Es geht um Milliarden und die Zukunft der möglichen Großen Koalition. Nun stimmt der Bundestag über das Finanzpaket von Union und SPD ab. Der stern nimmt Sie mit hinter die Kulissen.

Dieser Dienstag ist der Tag der Entscheidung. Der in wenigen Tagen nicht mehr existente 20. Bundestag stimmt kurz vor der Konstituierung des neuen Parlaments über das größte Schuldenpaket in der Geschichte der Bundesrepublik ab. Doch es steht noch deutlich mehr auf dem Spiel. Es geht um die Zukunft der sich bildenden Koalition von Union und SPD – und das Schicksal des designierten CDU-Bundeskanzlers Friedrich Merz. Und es geht um die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik.

Nötig ist eine Zweidrittelmehrheit, weshalb Union und SPD auch die Stimmen der Grünen benötigen. Nach zähen Verhandlungen hat die Partei, die aus der Regierung ausscheiden wird, ihre Zustimmung gegeben. Doch es ist unklar, ob alle Mitglieder der drei Fraktionen zustimmen. Die Unsicherheit hat auch damit zu tun, dass ein großer Teil der Abgeordneten in wenigen Tagen – freiwillig oder unfreiwillig – aus dem Bundestag ausscheidet. Derzeit wird mit bis zu einem Dutzend Abweichlern gerechnet, allerdings beträgt der Puffer 31 Stimmen.  

Florian SchillatDie Reihen im Otto-Wels-Saal der SPD-Fraktion füllen sich, die Athmosphäre ist locker und entspannt - die meisten frühstücken erstmal. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor gibt sich auf der Fraktionsebene des Bundestags im Interview mit Phoenix sicher, dass das Schuldenpaket durchgeht. Zumindest in der Union gebe es kaum Abweichler. Dann stellt der Mann, der als neuer CDU-Generalsekretär gehandelt wird, eine rhetorische und ziemlich merkelige Frage: Was sei denn die Alternative? Aaaaangetreten!

Guten Morgen, ab 9 Uhr ist «Zählappell» bei den Fraktionen. So schreibt es ein Abgeordneter. Heißt: Es wird geprüft, ob alle anwesend sind und keiner mehr überraschend seine Meinung ändert. Für Friedrich Merz geht es heute nämlich um alles: Scheitert das Paket, dürfte auch Merz wackeln.

Doch es sieht bisher aus, als würde es Merzscher Feiertag. Nach Stern-Informationen wollen um die 10 Abgeordnete von CDU/CSU, SPD und Grünen  bei den Grundgesetzänderungen fernbleiben oder dagegen stimmen.

Jeweils 1-3 sind es bei SPD und Grünen, rund fünf bei der Union. Hans-Jürgen Thies (CDU) will nun doch mitstimmen. Das Polster sind 31 Stimmen, sonst wäre die Zweidrittelmehrheit weg. Gibt es noch Überraschungen?

Link kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenFlorian SchillatGuten Morgen aus dem Reichstagsgebäude, genauer gesagt: von der Fraktionsebene. Bei der SPD ist noch alles vom Vorabend aufgebaut, ein weiteres Statement für die Presse soll es nicht geben, die ersten Abgeordneten begeben sich in ihren Sitzungssaal.

Um 9 Uhr trifft man sich noch einmal vor der entscheidenden Sitzung im Bundestag. Nochmal durchzählen. Stand Montagabend kann eine Genossin krankheitsbedingt nicht an der Abstimmung teilnehmen, de facto bedeutet das eine "Nein"-Stimme, hinzu kommt eine tatsächliche "Nein"-Stimme. Macht also zwei.

Rund eine Stunde später, ab 10 Uhr, beginnt dann ein denkwürdiger Tag im Plenum. Kommt es zum Milliardenschwur? Die Sozialdemokraten schicken hochkarätige Rednerinnen und Redner in die Debatte, die offiziell bis 13.30 Uhr angesetzt ist.

