Es herrscht eine Stimmung zum Schunkeln und Mitsingen. Dimitri zupft auf der Lyra, als ob es um den Sieg bei „Griechenland sucht den Superstar“ ginge. Von „Ein Mädchen aus Piräus“ wechselt er fließend zu „Griechischer Wein“, alte Hits, die deutschsprachige Gäste – zumindest die älteren – zu Hause an ihren Urlaub in der Ägäis erinnern.

Nur an seinem Outfit muss Dimitri noch etwas arbeiten. In seinen Camouflagehosen sieht er aus, als ob er gerade von der Jagd käme. Das ist er vielleicht sogar. Seine Bühne ist die Terrasse der Taverna Pitopoulis in Prina, irgendwo im bergigen Osten Kretas. Den Ort kennt eigentlich kaum jemand, er steht nicht mal im 700-seitigen Kreta-Handbuch von Eberhard Fohrer.

Ehrlich gesagt: Außer Dimitri und lecker-deftiger Verkostung – von warmem Kichererbsenmus bis zum obligatorischen Schafskäse – ist hier oben auch wenig geboten. Aber die lange Tafel ist voll besetzt, voll mit Freizeitsportlern in bunten Leibchen.

Martin und Barbara haben die Radlergruppe hierher gelotst, durch Olivenhaine und über holprige Bergwege, vorbei an verlassenen Windmühlen und den bei uns in Vergessenheit geratenen Mispelbäumen. Unten im Garten parken etwa zwanzig Mountainbikes und E-Bikes unter den Olivenbäumen. Die beiden Schweizer leben seit mehr als zwanzig Jahren auf Kreta und bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Radfahren, besser gesagt: mit dem Betreuen radelnder Gäste.

Aber die beiden wollen nicht nur Geld verdienen mit ihrem Hobby. „Wir möchten den Radlern auch die weniger bekannten Facetten der Insel vermitteln, die Ruhe in den Bergen, die Beschaulichkeit der kleinen Dörfer, den Duft der Landschaft“, erklärt Martin voller Überzeugung und streicht sich sein langes, ergrautes Haar aus dem Gesicht.

Eine ungewöhnliche kleine Kirche

Unten im quirligen Agios Nikolaos an der Küste, wo ihr Hotel steht, zeigt sich das beschauliche Kreta höchstens noch in der Nebensaison. Ansonsten wuselt es im kleinen Hafenort vor Badeurlaubern und Kreuzfahrtgästen, nicht unbedingt unangenehm, aber eben oft ganz schön trubelig.

Dieser Rummel pflanzt sich zum Glück kaum in die Berge fort, höchstens tagsüber nach Kritsa – quasi dem Urbild eines kretischen Dorfes. Dort hinauf kurven die Ausflugsbusse wegen der kitschig-schönen Lage der weißen Häuser am Fuße der Felsen – und zum Shoppen.

In Kritsas Hauptgasse verkaufen alte Frauen ihre Webarbeiten, Spitzendecken und Stickereien. Viele Tagesgäste haben nur das Souvenir im Visier – ob Kitsch oder Kunst – und übersehen ein Kleinod am unteren Ortsrand, die Panagia Kera. Die kleine byzantinische Kirche zählt zu den berühmtesten Gotteshäusern der Insel, bekannt vor allem für ihre raumhohen Fresken aus dem 15. Jahrhundert, die sogar manchen Kunstbanausen in ihren Bann ziehen.

Und im nur wenige Serpentinen entfernten Lato langweilt sich oft die Kassiererin am Eingang der Ausgrabungsstätte, weil wenig los ist. Dabei sind die Reste der Dorischen Festung, die bis ins Jahr 1000 v. Chr. zurückreichen, durchaus einen Besuch wert. Vor allem lässt es sich auf den alten Steinmauern so herrlich in der Sonne sinnieren.

Ein Badestopp auf Spinalonga

Drumherum riecht es nach Thymian, Salbei und Kamille, manchmal auch nach Rosmarin. Zu den Ruinen von Lato schickt Martin seine Gäste gerne auf eigene Faust. Das geht nämlich ganz gut auf der Landstraße, sogar für Rennradler, die Kretas Osten auch schon entdeckt haben. Hinter Lato erschrickt man dann fast, wenn zufällig mal ein Auto in den Olivenhainen auftaucht.

Apropos Oliven: Im Osten Kretas produzieren die Bauern eines der besten Öle der Welt, allseits gerühmt für seinen niedrigen Säuregehalt. Das Öl ist so hochwertig, dass in Italien gelegentlich die lokalen Produkte damit aufgepeppt werden. Oliven, Ziegen und ein bisschen Obst – davon leben die Bauern jenseits der Touristenstrände.

Auch hinter dem Promi-Strand von Elounda, wo sich Griechenlands Geldadel in teuren Fünf-Sterne-Hotels trifft, ziehen sich die Olivenbaumreihen weit den Berg hinauf. Von ganz oben sieht die Bucht im türkisblauen Meer tatsächlich traumhaft aus.

Martin und Barbara führen ihre Gäste oft hinüber zum Badestopp nach Spinalonga. Die von Schirmen und Liegen freien Strände auf der kargen, langgestreckte Insel verströmen nach wie vor ein wenig 70er-Jahre-Gefühl, als Kreta noch Europas Hippieziel war. Auf Spinalonga, wo von 1903 bis 1957 Leprakranke ihr Leben fristen mussten, hatten die Venezianer im 16. Jahrhundert eine mächtige Festung errichtet. Heute ist sie ein Nationalmonument Griechenlands, das von Agios Nikolaos täglich mehrere Ausflugsboote ansteuern.

Zum Besuchsprogramm von Martin und Barbara zählt es nicht, denn die beiden halten es ja mehr mit den ruhigen Bergdörfern und Küstenorten wie Lakonia und Chumeriakos – mit wenig Spektakulärem, aber viel ursprünglichem Kreta.

Weitere Informationen zu Kreta:

Für Radfahrer: Mountainbike-Touren, Gravelbike-, Rennrad-, Mountainbike- und E-Bike-Verleih sowie Radler-Unterkünfte findet man bei Martinbike im „Hotel Faedra Beach“ bei Agios Nikolaos, martinbike.com/de/.

Reiseführer-Tipp: Eberhard Fohrer, „Reisehandbuch Kreta“, 684 Seiten, mit herausnehmbarer Karte 1:200.000, Michael Müller Verlag

Weitere Auskünfte: visitgreece.com.de; explorecrete.com

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