Weltmeister Schröder hebt mit der NBA-Lachnummer ab
Detroit stellt in der Vorsaison einen ewigen NBA-Negativrekord auf. In diesem Jahr haben die Pistons ihr Schicksal gewendet, ihre Sieganzahl verdreifacht und die Playoffs erreicht. Seit Dennis Schröders Ankunft im Februar läuft es besonders gut.
Das Spiel ist knapp, der Gegner kein Geringerer als Ost-Primus Cleveland Cavaliers. Dennis Schröder zieht für die Detroit Pistons weniger als drei Minuten vor dem Ende zum Korb, legt sich den Ball von der linken auf die rechte Hand, stoppt abrupt und trifft den Sprungwurf von der Freiwurflinie. "In dieser Situation brauchst du jemanden, der furchtlos ist, der keine Angst vorm Scheitern hat. Und das ist Dennis Schröder", erklärt Pistons-Co-Kommentator Greg Kelser den Zuschauern.
Nur eine Minute später, bei nur noch 1:30 auf der Spieluhr, tanzt Schröder Cavaliers-Star Donovan Mitchell aus, springt hinter die Dreierlinie und versenkt den vorentscheidenden Treffer zum wichtigen Heimsieg gegen die Cavs - ohne den eigenen All-Star Cade Cunningham wohlgemerkt, der verletzt zuschauen muss. Sieben seiner 17 Zähler erzielt der deutsche NBA-Veteran im Schlussviertel, die meisten aller Akteure auf dem Parkett. "Er weiß, wie man Basketball spielt", attestiert ihm Head Coach J.B. Bickerstaff. "Er hat schon alles erlebt. Er hat den Mut und die Fähigkeit, die wichtigen Würfe zu nehmen, er scheut sich nicht vor den großen Momenten."
Der Sieg gegen Ost-Spitzenreiter Cleveland vergangene Woche war nicht nur beeindruckend; er war auch gleichbedeutend mit der ersten bilanzpositiven Pistons-Saison in zehn Jahren. Erst zum zweiten Mal in der Geschichte der Liga hat es eine Mannschaft geschafft, die Anzahl ihrer Siege innerhalb eines Jahres zu verdreifachen. Mindestens 28 Siege mehr als in der Vorsaison - das ist bisher nur neun Teams überhaupt gelungen, in mehr als 75 Jahren gebündelter NBA-Historie. Im Unterschied zu all diesen Teams verpflichtete Detroit aber keine künftigen Hall of Famer oder erhielt genesene All-NBA-Spieler nach einer verletzungsgeplagten Saison zurück. Wie also hat der lange katatonische Klub aus Michigan innerhalb kürzester Zeit die Kehrtwende geschafft, von der größten Lachnummer der Liga zur größten Überraschung seit Langem?
Traditionsteam zuletzt historisch schlecht
Die Pistons sind eine der Traditions-Franchises der Liga und seit ihren Anfängen in den 1940er Jahren Teil davon. Drei Meisterschaftsbanner hängen unter der Hallendecke, der bisher letzte Titel liegt aber jetzt schon mehr als 20 Jahre zurück. Die Transformation vom Championship-Anwärter zum Team im Neu- und Wiederaufbau war schmerzhaft und quälend. Magere drei Mal in den vergangenen 16 Jahren überlebte Detroit die reguläre Saison, nur um danach jeweils immer in Runde eins und ohne jeden Hauch einer Chance aus dem Titelrennen gefegt zu werden. Der bisher letzte Sieg in den Playoffs gelang 2008, als im Ost-Finale gegen den späteren NBA-Champion Boston Celtics Schluss war.
Damit endete auch die glorreiche Ära des frühen Millenniums, als Detroit sechs Mal in Folge die Eastern Conference Finals erreichte und die 2004 im dritten Meistertitel kulminierte. Klublegenden wie Chauncey Billups, Ben Wallace, Rip Hamilton, Tayshaun Prince und Rasheed Wallace werden in Michigan nach wie vor wie Helden verehrt. Einen Nachfolger und echten Franchise-Spieler jagte das Team aus der Motor City danach lange vergeblich, Detroit galt fast zwei Dekaden als personifizierte Inkompetenz.
