Eine der Eigenheiten von Albanien ist, dass man oft nicht recht weiß, woran man ist: Das kleine Land an der Adria gilt immer noch als Extra-Tipp, obwohl es bereits einen kleinen Tourismusboom durchlebt – 2024 kamen fast zwölf Millionen Besucher. In der Hauptstadt Tirana bauen sie so viele Hochhäuser, dass es dafür nie genügend Bewohner geben dürfte.

Und im vergangenen Jahr wies eine Analyse mithilfe von Farbcodes und Satellitenbildern nach, dass das Meer an Albaniens Küste besonders blau leuchtet. Ob das stimmt? Nun, stolze Albaner vermitteln das gern so, dass es wenig Raum für Widerspruch lässt.

Die albanische Realitätsverzerrung macht die Navigation im Land bisweilen schwierig. Aber vor allem steckt Optimismus darin, und der ist überall zu spüren, von den Bars in Tirana bis zu den vielen Baustellen am Meer. Zusammen mit den wunderschönen Stränden, den wilden Bergdörfern und 2000 Jahren Geschichte von den Römern über den Kommunismus bis heute rechtfertigt allein dies die Tatsache, dass Albanien diesjähriges Partnerland der Tourismusmesse ITB ist. So ergibt sich eine eklektische Mischung, die sich so in Europa sonst nirgends findet.

Tirana: Bauboom und Party-Stimmung

Starten sollte jede Albanien-Reise in der Hauptstadt, nur gut 25 Kilometer von der Adria entfernt. Tirana gibt es schon seit dem sechsten Jahrhundert, als der römische Kaiser Justinian hier eine Festung errichten ließ. Richtig los ging es aber erst, nachdem die Stadt 1920 zur Hauptstadt des neuen albanischen Staates erkoren wurde: Der König baute sich einen Palast, die Italiener halfen beim Anlegen der Prachtboulevards, Tirana wuchs rasant.

Heute ist wieder viel Tempo spürbar, wenn auch etwas unsortierter: Nach dem Fall des kommunistischen Regimes 1991 entstanden erst überall illegale Gebäude, 1999 wurden sie abgerissen, und seit der Jahrtausendwende wird in der Innenstadt Wolkenkratzer um Wolkenkratzer errichtet. Der Bauboom hat solche Ausmaße, dass schon jetzt gut 50.000 Wohnungen leer stehen sollen – aber, so sagen sie in Tirana, wenn Albanien erst der EU beigetreten ist, werden die reichen Europäer die Immobilien kaufen.

So ist die Stadt ein wilder Mix aus mittelalterlichen Kirchen und Stadthäusern, neuen Türmen, traditionellen Märkten, Kolossen der kommunistischen Moderne und Hunderten Bunkern, die der paranoide Diktator Enver Hoxha überall im Land bauen ließ, weil er Angst vor einer Invasion hatte. Bis zu 200.000 sollen es sein, obwohl sie lange niemand mehr gezählt hat – wie übrigens auch die Einwohnerschaft Tiranas. Vielleicht sind es 500.000 Menschen, vielleicht 700.000, vielleicht eine Million.

Tagsüber kann man die vielen Museen besuchen, aber die Stadt vibriert vor allem nachts. In der Altstadt gibt es Restaurants, die auch in Barcelona oder Neapel sein könnten. Die Beton-Pyramide im Zentrum, einst das Enver-Hoxha-Monument, ist nun ein Start-up-Campus und kann erklettert werden. Unzählige Bars kümmern sich um die vielen jungen Leute aus dem Westen, die von Albaniens niedrigem Preisniveau angelockt werden. Ein Cocktail kostet um die sechs Euro, und es ist immer irgendwo Happy Hour.

Auch eine weitere Besonderheit Albaniens ist in Tirana gut zu besichtigen: das Nebeneinander der Religionen. Etwa zehn Prozent der Einwohner sind katholisch, 20 Prozent orthodoxe Christen und 70 Prozent Muslime, und davon wiederum etwa zehn Prozent Bektashi, Angehörige eines liberalen Derwisch-Ordens. Morgens läuten die Glocken, abends ruft der Muezzin, und Ostern oder das Zuckerfest feiert man gemeinsam auf den Straßen.

Berat: Steile Gassen und Ikonen

Eigentlich ist Berat eine Ortschaft, aber die Hauptattraktion ist das Burgviertel auf dem Berg darüber, genannt „die Stadt der 1000 Fenster“. Vor allem ist es byzantinisch und stammt aus dem 12. Jahrhundert, aber nach der Eroberung durch das Osmanische Reich bauten türkische Planer hier weiter.

