Cooler Wein im heißen Südaustralien
Damon Koerner blinzelt in die Sonne. „Ich hatte gestern ein paar Gläser Rotwein zu viel“, sagt der 38-Jährige. Er sitzt an einer Tafel zwischen weiß getünchten Wänden in der alten Gefängniszelle des „Watervale Hotel“. Hier sperrte die Wirtin früher Rauf- und Trunkenbolde zum Ausnüchtern ein, in den 1850ern, als das Hotel eine raue Kneipe war und sich die Arbeiter der Kupferminen die Zeit mit Glücksspiel und Boxkämpfen vertrieben.
Heute geht es im Clare Valley, eine der großen Weinregionen in Südaustralien, rund 130 Kilometer nördlich von Adelaide, weitaus gesitteter zu. Wer im „Watervale Hotel“ einkehrt, will fein essen. Und in der Zelle edle Tropfen verkosten. Deshalb hat der verkaterte Koerner vor sich ein halbes Dutzend Flaschen aufgebaut: Riesling und Vermentino, Chardonnay und Sangiovese. Nicht unbedingt, was man in South Australia erwarten würde.
„Meinen Weingeschmack habe ich in Europa entwickelt“, sagt Koerner, der 2019 als bester Jungwinzer Australiens ausgezeichnet wurde. Nach dem Önologie-Studium in Adelaide arbeitete er in mehreren Weinregionen in Frankreich und reiste durch Italien. „Als kleiner Winzer brauche ich eine eigene Identität“, sagt Koerner.
Schon beim Anbau verwendet er so wenig Chemie wie möglich, langfristig will er biologisch arbeiten. Seinen Riesling lässt er ein volles Jahr in Keramikamphoren vergären, damit er mineralisch wird und eine runde Textur erhält. Dabei nutzt er nur natürliche Hefe und filtert nicht. „Die Reben sollen sich selbst ausdrücken“, sagt Koerner.
South Australia ist berühmt für Rotwein
In South Australia ist dieser Ansatz noch immer außergewöhnlich. Berühmt ist der Bundesstaat für schwere Rotweine, oft werden die Trauben verschiedener Lagen in Multi-District-Blends verschnitten. Die ersten 100 Jahre konzentrierten sich die Winzer auf Portwein, der in der Hitze lange hielt. Dabei hatte der Geologe Alfred Minge schon 1838 in einem Brief geschrieben: Die Gegend könne eine der großen Weinbauregionen der Welt werden.
Minge war auf dem Schiff der ersten deutschen Siedler mitgesegelt: Lutheraner, die in ihrer Heimat Preußen drangsaliert wurden. In den folgenden Jahren zogen sie ins Barossa Valley, gerufen von einem Pastor. Little Prussia wurde das Tal genannt, es gab sogar einen Dialekt namens Barossa Deutsch, einen Mix aus Deutsch und Englisch. Bis heute sind die 26 evangelisch-lutherischen Kirchen an Sonntagen gut besucht.
Viele Siedler bauten bald Weintrauben an. Aber erst ab den 1950ern produzierten die ersten Winzer trockene Rotweine nach französischem Vorbild, die im Haupt-Exportmarkt Großbritannien gefragt waren. Besonders für die ertragreichen Shiraz-Reben bietet das warme, sonnige Barossa Valley perfekte Bedingungen. Heute sind rund 10.000 Hektar bestockt, ein Zehntel des australischen Weins stammt aus dem weiten Hochtal.
Im Vergleich dazu ist das Clare Valley ein Winzling, seine Weingüter sind nicht annähernd so bekannt. Dabei hat der Weinbau auch hier Tradition. Schon 1842 wurden die ersten Rebstöcke gepflanzt. Die Geologie allerdings unterscheidet sich stark. Um sie zu erklären, fährt Koerner im Geländewagen seinen Weinberg hinauf.
Hunderte Millionen Jahre alte Gesteinsschichten hätten sich im Tal senkrecht gestellt, erklärt er, sodass jede Hügelkette geologisch unterschiedlich ist. Auf seinen Parzellen in 430 Metern Höhe ist der Kalk- und Lehmboden rotbraun. „Terra Rossa“, sagt Koerner, ideal für Riesling, das Aushängeschild des Clare Valley. Koerner hat deutsche Reben gepflanzt. Sein Riesling sei trocken, sagt er, sehr fruchtig und leichter als in Deutschland.
