Klack-klack! Quietsch-quietsch! Roll-roll! Morgens um halb neun geht es am Bahnhof von St. Moritz im Schweizer Kanton Graubünden hektisch zu – und laut. Die fünf Bahnsteige des in aller Welt als kostspielig und etwas dekadent geltenden Ferienorts hallen wider von Hunderten Rollkoffern, gezogen, geschoben und gezerrt von bergbegeisterten Urlaubern, die auf keinen Fall zu spät kommen wollen – denn die Schweizer Bahnen sind für ihre Pünktlichkeit bekannt.

Dass Deutsche, andere Europäer und Amerikaner im wuseligen Stelldichein große Kontingente stellen, zumeist in Reisegruppen, ist erwartbar. Relativ neu ist, dass inzwischen etwa jeder Dritte, der sich im Migrolino-Kiosk an Gleis eins kurz vor Abfahrt noch schnell Cappuccino und Gipfeli holt, um sodann zum richtigen Waggon mit der Platzreservierung zu eilen, aus Fernost stammt. Bis nach Japan, Korea, China reicht längst der Weltruhm der Schweizer Schmalspureisenbahn.

St. Moritz ist dabei besonders gesegnet – gleich zwei der spektakulärsten Strecken beginnen beziehungsweise enden hier: zum einen der Bernina Express, zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt gen Süden, nach Italien. Zum anderen der Glacier Express, der sich Richtung Westen bis nach Zermatt am Fuße des Matterhorns vorarbeitet, eine Tagesreise zum berühmtesten Berg der Schweiz.

Mit dem Bernina Express von Gletschern zu Palmen

Wer genug Zeit hat, kombiniert beide Strecken miteinander und legt in St. Moritz einen Zwischenstopp mit Übernachtung ein. Möglich macht dies die altehrwürdige Rhätische Bahn mit ihren knallrot lackierten Waggons. Ihr Schmalspurnetz zieht sich über Hunderte von Kilometern durch und über die Schweizer Bergwelt. Diese einzigartige bautechnische Meisterleistung zählt in Teilen seit 2008 zum Unesco-Weltkulturerbe.

Der Bernina Express, der gerade auf den Türen-schließen-Pfiff der Schaffnerin wartet, fährt auf einer Strecke, die im frühen 20. Jahrhundert in die damals fast unzugängliche alpine Steinwelt gefräst wurde. Benannt nach dem gleichnamigen Viertausender in Graubünden, fährt der mit Panoramafenstern ausgestattete Zug einem Örtchen namens Tirano entgegen, das einige Kilometer jenseits der Grenze in Italien liegt. Die Reise verbindet Hochgebirge mit mediterranem Kosmos, führt von Gletschern droben zu Palmen drunten.

Neben Urlaubern aus aller Welt nehmen im legendären Bernina Express auch gern Leute Platz, die sich selbst als „eisenbahnverrückt“ bezeichnen. Das Ehepaar aus einem Dorf bei Magdeburg zum Beispiel, das für seine Modelleisenbahn daheim „eine kleine Sporthalle gekauft hat“, man brauche schließlich Platz fürs Hobby. Sie, die Anke, hat ihm, dem Andreas, die Schweiz-Tour zum 60. Geburtstag geschenkt. Bahnfreaks durch und durch, auf der Suche nach dem nächsten Kick auf Gleisen.

Anfangs klettert der Bernina Express von St. Moritz, auf 1774 Höhenmetern im Talgrund gelegen, über Pontresina nach Ospizio Bernina, wo er die Alpenquerung auf 2253 Metern stemmt. Kurz darauf wird ausgestiegen: Viertelstunden-Fotostopp auf einer Bergstation mit dem hübschen Namen Alp Grüm, von wo aus man bei freundlichem Wetter einen traumhaften Blick auf den mächtigen Palügletscher hat.

Zurück im Zug, geht es im Eisenbahn-Äquivalent eines Sturzflugs bergab, nämlich auf nur rund 20 Streckenkilometern um mehr als 1600 Höhenmeter. Der Express, in Wirklichkeit ein Bummelzug, passiert den berühmten Kreisviadukt von Brusio und landet schließlich, Endstation, im Land, wo die Zitronen blühen, wo in hübschen Bars zur Mittagsstunde Tramezzini gereicht werden, runterzuspülen mit einem Glas kühlherben Weißen. Nach einer Stunde des Eintauchens in Italianità und Bellezza geht es mit dem Expresszug wieder zurück in die Gletscherwelt im Norden.

