Langlaufen wie die Profis in Südtirol
Das Langlaufzentrum von Toblach gleicht optisch einem riesigen Kleiderbügel, der in die Landschaft gestellt wurde. Das Besondere an diesem Bau: Das Dach berührt links und rechts den Boden, und im Winter führt eine Loipe quer darüber weg, weit und breit ist sie die steilste. Hier trainieren nicht nur Profis, auch die lokalen Nachwuchshoffnungen möchten sich genau dort beweisen.
„Okay Ragazzi, dann machen wir jetzt mal eine Dachabfahrt“, sagt der Trainer zu den fünf Jungs, die sich im Halbkreis um ihn versammelt haben. Woraufhin sich die Jungspunde in einer Reihe aufstellen. Wie Rennpferde scharren sie mit den Langlauflatten an ihren Füßen. Auf ein Zeichen des Trainers galoppieren sie los.
Keuchend erstürmt der Nachwuchs das Arena-Dach. Oben geht es in die Abfahrtshocke, die Skistöcke ragen hinten empor wie Antennen. Unten – mit einem Ächzen, Oberkörper nach vorn geworfen – stürzen sich die Jungs in die imaginäre Ziellinie, markiert mit zwei Skistöcken. Der jüngste in der Gruppe, sagt der Trainer, sei gerade vier Jahre alt: „Seit er eineinhalb ist, steht er auf Langlaufskiern.“
Er hat das Glück, hier zu Hause zu sein. Denn das Pustertal mitsamt den Nebentälern rund um Toblach und den Nachbarort Rasen-Antholz ist eines der besten Langlaufreviere nicht nur Südtirols, sondern auch der Alpen insgesamt. Das Antholzer Tal bietet 60 Loipenkilometer, während Toblach und Umgebung sogar auf 200 gespurte Kilometer kommt. Das Spektrum reicht von einfachen Strecken für gemütliche Fahrer bis zu anspruchsvollen Routen, darunter besagte Dachloipe, die jedem offen steht.
Langlauf auf zwei Paradestrecken
Für die Qualität des Reviers spricht nicht nur die Tatsache, dass hier alljährlich Weltcuprennen ausgetragen werden. Es gibt auch zwei Paradestrecken: zum einen die rund sechs Kilometer lange Loipe Fischleintal in den Sextner Dolomiten. Sie führt durch eine herrlich verschneite Berglandschaft, die mit ihren zackigen Gipfeln und Zinnen zu Recht den Titel Unesco-Weltnaturerbe trägt und für viele die schönsten Kulissen der Gegend bietet.
Zum anderen ist da die Langlaufstrecke von Toblach nach Cortina d’Ampezzo, wo 2026 etliche Wettkämpfe der Olympischen Winterspiele stattfinden werden. Etwa 30 Kilometer misst diese XXL-Loipe. Sie ist für jeden, der Langlauftechnik ein bisschen beherrscht, gut zu bewältigen. In diesem Jahr ist die Route allerdings nur bis unterhalb der Schutzhütte Ospitale offen, rund fünf Kilometer vom Ortsrand Cortinas entfernt. Das macht aber nichts – die 25 Kilometer von Toblach bis Ospitale sind lang genug für eine Tagestour und ohnehin der landschaftlich reizvollste Teil.
Wer die Strecke nicht kennt, ist mit einer geführten Tour gut beraten. Zum Beispiel in Begleitung von Eugenio Rizzo vom Toblacher Langlaufzentrum. Was man dem eher runden Mittsechziger nicht zutrauen würde: Er war in jungen Jahren Mitglied des italienischen Skilanglauf-Nationalteams. „Die Puste ist zwar weg – aber die Technik kann ich noch“, sagt Rizzo grinsend und fordert jeden zu einem kurzen Probelauf auf, „damit ich mir ein Bild machen kann“. Er ist zufrieden: „Das kriegen wir hin. Wir legen gleich los, im Skating-Stil.“
Rizzo schwebt an der Spitze der kleinen Kolonne davon und ruft im Schrittrhythmus: „Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei – Skating ist wie Walzer tanzen.“ Man muss, um im Takt zu bleiben, mit den Beinen kräftig drücken und mit den Armen schieben. Rizzos Gruppe folgt nicht so elegant, aber es geht hier nicht um stilistische Grandezza, sondern darum, wohlbehalten anzukommen.
