Das Thema ist nicht besonders dringlich. Doch es wird diskutiert, als sei es das wichtigste im Hinblick auf die Zukunft von Borussia Dortmund überhaupt: Soll Mats Hummels tatsächlich zurückkehren? Derzeit wird nahezu jeder, der beim BVB Verantwortung trägt oder spielt, damit konfrontiert. „Jeder weiß, wie sehr wir Mats schätzen. Wir würden uns aber gerne erst einmal auf die sportlichen Dinge konzentrieren, die anstehen“, sagte Sebastian Kehl. Man habe, so der Sportdirektor, „dieses Thema aktuell nicht zu unserem Thema gemacht.“

Das ist nicht so ganz richtig, denn die Überlegung, Hummels, mittlerweile 36 Jahre alt, für die Dauer der Klub-WM vom 15. Juni bis 13. Juli für den BVB zu reaktivieren, kommt tatsächlich aus dem Verein. Und seit sie in der vergangenen Woche durchgesickert ist, ist sie nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Das musste auch Niko Kovac einsehen. Der wurde sogar gefragt, ob er sich eine Zusammenarbeit mit dem Ex-Nationalspieler, der vor einem Jahr beim BVB keinen neuen Vertrag mehr bekam und derzeit beim AS Rom nur noch geduldet wird, überhaupt vorstellen kann. Denn Kovac hatte während seiner gemeinsamen Zeit mit Hummels beim FC Bayern nicht gerade das beste Einvernehmen mit dem Weltmeister von 2014. „Es wird viel gesagt und geschrieben“, hatte Kovac versucht, diplomatisch zu reagieren. Von der Idee mit Hummels habe er jedoch auch gehört.

Die Personalie Hummels sagt einiges über Zustand des BVB aus

Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet die mögliche Rückholaktion eines Spielers, dessen Zeit in Dortmund von den sportlich Verantwortlichen aus voller Überzeugung beendet worden war, um endlich das Entstehen einer neuen Hierarchie zu ermöglichen, diskutiert wird – in einer Phase, in der die Notwendigkeit einer Neuausrichtung noch offensichtlicher ist als sie es vor einem Jahr schon war. Das sagt einiges über den Zustand des BVB aus.

Am Dienstag wird der Vorjahresfinalist der Champions League das Rückspiel im Viertelfinale gegen den FC Barcelona bestreiten (21 Uhr, im Sport-Ticker der WELT). Es wird sehr wahrscheinlich das vorerst letzte Spiel in der Königsklasse sein. Da ist zum einen die deftige 0:4-Hinspielniederlage vor einer Woche – zum anderen die Perspektive, in der kommenden Saison nicht mehr zu diesem erlauchten Kreis zu gehören. Die Gefahr ist groß, sich erstmals nach neun Jahren in Folge nicht mehr für den lukrativen Wettbewerb qualifizieren zu können.

Nach dem 29. Bundesligaspieltag haben die Dortmunder, bei denen Kapitän Emre Can am Montag im Abschlusstraining fehlte, sechs Punkte Rückstand auf Tabellenplatz vier, der zur Qualifikation für die Königsklasse berechtigen würde.

„Wir wollen das Spiel gegen Barca so angehen, dass wir gewinnen – wie hoch, ist sekundär“, sagte Kovac vor der Partie, die für den BVB einen Zäsur bedeuten kann. Gerade deshalb werde es darauf ankommen, sich gut zu präsentieren. Es gehe darum, den Fans das bestmögliche Gesicht der Mannschaft zu zeigen – und sich selbst zu beweisen, mithalten zu können. An einen Halbfinal-Einzug glaubt aber niemand mehr so recht. „Das wäre das größte Wunder in der Geschichte von Borussia Dortmund“, sagte Sport-Geschäftsführer Lars Ricken.

Es geht allerdings auch noch um etwas anderes: Darum, weitere Erkenntnisse im Hinblick zu gewinnen, was denn zu tun ist, schnellstmöglich wieder eine nationale und internationale Spitzenmannschaft zu werden. Was dies angeht, hatte die vergangene Woche bereits aufschlussreiche Eindrücke geliefert.