Den Auftakt macht Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil, gefolgt von Verteidigungs- und Beliebtheitsminister Boris Pistorius. Dann tritt Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, als Ländervertreter ans Rednerpult. Auch sollen etwa Wiebke Esdar, Sprecherin der SPD-Linken in der Bundestagsfraktion, und SPD-Chefhaushälter Dennis Rohde sprechen.  In der heutigen Sitzung des Bundestages werden drei Artikel des Grundgesetzes geändert: 109, 115 und 143h. Bislang ist das Grundgesetz seit seinem Inkrafttreten 1949 in 67 Gesetzen insgesamt 237-mal geändert worden. Diese Änderungen betrafen 122 Artikel, am häufigsten (10-mal) den Artikel 74. Er regelt die konkurrierende Gesetzgebung von Bund und Ländern. Der Bundestag bringt heute also die Änderungen 238 bis 240 auf den Weg.
Die letzte Änderung war – anders als man vermuten würde – nicht die Einrichtung eines Sondervermögens zur besseren Ausstattung der Bundeswehr, die Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ampel-Koalition mit Unterstützung der Union nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 3. Juni 2022 auf den Weg brachten. Vielmehr betraf die letzte Änderung den Artikel 82, der lautet: „Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet.“ Der Bundestag stimmte am 1. Dezember 2022 für einen zweiten Satz in diesem Artikel, wonach das Gesetzblatt „auch in elektronischer Form geführt werden“ kann – willkommen im digitalen Zeitalter. Link kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenNiklas MolterWeitere Versuche, den geplanten Beschluss des Bundestags über Finanzpaket auf rechtlichem Weg zu stoppen, sind in Karlsruhe gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht verwarf mehrere Eilanträge gegen die geplante Abstimmung.Karlsruhe lehnt weitere Anträge gegen Finanzpaket abDas Bundesverfassungsgericht hatte zuletzt mehrere Anträge gegen die geplante Verabschiedung des Milliarden-Schuldenpakets verworfen. Nun hat es über weitere Anträge entschieden.www.stern.deLink kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenNiklas MolterEine weitere Hürde vor der historischen Abstimmung zum Schuldenpaket ist genommen: Die CSU und die Freien Wähler haben sich auf eine Zustimmung Bayerns im Bundesrat geeinigt.Bayern will Schuldenpaket im Bundesrat zustimmenEinigung in Bayern: Die Freien Wähler und die CSU haben sich in einer Sitzung des Koalitionsausschusses verständigt, für das Schuldenpaket zu votieren.www.stern.deLink kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenFlorian SchillatKlingbeils erster Coup? Lars Klingbeil macht klar: "Die SPD-Fraktion steht hinter dem Paket.“ Der Partei- und Fraktionschef der SPD prophezeit eine "sehr, sehr große Zustimmung“ in der abendlichen Fraktionssitzung der Sozialdemokraten für den bevorstehenden Milliardenschwur mit CDU/CSU und Grünen.  Eine Genossin werde krankheitsbedingt bei der Abstimmung fehlen, sagt Klingbeil – de facto bedeutet das eine "Nein"-Stimme. Dazu komme eine tatsächliche "Nein"-Stimme aus der SPD-Fraktion. "Stand jetzt“, schränkt Klingbeil am Montagabend ein. Es würden noch Gespräche mit dem Ziel geführt, "dass wir da noch besser werden“. Das "Nein" soll also noch zu einem "Ja“ werden. Am Dienstagmorgen trifft sich die SPD-Fraktion zu einer weiteren Sitzung. Ein letztes Mal Durchzählen.  Nach dem Desaster bei der Bundestagswahl wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit für das Finanzpaket ein veritabler Erfolg für die SPD – und für Klingbeil. Ein Sondertopf für Investitionen in die Infrastruktur, eine (erste) Reform der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben: Das hat die SPD schon im Wahlkampf gefordert. 