Im Glacier Express durch den Süden der Schweiz

Noch imposanter präsentiert sich die Landschaft auf der Strecke des Glacier Express, der von St. Moritz über Chur, Andermatt und Brig nach Zermatt pendelt, eine achtstündige Tour einmal quer durch die Südschweiz. Auch der Gletscher-Express ist ein Klassiker der Eisenbahnhistorie.

Im Juni 1930 ging er erstmals auf Tour – auf einer Strecke mit 291 Brücken und 91 Tunneln, viele davon Ergebnis ambitioniertester Ingenieurs- und Baukunst. Der rund 140 Meter lange und 65 Meter hohe Landwasserviadukt beim Dorf Filisur etwa mündet von der Brückenkonstruktion direkt in den gleichnamigen Tunnel, lässt den Schnellzug quasi in eine steile Felswand rauschen.

Die Rhätische Bahn preist den Glacier Express heute als „Luxuszug auf höchstem Niveau“ an, der „mit erlesener Kulinarik“ punkte. Das Marketing-Sprech sollte aber keine übersteigerten Hoffnungen wecken.

Die Waggons sind modern und bequem, aber keineswegs mondän. Die Fahrgäste sitzen in Sesseln, halb Leder, halb Stoff, vor einer gediegenen Holzvertäfelung mit Edelweißlogo. All das ist apart und ansprechend, doch keineswegs luxuriös – und meilenweit entfernt von Zügen à la Orient-Express.

Schweizer Preise, spröder Service

Das gilt in allen Buchungskategorien, selbst den gehobenen. Auf dem Glacier Express gibt es nämlich eine Drei-Klassen-Gesellschaft: erstens die „normalen“ Fahrgäste, zweitens solche mit Tickets in der First Class – und schließlich noch jene in der Excellence Class.

Wobei der Unterschied vor allem in der Güte der Verpflegung liegt. Denn an Bord wird, bei vielen Tickets im Fahrpreis enthalten, zu Mittag gespeist, jedenfalls in den beiden oberen Segmenten, und zwar nicht in einem separaten Speisewagen, sondern am Platz.

Beim Hauptgericht in der First kommen Schupfnudeln, grüne Bohnen und Hühnergeschnetzeltes in Tomatentunke auf den Klapptisch. Das Drei-Gänge-Mahl – Suppe vorweg, Eis zum Nachtisch – ist qualitativ auf Kantinenniveau, wenngleich die Brechbohnen von Kellern vorgelegt werden wie im „Ritz“ zu Paris, was manchem ein Gefühl des Besonderen geben mag.

Trotzdem ist der Service phasenweise von spröder Da-haben-Sie-Ihren-Teller-Sorte, die Massenabfertigungslokale auszeichnet. Wein kostet extra, um die 20 Euro das Glas für nichts Besonderes; Schweizer Preise halt.

In der Excellence Class wiederum kommen fünf Gänge auf den Tisch, jeweils mit korrespondierenden Weinen, was dabei helfen kann, den happigen Zuschlag – ein paar hundert Euro pro Person mehr als in der Ersten Klasse – zu verdrängen. Wer mag, kann auch à la carte lunchen.

Auf der Speisekarte der Bordbroschüre stehen zum Beispiel Ghackets & Hörnli (Nudeln mit Hack für 29 Euro), Bündner Salsiz (Wurst, 25 Euro) sowie Klassiker asiatischer Küchen wie Tomaten-Linsen-Dhal mit Basmati-Reis oder Chicken Tikka Masala. Wer all dies eine Spur schräg und eher nicht so opulent findet, liegt richtig.

Links ein Gletscher, rechts ein Stausee

Doch die Musik spielt hier nicht auf dem Teller, sondern vor den Panoramafenstern. Der Zug rattert durch die Rheinschlucht, wobei der Strom hier noch ein grün-türkis schillernder Bergbach ist, reißend und eisig, der Liechtenstein und dem Bodensee entgegensprudelt. Dann wuchtet der Express sich auf 2033 Höhenmetern über den Oberalppass, der den Übergang von Graubünden nach Uri markiert.

