Man tritt in Lesotho niemandem zu nah, wenn man feststellt, dass in dem winzigen Königreich im Süden Afrikas normalerweise nicht allzu viel passiert. Es gibt ein berühmtes Pferderennen, manchmal lädt der König zu einer großen Wanderung ein. Vor einigen Jahren gab es mal Schlagzeilen, weil dem damaligen Premierminister der Mord an seiner Ex-Frau vorgeworfen wurde.

Aber sonst haben die rund zwei Millionen Einwohner, die meisten von ihnen Kleinbauern in den Maluti-Bergen, ihre Ruhe. Das trifft auch auf Handelsminister Mokhethi Shelile zu. Normalerweise schläft er ungestört bis sechs Uhr morgens. Doch Anfang April wird er um drei Uhr nachts von WhatsApp-Benachrichtigungen geweckt.

„Hast du das mit den US-Zöllen gesehen?“, steht in einer. In einer anderen nur: „Was ist da los?“ Er ruft Lesothos Botschafter in Washington an: „Nein, das ist kein Scherz“, sagt der, „wir zahlen jetzt die höchsten US-Zölle der Welt.“ 50 Prozent auf alle Produkte. Anstelle von null, wie bisher unter einem US-Freihandelsabkommen mit Afrika (AGOA).

Ausgerechnet Lesotho, eines der 30 ärmsten Länder der Welt, erlebte die Achterbahnfahrt des globalen Zoll-Roulettes von US-Präsident Donald Trump existenzieller als jede andere Nation. Dessen absurde Formel teilte bekanntlich das Handelsdefizit der USA mit Lesotho durch dessen Gesamtexporte in die USA und wurde dann freundlicherweise halbiert – weil es sich bei seiner Regierung ja um „gute Menschen“ handele, behauptete Trump.

Am schlechtesten schnitt – wenig überraschend – das arme Lesotho ab, dicht gefolgt von anderen Entwicklungsländern. Die Enklave im Süden Afrikas exportierte zuletzt Waren im Wert von rund 240 Millionen Dollar in die USA, überwiegend Kleidung.

In den USA wurden nur ein paar Maschinen und medizinische Ausrüstung für nicht einmal drei Millionen Dollar bestellt. Teslas waren unverschämterweise nicht dabei, auch keine Starlink-Modems – in Lesotho wird dem Konzern von US-Milliardär Elon Musk bislang die Zulassung verweigert.

Katastrophe für Lesothos Wirtschaft

Vier Tage später setzt sich Minister Shelile in einen tiefen Hotelsessel in Lesothos Hauptstadt Maseru. Er atmet erst einmal tief durch, am Morgen hatte er eine Kabinettskrisensitzung, am Nachmittag wollen ihn panische Investoren sprechen. Und in Washington haben nur drei Trump-Berater ein Treffen in Aussicht gestellt. Zur US-Regierung gehört keiner von ihnen.

„Wenn wir eine Zusage haben, fliege ich sofort los“, sagt der kräftige Mann. In Lesotho bleibt ihm nur eins: „Ich renne rum und versuche ein Feuer nach dem anderen zu löschen.“ Der Stopp der zarten Industrialisierungsversuche der Agrarnation, wahrscheinlich Massenentlassungen, sogar eine drohende Devisenkrise – das alles sei „eine Katastrophe“.

Es dauert nach Trumps Verkündung des Zollpakets im Weißen Haus zwei Tage, bis die Nachricht bei der Zeitarbeiterin Mantoa Labane, 36, ankommt. Sie erfährt davon bei der Frühschicht in einer der größten Jeansfabriken in Lesothos Hauptstadt Maseru. Nachrichten liest die Schulabbrecherin nicht. Aber viele der Tausenden Arbeiterinnen in der riesigen Fabrikhalle können die Tränen hinter ihren Staubmasken nicht zurückhalten – und erzählen Labane, dass die Kündigung droht.

Sie war erst vor ein paar Wochen eingestellt worden, weil die Geschäfte gut liefen. 80 Prozent der Produktion geht in die USA zu Levi's. Der Durchschnittsamerikaner kauft 59 Kleidungsstücke pro Jahr, mehr als doppelt so viel wie noch im Jahr 2000. Nirgends ist „Fast Fashion“ so erfolgreich wie in den Staaten – ein Trend, der sich fortzusetzen schien. Die Auftragsbücher der von einem taiwanesischen Konzern betriebenen Fabrik waren voll.

Für die Amerikaner steht in diesen Tagen das Konsumgut der erschwinglichen Klamotten auf dem Spiel, für Labanes Familie die Existenz. Ihr Partner ist arbeitslos, das Gehalt in Höhe von rund 130 Euro im Monat muss auch die Tochter durchbringen.

Schon in wenigen Wochen, erzählt der taiwanische Fabrikdirektor später, droht die Kurzarbeit, dann Entlassungen, mittelfristig die Schließung. Die Profitmargen liegen bei nur zwei Prozent. Wettbewerbern wie Eswatini, Mosambik und Kenia waren nur zehn Prozent Zöllen auferlegt worden.

Nicht nur Trumps Zollpolitik schadet Lesothos Wirtschaft

Im südlichen Afrika wurde das Marktpotenzial sträflich vernachlässigt. Das auf die USA fokussierte Lesotho wäre entsprechend schnell von der Textillandkarte verschwunden. 12.000 der 30.000 Jobs in der Textilbranche hängen unmittelbar am US-Markt. Es sind die profitabelsten der Branche, die der größte private Arbeitgeber des Landes ist.

Gefährdet sind auch Tausende Arbeitsplätze aus anderen Branchen: Straßenverkäufer, Taxi-Fahrer, Immobilienmakler. Sie alle leiden bereits unter dem Massen-Exodus entlassener USAID-Angestellter.