Ein Abstimmungserfolg am Dienstag dürfte die Genossen wieder mit etwas breiterem Kreuz gehen lassen, könnte man unter Beweis stellen, dass man nach der Wahlschmach noch Gewichtiges bewegen kann – auch als voraussichtlicher Juniorpartner in einer schwarz-roten Regierung. Für Parteichef Klingbeil, der vor knapp drei Wochen mit einem "ehrlichen", aber nicht überragenden Ergebnis auch zum SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde, wäre das ein Achtungserfolg. Hinzu kommt, dass ein geschlossenes Votum der Fraktion auch ihm den Rücken stärken würde. Und wenn’s nicht klappt? In der SPD winkt man ab: Die Union müsse ihre Reihen schließen und für eine stabile Mehrheit sorgen – schließlich wolle Merz Kanzler werden. Der größte Unsicherheitsfaktor scheint derzeit tatsächlich in der Unionsfraktion zu liegen, wenngleich die Anzahl potenzieller Abweichler bisher überschaubar ist, auch bei den Grünen deuten sich derzeit keine großen Überraschungen für die Abstimmung an. Link kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenMartin DebesUnd schließlich ist da noch das Bundesverfassungsgericht. Obwohl es zuletzt mehrere Eilanträge von Linke und AfD ablehnte, liegen inzwischen mehrere neue Einsprüche in Karlsruhe vor. Die fraktionslose Ex-AfD-Abgeordnete Joana Cotar beantragte erneut, die Abstimmung zu verschieben. Auch drei FDP-Abgeordnete argumentieren, dass die Beratungszeit für das Schuldenpaket nicht ausreiche. Zudem waren zuletzt noch drei weitere Organstreitverfahren und vier Verfassungsbeschwerden anhängig. Link kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenMartin DebesFalls der Bundestag an diesem Dienstag zustimmt, tritt die Grundgesetzänderung aber noch nicht in Kraft. Denn es gibt ja noch die Länderkammer, wo am Freitag auch eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. Konkret werden im Bundesrat, der 69 Sitze hat, 46 Ja-Stimmen gebraucht. Doch die Landesregierungen, an denen allein Union, SPD und Grüne beteiligt sind, kommen nur auf 41 Stimmen. Erst mit den sechs Stimmen aus Bayern wäre die Zustimmung sicher – wobei Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder bis zuletzt mit seinem Koalitionspartner Hubert Aiwanger von den Freien Wählern rang. Es schien aber zuletzt so, als wolle es Aiwanger nicht auf die vollständige Eskalation und einen möglichen Koalitionsbruch ankommen lassen.Link kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenMartin DebesDass der alte Bundestag derart weitreichende Entscheidungen treffen soll, ist nicht sachlich, sondern rein parteipolitisch motiviert. Da im neuen Parlament AfD und Linke gemeinsam mehr als ein Drittel der Sitze besetzen, müsste bei Verfassungsänderungen zusätzlich die Linke eingebunden werden. SPD und Grüne befürworten dies, aber die CDU betont ihren Abgrenzungsbeschluss aus dem Jahr 2018. Gleichwohl haben SPD und Grüne der Union abgerungen, dass der neue Bundestag bereits in diesem Jahr eine grundlegende Reform der Schuldenbremse beraten soll. Das ginge dann auch nur mit der Linke. Link kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenMartin DebesUnd darum geht es: Union und SPD wollen das Grundgesetz an drei Stellen ändern. Erstens sollten die Ausgaben für Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen, von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Das heißt: Alles über etwa 43 Milliarden Euro kann mit Krediten finanziert werden.

Zweitens ist im Grundgesetz ein neues Sondervermögen – vulgo: Schuldentopf – für Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität geplant. Die Höhe: 500 Milliarden Euro. Laufzeit: zwölf Jahre. Jeweils 100 Milliarden Euro sind für Länder und Kommunen sowie für Maßnahmen in den Klimaschutz reserviert.

Und drittens: Die Länder sollen – so wie der Bund – jedes Jahr 0,35 Prozent ihres BIP an neuen Schulden aufnehmen dürfen. Das war vor allem eine Forderung der Ministerpräsidenten. Link kopierenAuf Facebook teilenAuf X teilenPer E-Mail teilenTickarooLive Blog Software
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