„Bekämpft die Oligarchie!“ – Wie Bernie Sanders jetzt den Widerstand gegen Donald Trump organisiert
Für die Republikaner ist er ein Kommunist, ein Großteil der Demokraten belächelt ihn als Revolutionär, dem das Gespür für den Politbetrieb in Washington fehle. Er scheiterte zweimal bei der Bewerbung als Gouverneur von Vermont, unterlag bei den Demokraten 2016 Hillary Clinton in den Vorwahlen für die US-Präsidentschaft, wurde aber immerhin einst von der New York Times als Bürgermeister von Burlington unter die 20 besten Stadtoberhäupter der Vereinigten Staaten gewählt.
Bernie Sanders hätte jeden Grund, es im Alter von 83 Jahren gemächlicher angehen zu lassen. Stattdessen steht der US-Senator aus Vermont an diesem frühlingshaften Samstag im Zentrum von Los Angeles auf einem Podest im Grand Park, umringt von gut 36.000 Menschen. Und er gibt dem Widerstand gegen die Trump-Regierung ein Gesicht. „Wir bringen die Bewegung zum Wachsen“, ruft Sanders seinen Anhängern unter Applaus entgegen.
Während die US-Demokraten die deutliche Niederlage bei der Präsidentschaftswahl noch immer nicht verdaut zu haben scheinen und sich gegenüber der Trump-Regierung weiter in Schockstarre befinden, hat sich der parteilose Sozialist mit der demokratischen Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez zusammengetan. Die 35-jährige New Yorkerin mit puerto-ricanischen Wurzeln ist eine prominente Anführerin des linken Flügels der Demokraten und Mitglied der „Squad“, einer progressiven Kongressfraktion.
Unter dem Motto „Fight Oligarchy“, also „Bekämpft die Oligarchie“, tourt das ungewöhnliche Duo derzeit durch die amerikanischen Städte. Heute Los Angeles, morgen Salt Lake City, am Montag Nampa (Idaho), Dienstag Bakersfield (Kalifornien) – das Programm von Sanders und Ocasio-Cortez ist sportlich, und es scheint den Nerv der Trump-Gegner in den USA zu treffen. Beobachter spekulieren bereits, ob der Widerstand gegen die Willkür reicher Herrscher ein Thema sein könnte, das die Demokraten bis zur nächsten Präsidentschaftswahl tragen könnte.
Die Kundgebungen, bei denen wie schon im Wahlkampf auch verschiedene Prominente und Lokalpolitiker auftreten, werden von zigtausenden Menschen besucht. Diesmal durften sich die Besucher unter anderem über Musik von Neil Young („Rockin‘ in the free world“) freuen.
Das Publikum in der kalifornischen Metropole und Demokraten-Hochburg besteht hauptsächlich aus gehobener Mittelschicht, darunter viele junge Menschen, die sich als sogenannte progressive Studenten zu erkennen geben. Um die Kundgebung herum haben sich lokale Gewerkschaften und Gruppen mit Ständen positioniert, darunter die „Democratic Socialists of America Los Angeles“, die „Tourism workers rising“, die „Los Angeles Alliance for a New Economy“ und die „United Service Workers“.
Vor den Eingängen hissen anti-israelische Demonstranten Banner, die den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu als „Hitler“ und Faschisten verunglimpfen. Wenige Meter weiter fordern Demonstranten: „Das faschistische Trump-Regime muss weg!“ Eine Frau mit Gitarre, Regenbogenflagge und Verstärker bietet „antifaschistische Karaoke“ an.
