. Es muss etwas hinzukommen: Power beim Ballgewinn, Aktivität im Ballbesitz, allzeit Drang und Lust auf Eroberung, der Stil von Diego Simeone.“ Von der Leidenschaft dieses argentinischen Trainers, stellte Lahm klar, „kann man sich etwas abschauen. Eigentlich müsste ganz Italien spielen wie Atlético Madrid.

Bayern oder Inter würden im Halbfinale auf den Sieger des Viertelfinal-Duells zwischen dem FC Barcelona und Borussia Dortmund treffen. Der BVB muss an diesem Mittwoch im Hinspiel zunächst beim Tabellenführer der spanischen Liga antreten (21.00 Uhr, ebenfalls im Sport-Ticker der WELT). Das Finale der Champions League findet am 31. Mai in München statt.

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