Die heißen Tage garantieren reife Fruchtaromen, und jeden Abend zieht mit der Brise kühle Luft vom 100 Kilometer entfernten Meer herauf. „Sie hält die Trauben frisch und verlangsamt die Reifung“, erklärt Koerner. „So bekommt man mehr Säure und einen vielschichtigeren Geschmack.“
Jeder Winzer hat einen eigenen Teich
South Australia ist der trockenste Bundesstaat des Kontinents. Im Clare Valley an der Schwelle zum Outback hat jeder Winzer einen eigenen Speicherteich, um längere Trockenphasen durch Bewässern zu überstehen. „Rebsorten, die am Mittelmeer gut wachsen, gedeihen auch hier“, sagt Koerner. Manche sogar besser: Sangiovese aus Italien beispielsweise entwickle bei niedrigerem Zuckergehalt reife Fruchtaromen. „Dadurch kann man einen eleganteren Wein machen.“
Andere Winzer machen Weine aus den süditalienischen Reben Fiano und Nero d’Avola. Oder trockenen Grenache aus 150 Jahre alten Rebstöcken, die ursprünglich für Portwein gesetzt wurden. Selbst viele Australier seien überrascht von der neuen Vielfalt.
In Adelaide gehört Wein zu fast jedem Dinner, so wie in anderen Metropolen auch. „Die alten, schweren Rotweine passen gut zu Steak, aber nicht zu Pasta oder Pizza oder asiatischer Küche“, sagt Koerner. Viele junge Australier lieben deshalb die neuen Sorten, gerade zum Essen.
Cool-Climate-Weine aus den Adelaide Hills
Besonders en vogue sind Cool-Climate-Weine aus den höher gelegenen Adelaide Hills. Weil es in den Hügeln östlich der Stadt immer einige Grad kühler ist, bauten sich Wohlhabende Ende des 19. Jahrhunderts hier Sommerhäuser. Lange wurden in den Hügeln Äpfel, Pfirsiche und Aprikosen angebaut, der Weinbau dagegen schlief ein – bis Brian Croser kam.
Der junge Winzer hatte sich beim Studium in Kalifornien in Cool-Climate-Weine verliebt. 1979 pflanzte er die ersten Chardonnay-Reben auf dem zweieinhalb Hektar großen Tiers-Weinberg in 450 Metern Höhe – nach europäischem Vorbild in engen Reihen. Zuerst blieben Crosers Weine eine Nische. Doch seit den 1990ern interessieren sich Weintrinker zunehmend für Sorten wie Pinot Noir oder Chardonnay, für welche die Adelaide Hills perfekt sind. Immer mehr Bauern wandelten Obstgärten in Weinberge um, heute gibt es in den Hügeln rund 50 Weingüter.
Eines der renommierten ist Shaw & Smith. „Bei modernem Wein dreht sich in Australien heute alles um Frische“, sagt der Mitgründer Michael Hillsmith in der weitläufigen, modernen Vinothek. „Viele Leute wollen keine Weine mit 15 Prozent Alkohol mehr.“
Auf den steinigen Böden des uralten, verwitterten Gebirges erreicht besonders Chardonnay Spitzenqualität. Der allgegenwärtige Shiraz sei hier schlanker und mineralischer als im Barossa, sagt Hillsmith. Manche Winzer nennen ihn Syrah, um den Unterschied zu unterstreichen. Und die leichten, fruchtigen Pinot Noirs schmecken selbst jungen Weintrinkern, die bisher wenig mit Rotwein am Hut hatten.
Ein Weingut kennen Liebhaber in ganz Australien
Die Weingüter setzen auf Weintourismus. Einige bieten Livemusik und Picknicks – und einen Fahrservice zurück nach Adelaide. Regelmäßig gönnen sich auch Wanderer, die auf dem 1200 Kilometer langen Heysen Trail die Adelaide Hills durchqueren, eine Pause mit Weinprobe.
