Bundestagspräsidentin Klöckner: Dilettantismus als Chance
Es gibt das Glück des Amateurs, des Dilettanten. Er hat keine Ahnung, aber gerade das verschafft ihm punktuell Autorität. Sein frischer, unverstellter und unvoreingenommener Blick kann eine Chance sein. Das setzt aber eine Außenseiterposition voraus, die so eine Position der Unschuld werden kann.
Anders verhält es sich, wenn jemand über zwanzig Jahre bereits in einem Betrieb ist und dann immer noch fröhlich herumdilettiert. Julia Klöckner ist ein solcher Fall. Sie ist eine stets etwas anstrengend lächelnde Frohnatur, irgendwie kann man ihr nichts übelnehmen. Sie strahlt diese naive Leichtigkeit aus, in deren Umgebung die Probleme der Welt weit weg sind. So weit weg in etwa wie von den Pfälzer Weinreben, in denen man sich bequem einrichten kann in einem Grundmodus des Weggrinsens.
Nun bekleidet dieser tänzelnde Sonnenschein das zweitwichtigste Amt nach dem Bundespräsidenten. Eine Entscheidung, die aus Unionssicht nachvollziehbar ist. Unter Merz' wohlbekanntem Motto "Nun noch ein Wort zu den Frauen" dachte er sich, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und es doch ganz kommod wäre, wenn auf diesem wichtigen Posten eine säße, die ausführt, was der Mann der Tat Merz sich so ausgedacht hat.

CDU-Politikerin Julia Klöckner ist neue Bundestagspräsidentin – ihre Stationen, ihre Skandale
Ein Schelm, der Böses vermutet hinter der Tatsache, dass Julia Klöckner bis eben noch Schatzmeisterin der Union war. So wäre sie nämlich nun in ihrer neuen Funktion als Bundestagspräsidentin auch für die Prüfung der überaus hohen CDU-Spenden im Wahljahr 2025 zuständig. Das ist so, wie wenn der Steuerberater auch gleich die Steuerprüfung des Finanzamts durchführen würde. Ist das dann mit Bürokratieabbau gemeint?

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Julia Klöckners Schlingerkurs gegenüber der AfD
Julia Klöckner hat sich die Wirklichkeit schon immer so zurechtgegrinst, wie es ihr gerade passte. Es ist ihr 2019 gelungen, sich als Agrarministerin mit einem Video bei Nestlé zu bewerben, nein, Moment: für Nestlé zu werben und deren Strategie im Umgang mit Salz, Fett und Zucker zu loben. Wir erinnern uns: Nestlé ist der Konzern, der genau wie die damalige Ministerin auf Selbstverantwortung setzt, und zwar auf die Selbstverantwortung von Vierjährigen, die genau wissen, wann sie genug Nutella gegessen haben. Julia Klöckners Landwirtschaftsministerium und der Deutschland-Chef von Nestlé. Da prallten Welten aufeinander. Auf der einen Seite ein korrupter, undurchsichtiger Laden mit knallharter Lobbyarbeit auf Kosten der Ärmsten – und auf der anderen Seite Nestlé.
Klöckner gelang es, ihr Haus zu einer Filiale der Agrarindustrie zu machen. Dass sie dort nicht längst als Lobbyistin engagiert wurde, sondern nun als Bundestagspräsidentin für einen – im Vergleich zur Industrie – gefühlten Hungerlohn die AfD zur Ordnung rufen soll, ist schon ein Armutszeugnis. Für Klöckner, nicht für Nestlé.
Da wir schon bei der AfD sind: Zuerst sagte Klöckner, sie wolle sich der Fraktion vorstellen, nach Protest der Grünen dann doch wieder nicht. Es kam der Verdacht auf, dass die ehemalige Weinkönigin hier etwas wackelig auf den Beinen war. Hatte Wolfgang Kubicki sie auf ein Glas zu viel eingeladen? Schwer vorstellbar, dass eine Frau, die vor allem davon lebt, dass sie nett, gesellig und fröhlich ist, die Härte und Konsequenz aufzubringen in der Lage ist, die nötig sein wird, um einen Bundestag mit einer derart brachialen AfD-Präsenz in Zaum zu halten.

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Dass sie das ist, was man noch untertrieben eine Fehlbesetzung nennen könnte, zeigt auch ihr charmanter Besuch bei Julian Reichelts Rechtsaußen-Plattform Nius, die sie mit ihrem Besuch und einem Charme der umgarnenden Ahnungslosigkeit noch einmal zu adeln wusste.
Was soll man ihr übel nehmen?
Das Schlimme ist: Man kann Julia Klöckner all das noch nicht einmal vorwerfen. Sie wirkt eher tapsig, ganz so, wie man auf dem Weinfest in Neustadt an der Weinstraße eben auch den letzten Dödel wegumarmt, weil es eben das Weinfest ist und man die Stimmung nicht vermiesen will.
Sie kommt nun einmal aus einer Welt und auch einer Zeit, in der man es mit Fakten nicht so genau nahm: 2022 veröffentlichte sie einen offensichtlich falschen Tweet, in dem sie behauptete, Geflüchtete verursachten 690 Millionen Euro Zahnarztkosten. Die Union, Zahnärzte und Geflüchtete, das scheint eine eigenartige Obsession zu sein. Auch dass sie sogar von einer Community Note widerlegt wurde, störte sie nicht.
"Deutschland ist wieder da!" hat Friedrich Merz neulich mit Blick auf die Verteidigung Deutschlands ausgerufen. Schön wäre, es gäbe auch etwas zu verteidigen in diesem Deutschland. Nur was? Julia Klöckner ist es jedenfalls nicht.
Florian Schroeder, geboren 1979, ist Satiriker, Autor und Publizist. Er studierte Germanistik und Philosophie in Freiburg. In der ARD hostete er bis 2023 die Sendungen "Spätschicht", "Die Florian Schroeder Satireshow" und "Schroeder darf alles". Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zum Beispiel "Unter Wahnsinnigen. Warum wir das Böse brauchen." Derzeit ist er mit seinem Bühnenprogramm "Neustart" auf Tour. Seit Juni 2024 hat Schroeder die Kolumne "Kurz und schmerzhaft" auf stern.de.
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