Die Grundsatzfrage des Dortmunder Kapitäns ist leicht zu beantworten
Das Olympiastadion von Barcelona ist alt und weitläufig. Irgendwo in den Katakomben begegneten sich Niko Kovac und Hansi Flick dann nach dem Spiel. Kovac kam gerade aus dem Presseraum – Flick war auf dem Weg dahin. Der Trainer von Borussia Dortmund und der des FC Barcelona, die seit ihrer gemeinsamen Zeit als Chef- und Assistenztrainer beim FC Bayern kennen, sind befreundet. Sie nutzten die Gelegenheit für einen Gedankenaustausch – abseits der Kameras, die sie zuvor 90 Minuten lang auf Schritt und Tritt verfolgt hatten. Kovac, der frühere Chef von Flick, gestikulierte im Zwiegespräch mit dem alten Gefährten ungewöhnlich viel. Flick hörte eher zu.
Es wäre nachvollziehbar gewesen, wenn Kovac seinem Freund sein Leid geklagt hätte: Wie er, ausgerechnet in seinem wichtigsten Spiel, seit er beim BVB ist, von seinen Spielern fast schon im Stich gelassen worden ist. Denn so – oder zumindest so ähnlich – hatte es sich zugetragen: Mit dem 0:4 (0:1) in Barcelona verspielten die Dortmunder nahezu alle Chancen auf das Erreichen des Halbfinales.
Sicher: Bei einer Mannschaft, die über die vielleicht beste Offensive der Welt verfügt, sind Niederlagen, auch hohe, nie auszuschließen. Doch darum ging es nicht. Kovac ging es um die Art und Weise, wie das Debakel zustande kam. Das hatte ihn schon sehr geärgert – was er kurz zuvor in seiner Pressekonferenz auch deutlich kundgetan hatte.
„Wir haben auf diesem Niveau zu viele Fehler gemacht, die Barca dann mit seiner Qualität natürlich bestraft. Und was mich ärgert, ist vor allem die Tatsache, dass wir den Gegner zu drei von Gegentoren durch leichte Ballverluste eingeladen haben“, hatte Kovac erklärt. Der 53-Jährige, der seit seiner Jobübernahme beim BVB Anfang Februar dafür bekannt war, seine Spieler, selbst wenn sie so richtig schlecht gespielt hatten, öffentlich in Schutz zu nehmen, redete Klartext.
Zweikampfhärte? Schlicht nicht vorhanden
Fast nichts von dem, was verabredet gewesen sei, hätten sie umgesetzt. Das Doppeln der beiden Flügelstürmer Lamine Yamal und Raphina? Fehlanzeige. Die Wachsamkeit um Kontersituationen der Katalanen zu verhindern tendierte phasenweise gegen null. Und die Zweikampfhärte, mit der der Gegner beeindruckt werden sollte? Schlicht nicht vorhanden.
„Du musst die tollen Spieler, die Barcelona hat, bekämpfen, du musst körperlich gegen sei agieren. Wenn du sie aber spielen lässt, dann wird es schwierig“, erklärte Kovac. Der Vortrag seiner Mannschaft kam einer umgekehrten Gebrauchsanleitung gleich. Nach dem Motto: So darf ich in Barcelona auf keinen Fall spielen. Denn gleich von Beginn an ließen die Dortmunder die Bereitschaft vermissen, einen Fight zu liefern. Sie wurden von den Katalanen regelrecht schwindelig gespielt.
Barca erarbeite sich Chancen im Minutentakt: Vor allem das 17-jährige Wunderkind Lamine Yamal konnte machen, was es wollte – genauso wie Raphina, sein brasilianischer Gegenpart auf dem linken Flügel. Ramy Bensebaini und Julian Ryerson, die beiden BVB-Außenverteidiger, wirkten überfordert – und wurden von ihren Vorderleuten im Stich gelassen. Denn die beiden Flügelstürmer Karim Adeyemi und Jamie Gittens vergaßen schlicht ihre Aufgabe, sie in der Abwehrarbeit zu unterstützen.
Die Tore waren – bei aller Klasse der Katalanen – eine logische Konsequenz aus den Unachtsamkeiten des BVB. Sei es das 0:1 durch Raphina (25. Minute), das nach einem vermeidbaren Freistoß fiel. Oder das 0:2 und 0:3 durch Robert Lewandowski (48. und 66.), die, ebenso wie 0:4 durch den überragenden Yamal, aus leichtfertigen Dortmunder Ballverlusten resultierte.
Die Debatte um das Abwehrsystem ist müßig
Die anschließende Debatte, ob nicht auch Kovac seinen Teil zu dem Desaster beigetragen hätte, weil er von der zuletzt erfolgreich praktizierten Fünferkette mit drei Innenverteidigern abgerückt sei, war müßig. Wer so fahrlässig verteidigt, darf sich nicht auf taktische Feinheiten berufen. „Damit hat es nichts zu tun. Es ist keine Systemfrage. Es ist die Frage, ob jeder bereit ist, an die Schmerzgrenze zu gehen“, sagte Kapitän Emre Can.
Diese Frage war leicht beantworten: nein. Wieder einmal taten mehrere Dortmunder nicht alles, was sie hätten tun müssen und vielleicht auch tun können. Dies war schon oft passiert – bislang allerdings vornehmlich in der Bundesliga. Deshalb hatte Cheftrainer Nuri Sahin, der erst im vergangenen Sommer auf Edin Terzic gefolgt war, nach einem halben Jahr schon wieder gehen müssen. Deshalb läuft der BVB seinen Ansprüchen so weit hinterher.
Unerwartet war es höchstens, dass dies in einem Viertelfinale in der Königsklasse passiert. In diesem Wettbewerb, der ihnen die größtmögliche Aufmerksamkeit verspricht, haben sich die Profis bislang zusammengerissen und teilweise sogar bemerkenswerte Leistungen abgerufen.
Ausgerechnet bei den Bayern muss ein Sieg her
Doch Konstanz ist und bleibt in Dortmund ein Fremdwort. Daran hat auch die schrittweise Konsolidierung unter Kovac nichts geändert. Nach zwei Siegen in Folge gegen Konkurrenten im Kampf um die internationalen Plätze – 3:1 über Mainz und 4:1 in Freiburg – wagte der eine oder andere Fan sogar schon wieder von den Champions League-Rängen zu träumen. Dies könnte jedoch ein Wunschtraum bleiben – bei fünf Punkten Rückstand auf den FSV Mainz 05, derzeit Tabellenvierter, und nur noch sechs ausstehenden Spielen.
Am kommenden Samstag, wenn ausgerechnet der sogenannte deutsche Klassiker beim FC Bayern München ansteht, muss ein Sieg her. Anderenfalls ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass das Rückspiel gegen Barcelona am kommenden Dienstag das letzte Champions League-Spiel sein wird – für mindestens eine Saison. Für den stolzen BVB, der sich zuletzt neunmal in Folge für die Königsklasse qualifiziert hat und es in der vergangenen Spielzeit sogar bis ins Finale geschafft hatte, wäre dies eine schmerzhafte Zäsur – sportlich wie wirtschaftlich.
Eine Kampfansage wagte am Mittwochabend in den Katakomben des Olympiastadions von Barcelona jedenfalls niemand von sich zu geben „Nach einem 0:4 bist du super angepisst. Da findest du nicht groß Worte“, sagte Gregor Kobel. Er wünsche sich lediglich, dass die Mannschaft in München und dann im Rückspiel gegen Barcelona „mit so viel Mut wie möglich und mit Stolz auf den Platz geht“.
Das, so der Torhüter, seien sich die Dortmunder selbst schuldig.
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