Links wälzt sich mal eine gigantische Gletscherzunge durchs Steinreich, rechts glitzert ein Stausee in der Sonne, überall gleiten Seilbahnkabinen lautlos himmelwärts. Kühe kauen auf saftigen Almen Gras und Butterblumen. Die tiefen Täler, die grünen Höhen und die selbst im Hochsommer schneebedeckten Gipfel sind Heidi-Landschaft pur. Auch in der kalten Jahreszeit fahren die Züge, dann durch eine Zauberlandschaft in gleißendem Weiß.

Hinter dem gut 15 Kilometer langen Furkatunnel zwischen Realp in Uri und Oberwald im Wallis sprudelt neben den Gleisen ein anderer Fluss mit blaugrünem Eiswasser bergabwärts: die Rhône auf dem Weg Richtung Genfer See und Mittelmeer. Und schließlich, im Laufe des späteren Nachmittags, Visp, Täsch, Zermatt: Ziel der Reise, Endstation, alles aussteigen!

Zermatt ruht auf 1600 Höhenmetern am Fuß des Matterhorns mit seiner eigenartigen Pyramidenform. Der Filmklassiker „Der Berg ruft“ mit Luis Trenker hat den Ferienort weltberühmt und reich gemacht. Jedes Kind kennt heute den Schweizer Schokoriegel Toblerone, 1908 von Theodor Tobler kreiert, dessen dreieckige Bruchstücke, so der Mythos, stilisierte Matterhörner in klein darstellen.

Weiter mit der Gornergratbahn auf rund 3100 Meter

Wer nach zwei Bahntagen noch nicht genug hat von Zügen und Zauberbergwelt, der steigt in Zermatt um in einen weiteren Oldtimer, die elektrisch betriebene Gornergratbahn. Diese Zahnradbahn klettert bereits seit 1898 aus dem Mattertal auf rund 3100 Meter.

Oben wartet nach einer guten halben Stunde ein prächtiges Panorama mit Blick auf Matterhorn und Gornergletscher sowie mehrere weitere Viertausender, darunter die Dufourspitze im Monte-Rosa-Massiv, den mit 4634 Metern höchsten Gipfel der Schweiz.

Auch hier: Trubel und kosmopolitisches Stelldichein, aber zugleich ätherische Erhabenheit. Denn niemand hat hier einen quietschenden Rollkoffer dabei, der die Ruhe und Schönheit des Naturensembles stören würde.

Tipps und Informationen:

Wann fährt man? Bernina Express und Glacier Express fahren ganzjährig, wobei Schneemassen die Reiseplanung durcheinanderbringen können. Hauptsaison für Zugtouren durch die Südschweiz sind die schneefreien Monate Juni bis September.

Wo kann man buchen? Beim Bahnreise-Veranstalter Ameropa kostet die sechstägige Reise „Glacier Express Extra“ von Chur nach Zermatt mit Bernina-Express-Ausflug nach Tirano ab 1131 Euro pro Person im Doppelzimmer (mit Bahnfahrt 2. Klasse, ganzjährig buchbar). Die fünftägige Reise „Glacier Express First Class“ von St. Moritz nach Zermatt (sieben Termine im Sommer) ist ab 2199 Euro pro Person im Doppelzimmer buchbar (ameropa.de). Fahrten kann man auch in Eigenregie buchen, etwa mit dem Bernina-Express von St. Moritz nach Tirano und zurück, ab 70 Euro (rhb.ch). Ein regulärer Einzelfahrschein auf dem Glacier Express von St. Moritz nach Zermatt kostet inklusive Reservierung 220 Euro (2. Klasse), 340 Euro (First Class) beziehungsweise 806 Euro (Excellence Class), glacierexpress.ch

Wo wohnt man gut? In St. Moritz im „Hotel Steffani“, gediegenes familiengeführtes Vier-Sterne-Haus in zentraler Lage, Doppelzimmer ab 210 Euro, steffani.ch. In Traumlage mit Blick aufs Matterhorn liegt das luxuriöse Chalet-Hotel „Schönegg“, fabelhafter Service, erstklassige Küche, Doppelzimmer ab 420 Euro, schonegg.ch

Weitere Infos: Schweiz Tourismus: myswitzerland.com; rhb.ch (Rhätische Bahn), glacierexpress.ch (Glacier Express), gornergrat.ch (Gornergratbahn).

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