Dieses Neben- und Aufeinander ist charakteristisch für das ganze Land. Schon vor 2500 Jahren gab es hier zwar griechische Kolonien, aber ein Nationalbewusstsein entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert. Vorher war Albanien erst römische Provinz, dann Teil dessen byzantinischen Rests, dann kamen Serben, Venezianer, die Osmanen, Österreicher, Italiener, Franzosen und Griechen. Zwischendurch zerfiel das Gebilde immer mal wieder in Stämme, es gab blutige Aufstände oder komplette Anarchie.

Irgendwann war Berat sogar bulgarisch – ein kultureller Salat, der auf dem Berg aber nur etwa 250 Häusern und deren Bewohnern Platz bietet. Diese übrigens blieben immer weitgehend christlich, weshalb es in Berat auch einmal 20 Kirchen gab.

Wenn man sich durch das steile Auf und Ab der Gassen gewunden hat, steht man vor einer davon, die heute das „Nationale ikonografische Museum“ Albaniens beherbergt. Berat war lange ein Zentrum der Ikonenherstellung, der vergoldeten Heiligenbilder, die vor allem von orthodoxen Christen verehrt werden. Heute sind gut 170 davon zu besichtigen, ebenso wie zwei uralte „Frühbibeln“, von denen es weltweit nur noch sieben Exemplare gibt.

In der Fußgängerzone der Unterstadt gibt es ansonsten nur eine Kaffeerösterei, einen ausgezeichneten Eisladen sowie, bizarrerweise, eine Statue des CSU-Gottvaters Franz-Josef Strauß, der Albanien in den 1980er-Jahren ein paar Mal besuchte.

Vlora und Saranda: Strand an der Adria

Neben Kultur gibt es in Albanien vor allem jede Menge Küste. Nachdem die Nachbarn Kroatien und Montenegro schon so teuer sind wie Italien, gilt Albanien als letztes günstiges Stück Adria. Zwei der besten Ziele für Reisen ans Meer sind die Orte Vlora und Saranda.

Vlora ist dabei die hochwertigere Option. Die Strände sind eher schmal und so städtisch wie in Nizza – dafür aber ähnlich gut entwickelt. Clubs, Strandbars und Sonnenschirm-Batterien reihen sich aneinander, es gibt einen Luna-Park mit Riesenrad, brandneue Hotels, Apartmentkomplexe säumen die Straßen. Derzeit entsteht ein Jachthafen.

Sogar transatlantisches Interesse hat Vlora geweckt: Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner arbeitet an der Entwicklung eines Luxusresorts nördlich der Stadt. Obwohl das Gebiet ein Naturschutzgebiet voller Dünen, Wälder und Flamingos ist, und damit das Projekt eigentlich unmöglich ist.

Saranda ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Vlora. Auch hier gibt es Meer, Promenaden, ein (kleines) Riesenrad, eine Menge Bars und Restaurants. Aber das Niveau erinnert eher an Mallorca vor gut 30 Jahren. Dafür aber sind die Strände breiter und für einen günstigen Badeurlaub deutlich besser geeignet.

Auf der Burg Lekuresi, zehn Minuten den Berg hoch, kann man bei einem Drink auf der Terrasse herrliche Sonnenuntergänge betrachten. Sonst sollte man dort aber nichts weiter tun – sowohl das Essen als auch der Service haben, nun ja, bislang nicht ganz mitteleuropäisches Niveau erreicht.

Zwischen Vlora und Saranda liegen knapp 200 Kilometer herrliche Küste mit Zielen für jeden Geschmack. In der kleinen Bucht von Himara gibt es Strand und sehr gute Garnelen im Restaurant „Piazza“. In Porto Palermo kann man einen riesigen U-Boot-Bunker aus kommunistischen Zeiten besuchen. Und wem an Schlaf nicht gelegen ist, der fährt nach Durres im Norden oder nach Dhermi im Süden, wo jeden Sommer Strandpartys mit elektronischer Musik und DJs stattfinden.

Butrint: Wald, Ruhe und Ruinen

Die Ruinenstadt Butrint ist ein weiteres Highlight. Auch hier wurde, man ahnt es, erst von Griechen, dann Römern, später Byzantinern, Venezianern und Osmanen gebaut. In diesem Fall allerdings im Wortsinn übereinander: Die Fundamente der riesigen Mauern stammen von den Stadtgründern, die Schichten darüber von ihren Nachfolgern.

Es gibt ein Amphitheater, ein Forum, Wehrtürme, Aquädukte, griechische Tempel, römische Bäder, christliche Kirchen, alles ineinander geschachtelt und umringt von Stadtmauern. 1992 erklärte die Unesco Butrint zum Weltkulturerbe.