Kurze Pause an der Festung Höhlenstein
Toblach liegt am Eingang des zerklüfteten Höhlensteintales. Bis 1962 verband die Dolomitenbahn den Ort mit Cortina d’Ampezzo. Heute dient die aufgelassene Bahnstrecke als Langlauftrasse. Bald geht es in Schleifen durch einen Fichtenwald. Dann folgt man dem Lauf der Rienz, die wie eine dunkle Ader durch die Wow-Landschaft fließt. Die Skier surren. „Der Oberkörper bleibt aufrecht, die Augen geradeaus“, schärft Rizzo seinen Schützlingen ein. Leichter gesagt als getan.
Es geht voran, wenn auch nicht allzu schnell – manchmal wird die Gruppe von durchtrainierten Läufern in hautengen Rennanzügen überholt. Pausen scheint Rizzo nicht eingeplant zu haben. Den weiß glitzernden Toblacher See, wo auf einer Restaurant-Terrasse entspannte Gäste ihre Gesichter in die Sonne halten, lässt er links liegen. Dann taucht hinter Bäumen das Mauerwerk der Festung Höhlenstein auf. Hier beschließt der Langlauflehrer dann doch, kurz anzuhalten. „Dort drüben waren im Ersten Weltkrieg die Österreicher“, sagt er und zeigt mit seinem Skistock auf die mit Schießscharten übersäte Fassade.
Sein Großvater habe damals in dieser Gegend auf italienischer Seite gekämpft. „Zum Glück ist das Geschichte“, sagt Rizzo, mit nationalistischer Heldenverehrung habe er nichts am Hut. Stolz sei er auf einen anderen Schachzug: Gegen den Willen der Schwiegermutter habe er, der Italiener, eine Deutschsprachige aus dem Pustertal geheiratet. „Die Kinder sind zweisprachig aufgewachsen – unser persönlicher Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung.“
Von Südtirol weiter nach Venetien
Am Cimabanche-Pass, mit 1530 Metern höchster Punkt der Strecke, zeigt ein Schild, dass hier Südtirol endet und Venetien beginnt. Ab jetzt geht es bergab. Unter fast senkrecht aufragenden Dolomitenwänden lugen ehemalige Bahnwärterhäuschen hervor. Zu sehen sind auch bröckelnde Bunker aus den 1930er-Jahren. Errichten ließ sie Benito Mussolini, der seinem Diktator-Kollegen Adolf Hitler nicht über den Weg traute und sich gegen dessen Expansionsgelüste wappnen wollte.
Oben auf einer Hügelkuppe lugt die St.-Nikolaus-Kirche empor, dahinter das alte Pilgerhospiz Ospitale – seit Jahrhunderten bieten diese Gebäude Reisenden geistlichen und leiblichen Schutz. „Es gibt rechtliche Probleme“ – so erklärt Claudia Menardi, die Wirtin, an der Bar der Ospitale-Schutzhütte die Tatsache, dass die Loipe Richtung Cortina unterbrochen ist. Wegen eines neuen Gesetzes müssten Langlaufloipen in der Region Venetien jetzt den gleichen strengen Sicherheitsbestimmungen genügen wie Skipisten, also umgerüstet werden. Auf Südtiroler Seite gelten andere Bestimmungen.
Ospitale ist ein altes Schutzhaus mit Kachelofen und dicken Deckenbalken, perfekt für eine Einkehr. Hier wird kein Skihütten-Fast-Food aufgetischt, sondern edle Alpenküche. Das Carpaccio di cervo – rohes, in hauchdünne Scheiben geschnittenes Hirschfleisch – ist ebenso erstklassig wie die in Lagrein-Rotwein geschmorte Rinderbacke mit Polenta.
Leichte und anspruchsvolle Strecken im Antholzer Tal
Zurück nach Toblach geht es bequem mit dem Linienbus, die Fahrt dauert nur eine gute halbe Stunde. Ähnlich lang ist man am nächsten Morgen von Toblach nach Rasen-Antholz unterwegs: Im Pustertal fahren Züge, hinauf ins Antholzer Tal Linienbusse. Dieses Seitental punktet mit einem modernen Biathlonzentrum, hier werden bei Olympia 2026 die Biathlonwettbewerbe ausgetragen, hier trainieren ebenfalls regelmäßig die Profis. Man kann im Antholzer Tal aber auch großartig Skilanglaufen.
