Trump bleibt den Beweis für seinen Kurswechsel schuldig
In den ersten Monaten seiner Amtszeit hat Donald Trump viel dafür getan, um die Herzen im Kreml zu erobern. Er hat Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus vorgeführt und die Militärhilfen für die Ukraine zwischenzeitlich ausgesetzt. Er hat dem angegriffenen Land Mitschuld für den Kriegsausbruch gegeben und die Krim als russisches Territorium deklariert. Er hat dem Kreml die Aufhebung von Sanktionen und neue Deals mit den USA in Aussicht gestellt.
Es ist wichtig, all das in Erinnerung zu rufen, da an diesem Wochenende Hoffnungen auf einen Kurswechsel der US-Regierung aufgekommen sind. Wenige Stunden nach dem Gespräch mit Selenskyj in Rom äußerte Trump auf seiner Plattform „Truth Social“ so deutlich wie nie die Befürchtung, Putin könne ihn an der Nase herumführen – und gar keinen Frieden im Sinn haben. Der amerikanische Präsident brachte mögliche Sanktionen gegen Russland als Option ins Spiel, etwa im Bankenwesen.
Noch bleibt Trump den Beweis schuldig, dass er im Umgang mit Russland anders handeln kann und will. Bereits vor Wochen drohte der amerikanische Präsident mit Finanzsanktionen für den Fall, dass Putin Friedensverhandlungen blockiere. Doch es blieb bei Worten. Bestärkt durch das Ausbleiben amerikanischer Maßnahmen verübten Putins Truppen am Palmsonntag ein Massaker an Zivilisten im Nordosten der Ukraine; wenige Tage später folgte der tödlichste Luftangriff auf Kiew seit Monaten.
Es ist ohnehin eine Illusion, dass allein ein paar weitere Sanktionen den Kreml kleinkriegen könnten, denn Russland hat mit China, dem Iran und Nordkorea mächtige Partner. Entscheidend ist darum, wie es mit der militärischen Unterstützung für die Ukraine weitergeht. Um den Druck auf Putin zu erhöhen, müsste die US-Regierung neben Sanktionen ein unmissverständliches Bekenntnis zur Zukunft der Ukraine aussprechen. Dafür müsste sie auch neue Waffenlieferungen in Erwägung ziehen.
Doch Trump hat längst klargemacht, dass er keine neuen Hilfspakete bereitstellen will. Zuletzt ließ er auf Nachfrage eines Reporters offen, ob er den Verkauf amerikanischer Flugabwehrraketen an Kiew genehmigen würde. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie sich die USA nach einem möglichen Scheitern aller Verhandlungen verhalten würden – und ob sie etwa die Weitergabe von Geheimdienstinformationen einstellen könnten. In beiden Bereichen, der Flugabwehr und der Aufklärung, bleiben die Ukraine und Europa auf absehbare Zeit von den USA abhängig.
Es liegt darum im ureigenen Interesse Europas, alles zu unternehmen, um die USA bei der Unterstützung der Ukraine an Bord zu halten. Doch wir dürfen uns nicht darauf verlassen. Die EU muss sich auf das Szenario eines amerikanischen Rückzugs vorbereiten. Das bedeutet konkret: die Produktionskapazitäten und essenzielle Fähigkeiten wie Satellitenaufklärung massiv auszubauen und die uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine sicherzustellen.
So unberechenbar der Kurs der Trump-Regierung auch bleibt, so klar und entschlossen muss Europas Haltung sein. Emmanuel Macron hat am Samstag in Rom die Richtung vorgegeben: Kurz vor dem Gespräch zwischen Trump und Selenskyj stellte sich der französische Präsident demonstrativ vor die beiden, begann einen Smalltalk – und schlug mit Selenskyj ein, wie man es mit einem echten Freund tut.
Ibrahim Naber ist seit 2022 WELT-Chefreporter. Er berichtet regelmäßig von der Front in der Ukraine sowie aus anderen Kriegs- und Krisengebieten.
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