Es ist Mittagspause, Labane geht mit schweren Schritten auf einem Hügel vor der Fabrik zu einem klapprigen Marktstand, kauft etwas Brot. Hinter den Schornsteinen ziehen sich dunkle Wolken zusammen. Man denkt an Coketown, die erfundene Stadt in Charles Dickens sozialkritischem Roman über die industrielle Revolution im Europa während des 19. Jahrhunderts. Der Titel ist denkbar aktuell: Hard Times.

„Diese Situation macht viele so fertig, dass man denkt, sie werden verrückt“, sagt Labane, „deshalb versuche ich nicht darüber nachzudenken, was ich mache, wenn ich meinen Job verliere.“

Aber am Sonntag hat sie in der Kirche dann doch dafür gebetet, dass sie ihren Arbeitsplatz behält. Einige Kollegen an den Essensständen sagen sogar, eine Fabrikschließung würde ihren Tod bedeuten. Worte, die in Lesotho besonders nachhallen. Es ist nach WHO-Angaben das Land mit der höchsten Selbstmordrate.

Eigentlich war Lesotho eine Erfolgsgeschichte. Das Freihandelsabkommen der USA mit Afrika florierte wie in kaum einem anderen Land. Immer wieder ermutigten die USA über ihre Botschaft in Maseru die Regierung, doch auch andere Wirtschaftszweige für den Export zu erschließen. Immerhin galt die Zollfreiheit für 6700 Produkte.

Für Fisch etwa. Also investierte der Lesotho Pensionsfonds in die Forellenfarm SanLei in den Bergen, die von spektakulärer Schönheit sind, aber sonst wenig Erwerbsmöglichkeiten liefern. 200 Menschen kamen so zu Arbeit, auch hier lief das Geschäft. Auch hier basierte es auf US-Exporten.

Am Telefon erzählt Direktor Krijn Resoort, dass die USA bislang nicht nur wegen der Zollbefreiung und der Größe des Marktes attraktiv waren. „Wir würden auch gerne in die EU exportieren. Aber selbst wenn das Unternehmen und das afrikanische Land alle Formalien erfüllen, muss man mit drei Jahren bis zur Marktzulassung rechnen.“

Der Geschäftsmann berichtet von endlosen Zertifizierungsverfahren in Brüssel, die zudem ganz im Gegensatz zu Exporten in die USA meist die umfangreiche Beteiligung der Regierung des Herkunftslandes erfordern – „für kleine Länder wie Lesotho ist das auch bei gutem Willen nur schwer zu leisten“. Der in den vergangenen Tagen oft beschworene Ausbau anderer Absatzmärkte ist also kurzfristig kaum möglich.

Man darf gespannt sein, ob die in Deutschland im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD einmal mehr kurz und vage beschworene „Vertiefung unserer Handelsbeziehungen mit afrikanischen Staaten“ endlich auch derartige Zusammenhänge in Brüssel adressieren wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass hehre Versprechungen an den Kontinent Lippenbekenntnisse bleiben.

Eine Woche lang schläft Resoort nicht durch, storniert Transporte, reduziert das Produktionsvolumen. Doch dann, wie aus dem Nichts, die Wende. Trump verkündet die Reduzierung seiner Zusatzzölle auf zehn Prozent für 90 Tage, zumindest für die über 75 Länder, die um Verhandlungen gebeten hätten und auf Vergeltungszölle verzichtet hätten. Beides trifft auf Lesotho zu. Das Land, das tagelang internationale Schlagzeilen machte, kann aufatmen. Ein wenig.

Am nächsten Morgen geht Handelsminister Shelile gut gelaunt ans Handy. Er hat das erste Mal seit Beginn dieses Chaos wieder durchgeschlafen, will sich aber nicht zu früh freuen. „Ich will es erst schwarz auf weiß sehen, dass wir runter auf zehn Prozent sind.“

Auch dieser Satz sei schwer zu verdauen. Aber immerhin würden dann wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen mit anderen Exporteuren bestehen. Entlassungen, wie bei der Jeans-Fabrik von Arbeiterin Labane, sind erst einmal wieder unwahrscheinlicher geworden.

Trumps Zollhammer – und die positiven Nebeneffekte

Der Politiker wartet jetzt weiter auf seinen Termin in Washington – und er ist gut vorbereitet. Eigentlich ist Lesotho in einer Zollunion mit vier anderen Ländern der Region. Darunter ist das wirtschaftliche Schwergewicht Südafrika, das bekanntlich miserable Beziehungen mit Trump hat.

Diese Konstellation ist ein ungünstiger Faktor, schließlich konnte Lesotho Zölle nur als Juniorpartner dieses Länderverbundes verhandeln. Und muss so angesichts von Trumps Groll gegen Südafrika mit einem langfristig schlechten Deal rechnen. Doch Shelile hat bereits reagiert. „Wir haben innerhalb der Zollunion vereinbart, dass wir bilaterale Abkommen mit den USA vereinbaren können“, sagt der Minister.

Auch Fischfarm-Manager Resoort wirkt nun ungleich gelöster. „Wir müssen abwarten, wie sich die zehn Prozent Zölle auswirken“, sagt er. Zudem seien 90 Tage ja auch alles andere als Sicherheit. Und doch ist seiner Stimme vorsichtige Erleichterung anzumerken. „Vielleicht hat es am Ende auch sein Gutes.“ Jetzt wisse zumindest die ganze Welt, dass es in Lesotho konkurrenzfähige Exportgüter gibt.

Im Februar hatte Trump bei einer seiner Wutreden zur Auflösung der Entwicklungshilfeagentur USAID noch behauptet, bei Lesotho handele es sich um ein Land, „von dem niemand je gehört hat“. Das hat sich in der Tat geändert.

Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.

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