Denn hinter dem BVB liegen zwei Spiele, die bezeichnend für den Zustand der Mannschaft waren: zwei Partien gegen Topteams – in denen sich das Team höchst unterschiedlich präsentiert hatte. Da war das desaströse Erlebnis in Barcelona am Dienstag, als Egoismen einzelner Spieler dazu führten, dass der Klub ein verheerendes Bild abgab.

„Egal, gegen wen man spielt, man muss immer ans Limit gehen. Da darf man nicht spekulieren, wie man mit den Kräften haushalten kann“, hatte Kovac erklärt. Doch genau das war passiert: Die katalanischen Offensivkünstler hatten machen können, was sie wollten. Vor allem, weil die beiden Flügelstürmer Karim Adeyemi und Jamie Gittens nahezu jede Defensivarbeit verweigert und ihre Abwehrkollegen im Stich gelassen hatten.

Diese Form von Selbstüberschätzung war den Dortmundern in der laufenden Saison schon mehrfach zum Verhängnis geworden. Dass es auch anders geht, zeigte die Mannschaft nur drei Tage darauf. In München änderte Kovac Aufstellung und Grundordnung. Ohne Adeyemi und Gittens sowie mit einer kompakten Fünferabwehrkette wirkte das Team deutlich stabiler und erkämpfte sich ein 2:2 beim FC Bayern. „Wir haben uns gewehrt, sehr gut verteidigt. Die Einsatzbereitschaft, die Laufbereitschaft, das Zusammenspiel von allen hat mir gefallen“, befand Kovac.

Dies müsse der Maßstab für letzten Wochen der Saison sein – aber auch für die kommenden Jahre. Beim Umbau der Mannschaft muss es darum gehen, Spieler zu holen, die für Hingabe stehen – und darum, sich von Spielern zu trennen, die diese vermissen lassen. Adeyemi etwa fällt seit seiner Verpflichtung 2022 regelmäßig dadurch auf, seine taktischen Aufgaben zu vernachlässigen. Damit ist er zu einer Belastung geworden. Bei Gitttens, der 2020 aus der Manchester City Academy worden war, droht ähnliches – wenn nicht bald die Kurve hin zu einer verantwortungsvolleren Spielweise bekommen sollte.

Klubchefs haben Dringlichkeit von Veränderungen erkannt

Auf Ricken und Kehl wartet viel Arbeit, die Mannschaft benötigt dringend Veränderungen. Auch in Bezug auf Julian Brandt scheint die Geduld endlich zu sein. Der Spielmacher, mittlerweile seit sechs Jahren in Dortmund, wirkt seit Monaten seltsam gehemmt. Sein Abwehrverhalten vor den beiden Gegentreffern in München gab erneut Anlass zur Kritik – vor allem seine Passivität vor dem 1:1. „Er hat kein Interesse, der Mannschaft zu helfen“, sagte „Sky“-Experte Dietmar Hamann: „Mich hat es gewundert, dass er da noch zehn Minuten weitergespielt hat, den hätte ich sofort ausgewechselt.“

Die Dringlichkeit von Veränderungen haben sie in Dortmund erkannt. Auch eine Trennung von Niklas Süle, der vor knapp drei Jahren als vermeintliche Verstärkung geholt worden war und zu den Großverdienern zählt, wird angestrebt. Es dürfte allerdings schwierig werden, Abnehmer für Spieler zu finden, deren Marktwerte in der laufenden Saison erheblich gesunken sind. Hinter den Kulissen wird fieberhaft an Lösungen gearbeitet – egal wie schwer sie ohne die üppigen Zusatzeinnahmen aus der Champions League auch zu realisieren sein mögen.

Offen ist auch, ob sich der Carney Chukuemeka, der vom FC Chelsea ausgeliehen ist, weiter leisten kann. Er könnte Brandt ab Sommer ersetzen – vorausgesetzt, der BVB kann es sich erlauben, die Kaufoption in Höhe von 30 bis 35 Millionen für eine feste Verpflichtung zu stemmen. Auch weitere Zugänge müssten ins Budget passen. Vor diesem Hintergrund wäre ein erfolgreiches Abschneiden bei der Klub-WM hilfreich. Mats Hummels dafür wiederzuholen, wäre dennoch ein falsches, weil rückwärtsgerichtetes Signal: Er steht für die Vergangenheit.

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