Der Tenor der Reden ist der altbewährte Klassenkampf vom arbeitenden Volk gegen die reichen Herrscher, die diese ausbeuten wollen. Obwohl oder gerade weil bei der vergangenen Präsidentschaftswahl die Arbeiterklasse überwiegend Trump gewählt hat, gibt sich das Duo Sanders/Ocasio-Cortez nun viel Mühe, genau diese wieder für sich zu gewinnen. Das Leben aller Amerikaner sei im Moment in außergewöhnlicher Gefahr, die „uns und künftige Generationen bedroht“, erklärt Sanders, nachdem er mit „Power-to-the-people“-Gospel-Gesängen die Bühne betreten hat, und meint damit die „Gier der Oligarchen“. „Wir leben in einer Zeit, in der eine Handvoll Milliardäre unser ökonomisches und politisches Leben und unser Land kontrollieren, mit einem Präsidenten, der kein Verständnis von und keinen Respekt vor der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika hat.“
Dann holt Sanders zum gewohnten Rundumschlag aus. „Ich sage euch, dass ihr alle in einem korrupten finanziellen System lebt, das es Milliardären erlaubt, Wahlen zu kaufen“, schimpft er. „Erzählen Sie mir nichts von Demokratie, wenn Elon Musk 200 Millionen Dollar in die Hand nehmen kann, um Donald Trump zu unterstützen und anschließend mit einem Regierungsposten belohnt wird.“ Jedes Mal, wenn Musks Name erwähnt wird, ergibt sich die Menge in empörten Buh-Rufen. Aber die Demokraten, fügt er hinzu, seien nicht besser, weil sie ihre Politiker anweisen würden, nicht gegen die Interessen ihrer reichen Unterstützer zu arbeiten.
Warum sich Sanders und Ocasio-Cortez gut ergänzen, zeigt sich beim Auftritt der Demokratin, die direkt zu Beginn ihrer Rede an die Festnahmen des pro-palästinensischen Greencard-Inhabers Mahmoud Khalil und anderer erinnert: „Nachbarn, Freunde, Studenten, die ins Ziel genommen, festgenommen werden und verschwinden.“ Diese Leute hätten keine Verbrechen begangen und würden lediglich festgenommen, weil sie sich für das palästinensische Volk einsetzten.
Lehrer und Professoren würden gefeuert, weil sie amerikanische Geschichte korrekt lehren würden. Einige Demonstranten mit Palästina-Tüchern halten jubelnd ihre „Free Palestine“-Schilder in die Luft. Die Bürger von Los Angeles ruft Ocasio-Cortez dazu auf, sich den „autoritären Anordnungen des Trump-Regimes“ zu widersetzen, um ihr Land und ihre Freiheit zu verteidigen.
Es sei frustrierend und bereite Kopfschmerzen, diesen Missbrauch von Staatsgewalt miterleben zu müssen. „Eine extreme Konzentration von Macht, Gier und Korruption ergreift dieses Land wie noch nie zuvor.“ Die 35-Jährige behauptet, die es Trump-Regierung habe es darauf angelegt, das amerikanische Volk in Rassen, Identitäten und Kulturen zu unterscheiden, um es als Einheit zu zerstören. Nur so könnten sie ihre „Agenda des dunklen Geldes“ verfolgen, die darin bestehe, die Löhne niedrig zu halten und die öffentlichen Güter teuer zu machen, damit die Oligarchen wie Elon Musk noch reicher werden könnten.
Erst diese Woche habe die Trump-Regierung die medizinische Versorgung, Leistungen von Veteranen und Sozialleistungen um Milliarden Dollar gekürzt, um „das Geld den Milliardären zu geben, die sie gewählt haben“. Die hart arbeitenden Menschen müssten zusammenhalten, um sich gegen die Oligarchie in Amerika zur Wehr zu setzen, am besten in Gewerkschaften oder Organisationen, die auch die Demokraten unterstützen, weil „diese die Macht haben, die Trump-Regierung zu bekämpfen“.
Ob es den Demokraten gelingt, mit dieser Erzählung und Bernie Sanders die Arbeiterklasse wieder für sich zu gewinnen, wird sich zeigen. Der in Los Angeles geborene Taxi-Fahrer jedenfalls, der an diesem Samstag Fahrgäste am Rande der Kundgebung aufliest, sagt, er habe Trump gewählt und bereue es auch nicht. Er vertraue auf die Wirtschaftspolitik des Präsidenten. „Es muss jetzt hart sein, damit es anschließend für alle besser wird“, glaubt er.
Sandra Hackenberg ist Redakteurin im Wirtschaftsressort. Sie schreibt über den Standort Deutschland, internationale Wirtschaftspolitik und Immobilien. Aktuell arbeitet sie für mehrere Monate für WELT in den USA.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke