Elon Musk bezeichnet Empathie als gefährlich. Die Empörung ist riesig. Aber Musk fürchtet etwas, wozu er gar nicht fähig ist, meint stern-Kolumnist Florian Schroeder.

Podcasts sind ein Problem, insbesondere dann, wenn sie kein Ende finden und mindestens einer der beiden Gesprächspartner ohnehin im Verdacht steht, in der Polarität zwischen Genie und Wahnsinn seit einiger Zeit eher geniefrei dem Wahnsinn zuzuneigen. Im Podcast von Joe Rogan sagte Elon Musk nun, der Westen habe zu viel Empathie. 

Der Aufschrei in den gut meinenden Kreisen auf diesen Satz war vorhersehbar. Nur ein sehr schlechter Mensch könne etwas gegen Empathie haben. Empathie, oder auch Mitgefühl, sei ein entscheidender Grundpfeiler zivilisatorischen Zusammenlebens, das Musk mutmaßlich ohnehin nicht beherrsche. 

"Da wird irgendwann ein Rückzug stattfinden – zumindest vor den Kulissen" © Uncredited/Pool/AP/dpa / n-tv
Expertin: "Musk ist extrem in Ungnade gefallen" © n-tv.de

Tatsächlich lohnt sich aber ein genauerer Blick. Musk meint mit der zerstörerischen Empathie weniger die persönliche – also jene von Mensch zu Mensch – als vielmehr eine gesellschaftliche. Die Empathie, die Angela Merkel 2015 etwa für Geflüchtete aufbrachte, wäre mutmaßlich genau jenes Grauen, das ihm vorschwebt und uns in seinen Augen alle in die Apokalypse treibt.

Elon hat mutmaßlich vierzehn Kinder – der Grund, warum er sie zeugte, war in erster Linie Angst vor dem Aussterben der Amerikaner. Elon möchte auf den Mars – weniger aus Abenteuerlust, als vielmehr aus Angst vor dem Weltuntergang. Damit ist er nicht allein: Viele Techmilliardäre sehen sich in Privatbunkern und auf anderen Planeten, um sich mit Geld in Sicherheit zu bringen. Sie glauben, sie könnten an einem Tag X der Erde entfliehen, die sie mit zerstört haben, indem sie sich an einen absolut sicheren Ort zurückziehen. Wir müssen uns also Elon Musk als einen ziemlich verstörten, zutiefst verängstigten Menschen vorstellen, der gegen diese Angst manisch ankämpft, indem er Geld, Macht und Bedeutung anzuhäufen versucht.

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Elon Musk hat Angst vor echter Empathie

Das entschuldigt nichts, erklärt aber einiges, auch hinsichtlich seiner Idee von Empathie. Die ist gefährlich, da sie sich der rationalen Kontrolle entzieht, der Musk sonst sein Leben unterwirft. Empathie ist emotional, radikal subjektiv und kann dazu verführen, über die eigenen Grenzen zu gehen, weil man sich mitreißen lässt von der Lage, in der sich ein anderer Mensch befindet. Diese Angst ist so nachvollziehbar wie unbegründet: Die Soziologin Eva Illouz zeichnet in ihrem sehr lesenswerten Buch "Explosive Moderne" präzise nach, dass Menschen früher wie heute sich eher der eigenen Gruppe zuwenden und fremde Gruppen und deren Mitglieder abwerten, während sie sich selbst aufwerten. Die grenzenlose Empathie für das Fremde, das den Westen nach Musks Auffassung an den Rand des Zivilisationszusammenbruchs bringt, ist ähnlich unwahrscheinlich wie absolute Sicherheit nach der Apokalypse auf einem fernen Planeten.

Zudem ist auch die Empathie nicht das bedingungslos Gute und darum Gefährliche, als das Elon Musk sie gerne markieren möchte. Im Alltag unterscheiden wir sprachlich selten zwischen Mitleid und Mitgefühl. Ersteres, das Mitleid, ist eine Art Mitgefühl plus Verachtung. Derjenige, der mitleidet, stellt sich auf eine höhere Position und macht den Leidenden klein. Friedrich Nietzsche ging davon aus, dass Mitleiden das Leid nicht lindere, sondern verdopple, da es an die Schwäche, statt an die Stärke des Menschen appelliert. Mitgefühl dagegen hält die Augenhöhe ein. Man fühlt mit, soweit man es kann, und wenn sich die leidvolle Erfahrung des Anderen der eigenen Nachvollziehbarkeit entzieht, so muss man auch keine Emotionalität heucheln, die nur verlogen wäre. Man könnte sagen: Heuchler haben Mitleid, ehrliche Menschen fühlen mit.

Ein anschauliches Beispiel für fehlgeleitete Empathie sind Drohnen-Eltern, die ihre Kinder überwachen, um im richtigen Moment als GSG-9-Einsatzkommando durchzugreifen. Sie sind Mini-Elon-Musks. Auch sie treibt weniger Liebe, als vielmehr die tiefe Angst vor dem Scheitern ihrer Kinder, weswegen sie auf die idealen Bedingungen für maximale Leistung setzen. Sie sichern damit aber in erster Linie den Fortbestand der Berufsgruppe der Psychotherapeuten, die diese Kinder irgendwann wegen einer Angststörung behandeln müssen. 

Der entscheidende Irrtum der blinden Verteidiger der Empathie ist folgender: Es gibt auch sadistische Empathie. Gemeint sind Menschen, die den Schmerz anderer Leute genießen, deren Lustempfinden in einigen Fällen sogar erst dann einsetzt, wenn ein anderer Mensch Schmerz erleidet. Lange hielt sich in der Psychologie die Auffassung vom Sadisten als empathielosem, kaltem, abgestumpftem Wesen. Heute weiß man, dass gerade manipulative Charaktere sich sehr stark einfühlen können in ihre Opfer, um anschließend umso erfolgreicher auf sie einwirken zu können.

Nach dem, wie Elon Musk bei Doge, der Behörde für Regierungseffizienz, mit Staatsbeamten umgegangen ist und zuvor auch mit Twitter-Mitarbeitern, nachdem er das Haus übernommen hatte, ist stark davon auszugehen, dass er ein hoch empathischer Mensch ist – spätestens in dem Moment, in dem er den Schmerz und das Leid derer sieht, deren Leben er mit so großem Furor zerstört hat.

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