Ins Eden Valley, wo sich die Hügelkette fortsetzt, kommen dagegen nur Kenner. Das Tal ist einige hundert Meter höher gelegen als das benachbarte Barossa Valley, zu dessen Weinregion es offiziell gehört. Der Boden ist hier steiniger und karger, auf Weiden grasen Schafe und Rinder unter Eukalypten.
Es gibt nur wenige Weingüter hier, eines aber kennen Wein-Aficionados in ganz Australien: Henschke. Die Familie kam 1841 aus Schlesien hierher und lebte lange von Getreide und Wolle. Die gläubigen Henschkes stifteten das Land für die Gnadenberg-Kirche, die ihrer heute berühmtesten Lage den Namen gab: „Hill of Grace“. Für den gleichnamigen Shiraz bezahlen Sammler bis zu 1725 Australische Dollar pro Flasche.
Schon in den 1950ern wollte Cyril Henschke, der als erster in der Familie Weinbau studierte, den Charakter des jeweiligen Jahrgangs und des Terroirs herausarbeiten – also der Kombination aus Boden, Topografie und Klima. Mit Erfolg: Aktuell stehen fünf Henschke-Weine auf der renommierten Langtons-Liste der 100 besten Weine Australiens. Eine Verkostung im früheren Wollladen ist also das würdige Finale einer Weinreise durch South Australia.
Bleibt die Frage: Wie schmeckt ein australischer Lagenwein für gut 1000 Euro? Auf jeden Fall so gut, dass man nach dem ersten Nippen still die Augen schließt und genießt. „Und“, fragt der Weingut-Manager grinsend, der die Verkostung leitet, „gut genug, um damit eine Pizza herunterzuspülen, oder?“
Tipps und Informationen:
Anreise: Mehrere Airlines fliegen mit einem Zwischenstopp nach Adelaide. Von dort fährt man am besten per Mietwagen in die Adelaide Hills sowie ins Clare, Eden oder Barossa Valley.
Beste Reisezeit: Im Frühling von September bis November ist es mild, viele Büsche und Bäume blühen. Die beste Zeit für die Weinregionen ist der Herbst von März bis Mai.
Unterkunft: In den Weinregionen gibt es eine breite Palette an Hotels, Ferienhäusern und Pensionen. In manchen Weingütern wie im Lonview Vineyard in Macclesfield (longviewvineyard.com.au/adelaide-hills-accommodation) kann man auch übernachten. Das „Novotel Barossa Valley Resort“ mit 140 Zimmern bietet einen Blick über die Hügel, Doppelzimmer ab umgerechnet 192 Euro (novotelbarossa.com). Noch schöner ist der Blick vom luxuriösen „Mount Lofty House“, einem 175 Jahre alten Herrenhaus nahe dem höchsten Gipfel der Adelaide Hills, Doppelzimmer ab 300 Euro (mtloftyhouse.com.au). Das „Watervale Hotel“ im Clare Valley ist mit Chesterfield-Sofas und Marmortischen gediegen, die Küche ist hervorragend, auf der Weinkarte stehen die besten Tropfen des Clare Valley, Doppelzimmer ab 300 Euro (watervalehotel.com.au).
Weinproben: Small Batch Winetours bringt Gäste zu kleinen, innovativen Weingütern in den Adelaide Hills (smallbatchwinetours.com.au). Barossa Taste Sensations bietet auch Touren ins Clare Valley und ins Eden Valley (barossatastesensations.com). Natürlich lassen sich auch selbstständig per Mietwagen Weine verkosten, zum Beispiel bei Koerner (koernerwine.com.au), Henschke (henschke.com.au) oder Shaw & Smith (shawandsmith.com).
Ausflugstipp: Auf dem Riesling Trail, einer stillgelegten Eisenbahnlinie mit sanften Steigungen, kann man 33 Kilometer durchs gesamte Clare Valley radeln. Wer auf Seitenstraßen zu den Weingütern fährt, strampelt allerdings einige Kilometer bergauf und bergab. Mehrere Läden bieten Leihräder (rieslingtrail.com.au).
Auskunft: Weinregionen in South Australia: southaustralia.com/destinations/south-australia-wine-regions; Tourism Australia: australia.com
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Tourism Australia und der South Australian Tourism Commission. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.
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