Von 1000 bis auf 1650 Meter gibt es Strecken in allen Schwierigkeitsstufen. Besonders lohnenswert: die Loipe über den zugefrorenen Antholzer See mit überwältigendem Blick auf die Riesenferner Bergkette. Langlauf-Guide Isidor Messner empfiehlt angesichts des guten Wetters heute aber die Sonnenloipe.
Der Schnee knirscht unter den schmalen Latten, als die kleine Gruppe, Messner vorneweg, das Biathlonzentrum verlässt und hinter der Huber Alm in die 5,5-Kilometer-Spur einfädelt. Heute nicht im Skating-Stil, sondern klassisch. Und das heißt: Man rast nicht, sondern spaziert auf seinen Brettern geradezu gemütlich dahin. Umso mehr kann man die grandiose Kulisse bewundern. In leichtem Auf und Ab geht es durch die weiße Wald- und Wiesenlandschaft. Am Rand schieben Pistenbullys den Neuschnee zu großen Haufen zusammen – Reserven für magere Zeiten.
Rüttelt der Wind an den Fichten, die sich unter ihrer Last biegen, rieselt ein Flockengestöber nieder. Der Himmel ist blau, ringsum funkelt alles. Vorbei an tief verschneiten Blockhütten führt die Loipe durchs Tal. Von Trubel fehlt hier jede Spur. Im angrenzenden Wald kreuzen sich Wildspuren, im Geäst einer Zirbe krächzt ein Tannenhäher. „Er warnt seine Artgenossen vor uns Menschen“, erklärt Messner, „das wurde ihm zum Verhängnis. Weil er mit seinem Krächzen auch das Wild verscheuchte, rotteten ihn die Jäger früher fast aus.“ Heute wisse man, dass der Vogel für die Verbreitung der Bäume sorge, indem er die Zapfen verteilt, „also wird er geschützt“.
„Mit blinkenden Stirnlampen zu laufen ist unvergesslich!“
Nach knapp zwei Stunden ist die Sonnenloipe absolviert. Auch wenn sie einfacher zu fahren ist als die XXL-Strecke gestern: Man spürt im ganzen Körper, dass Langlauf Wintersport ist, mit Betonung auf Sport. Deshalb geht es mit dem nächsten Linienbus zurück nach Toblach.
Dort angekommen, fragt der Mitarbeiter im Sportgeschäft, bei der Rückgabe der Leihausrüstung, ob man Lust habe, später am Nachtlauf rund um die Langlauf-Arena mitzumachen? Die 2,3-Kilometer-Loipe werde von 17.15 bis 20.15 Uhr mit Flutlicht beleuchtet, jeden Dienstag und Donnerstag. „Ein Highlight für jeden Langlauffan“, lockt er. „Mit blinkenden Stirnlampen zu laufen ist unvergesslich!“
Kurz fühlt man sich vom olympischen Fieber erfasst und will schon das Anmeldeformular unterschreiben. Doch dann bückt man sich, um die Skischuhe auszuziehen – und spürt ein verdächtiges Ziehen im Kreuz. „Übertreib es nicht“, flüstert eine innere Stimme, „30 Loipenkilometer an zwei Tagen sind genug!“ Die innere Stimme gewinnt. Und am Abend stellt sich heraus, dass eine heiße Badewanne für Langlauffans ebenfalls ein unvergessliches Highlight sein kann.
Tipps und Informationen:
Anreise: Wer nicht mit dem Auto anreist, nimmt ab München den Zug bis Brixen/Bressanone, dort Umsteigen in Bus und Bahn Richtung Pustertal.
Langlauftipps: Informationen über Loipen, Langlaufkurse und -touren sowie Skiverleih in Toblach unter nordicarena-toblach.it/langlaufen/ und im Antholzer Tal unter langlauf-antholz.it.
Touristische Auskünfte: Dolomitenregion Drei Zinnen/Toblach, drei-zinnen.info; Tourismusverein Antholzer Tal, antholzertal.com; Urlaubsregion Südtirol, suedtirol.info
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von den Tourismusvereinen Toblach und Antholzertal. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.
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