Man kann Stunden damit verbringen, zwischen den heute schattig in einem Wäldchen gelegenen Ruinen herumzuwandern und sich ihre Geschichten erzählen zu lassen: Angeblich wurde die Stadt von Helenos gegründet, einem Sohn des Königs Priamos, auf der Flucht aus dem brennenden Troja.

Dann kam der römische Feldherr Julius Caesar vor mehr als 2000 Jahren nach Butrint, erklärte es zur Veteranenkolonie. Und 1959 besuchte der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow die Stadt. Dafür mussten die Albaner eilig eine neue Straße ins 30 Kilometer entfernte Saranda bauen.

Gjirokastra: Burgen und Spezialitäten

Ebenfalls Weltkulturerbe ist Gjirokastra, die „Stadt aus Stein“. Sie heißt so, weil ihre Einwohner die Dächer der Häuser seit Jahrhunderten mit Schiefer und anderen Steinplatten decken. Hier wurden sowohl Diktator Enver Hoxha als auch Albaniens bekanntester Schriftsteller Ismail Kadare geboren.

Auch Gjirokastra hat eine Burg, die allerdings immer wieder interessante Nutzungen erfahren hat: Erst war sie eine Festung, dann ein Gefängnis, und seit 1971 ist hier das nationale Waffenmuseum untergebracht. In den Hallen und Kasematten verstauben Geschütze aus Weltkriegszeiten, in einem italienischen Fiat-Panzer nisten Tauben.

Zur Burg gehören auch Wrackteile eines amerikanischen Düsenjets vom Typ T-33, der während des Kalten Kriegs in Albanien spektakulär zur Landung gezwungen wurde. Als Zeichen des Triumphs stellten die Albaner die damals unbeschädigte Maschine in Gjirokastra aus. Bei Unruhen im Jahr 1997 nahmen die Einwohner den Jet leider auseinander, um Teile zu verkaufen oder sie als Pfand für Verhandlungen mit der Regierung zu nutzen.

Der Rest von Gjirokastra ist touristisch quasi fertig entwickelt. Die restaurierte Altstadt quillt über von Geschäften aller Art, Hoxhas Geburtshaus ist ein Museum, und auf den Dächern der besseren Hotels kann man hervorragend essen und den Blick über die Stadt genießen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Orten gibt es hier auch albanische Spezialitäten, wie etwa Huhn mit Walnussfüllung oder schneckenförmiges Brot aus Kichererbsenmehl. Wobei sich sogar die Kellner nicht ganz einig sind, ob das nicht in Wahrheit türkische Gerichte sind. Oder italienische. Oder griechische. Aber, ganz ehrlich: Wen kümmert’s?

Tipps und Informationen:

Anreise: Direktflüge nach Tirana gibt es von vielen deutschen Flughäfen, etwa mit Wizz Air, Eurowings oder auch mit Lufthansa, weiter mit dem Mietwagen. Es gibt auch mehrere Fährverbindungen von Italien nach Albanien, etwa von Brindisi nach Vlora.

Unterkunft: Überall in Albanien gibt es eine Vielzahl an Hotels, Pensionen, Ferienhäusern und Wohnungen, etwa ab 35 Euro pro Übernachtung über booking.com oder auch fewo-direkt.de. Mitten in Tirana steht das „International“, größtes Hotel und Kongresszentrum der Stadt. Es wurde 2018 komplett renoviert. Das Doppelzimmer kostet ab 79 Euro (tiranainternational.com). In Vlora an der Adria liegt das „Hotel Palace“, zentral im Ort und fußläufig zum Strand, das Doppelzimmer kostet ab 65 Euro (hotelpalace.al). In Saranda bietet das Fünf-Sterne-Haus „Butrinti“ einen Blick von der Pool-Terrasse aufs Meer, Doppelzimmer ab 98 Euro, hotelbutrinti.al.

Rundreisen: Veranstalter haben neue Rundreisen im Programm, etwa Gebeco mit „Albaniens Kultur und Küste“, die ab 1995 Euro mit Flug buchbar sind (gebeco.de). Studiosus bietet zehntägige geführte Touren „Albanien mit Nordmazedonien“, ab 2075 Euro mit Flug, Einzelzimmerzuschlag ab 295 Euro, studiosus.com. Hauser Exkursionen unternimmt achttägige Trekkingtouren entlang der Adriaküste, ab 1125 Euro bei Eigenanreise (hauser-exkursionen.de).

Weitere Auskünfte: albania.al

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Studiosus. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.

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