Kein Klub hat in den vergangenen 16 Jahren mehr Pleiten angehäuft, fast zwei Drittel ihrer Partien hatte die Franchise aus Michigan verloren. Mit nur 466 Siegen bei 804 Niederlagen zwischen 2008 und 2024 lagen die Pistons abgeschlagen auf dem letzten Platz ligaweit. Fünf Mal in Folge erreichten sie weniger als 24 Siege, zwei Mal in Folge stellten sie die schlechteste Bilanz der Liga. In der Vorsaison verloren die Pistons auf dem Weg zu 68 Niederlagen sogar 28 Mal in Folge - NBA-Negativrekord und der letzte Tropfen ins Fass von Inkompetenz und Richtungslosigkeit.
Ein junger Superstar und Schröders Abgezocktheit
Teambesitzer Tom Gores entließ Manager Troy Weaver und Headcoach Monty Williams, obwohl er Letzterem vertraglich noch 65 Millionen US-Dollar schuldete. Es übernahmen Trajan Langdon als Team-Präsident und Bickerstaff als Cheftrainer. Mit ihnen kam frischer Wind in die Autostadt - vor allem, weil sie die Pistons personell und spielerisch endlich in die Neuzeit hievten. Mehr Spacing im Halbfeld, eine ruppige, überaggressive Defensive (Detroit führt die Liga bei den Fouls und technischen Fouls an), gute Rebound-Arbeit und ein enorm hohes Tempo (bestes Transition-Team der NBA) entschlüsselten die individuellen und kollektiven Fähigkeiten in Bickerstaffs Truppe. "Das Beste an unseren Jungs ist, dass wir immer neue Mittel und Wege finden, Spiele zu gewinnen", sagt der Coach.
Langdon verpflichtete eine Reihe von Veteranen und fähigen Distanzschützen wie Tobias Harris, Malik Beasley und Tim Hardaway Jr., die Franchise-Player Cunningham endlich Räume öffneten, um sein verheerendes All-Around-Game aufzuziehen. Der 23-Jährige antwortete mit der bisher besten Saison seiner Karriere und dem erstmaligen Sprung ins All-Star Team. Auch bei der Wahl zum "Most Improved Player" gilt er dank bärenstarker 25,7 Punkte und 9,2 Assists pro Partie als großer Favorit. Cunningham ist an einem Drittel aller Pistons-Angriffe direkt beteiligt, seine Nutzungsrate wird ligaweit nur von Giannis Antetokounmpo, Shai Gilgeous-Alexander und Luka Dončić übertroffen. "Er erinnert mich sehr an Luka", sagt Schröder über seinen Backcourt-Partner. "Es ist beeindruckend, wie er die Defensive seziert."
Der Deutsche kam zwar erst Anfang Februar nach "Motown", hat sich aber dank seiner Fähigkeiten als Spielmacher und Anführer im Eiltempo unentbehrlich gemacht. Egal ob neben Cunningham, oder als alleiniger Dirigent verschiedener Lineups: "Er wird uns sehr helfen, vor allem den jüngeren Spielern. Er kann für sich und andere kreieren, kann neben und ohne Cade spielen, alle möglichen Formationen anführen. Ein echter Profi, der jeden Tag zur Arbeit erscheint und sich an beiden Enden voll reinhängt", kommentierte Langdon den Trade vor zwei Monaten.
"Wir sind hungrig"
Tatsächlich hat der Braunschweiger die junge Truppe nachhaltig stabilisiert, vertritt den verletzten Cunningham bisweilen sogar ausgezeichnet in der Startformation: Detroit hat drei von fünf Partien gewonnen und steht fast sicher in den Playoffs. Am 6. Februar landete der deutsche Nationalmannschaftskapitän in der Motorstadt, als Teil eines komplexen Fünf-Team-Trades mit Golden State, Miami, Utah und Philadelphia, der All-Star Jimmy Butler zu den Warriors verfrachtete - Schröders ehemaliges Team nach seinem Wechsel aus Brooklyn. Die Pistons sind Schröders achtes Team in der NBA und bereits das dritte in der laufenden Saison - vier sogar, wenn man seinen Zwischenstopp bei den Jazz berücksichtigt (für die er allerdings nie eine Partie absolvierte). "Das war schon eine Menge, insbesondere für meine Familie", erinnert sich Schröder. "Aber so ist dieses Business eben. Die Liebe, die ich hier seit meiner Ankunft erfahren habe, ist großartig."
Seit der Trade-Deadline Anfang Februar haben die Pistons 17 von 25 Spielen gewonnen. Nur die großen Championship-Favoriten Oklahoma City, Boston, Cleveland und Golden State haben im selben Zeitraum eine bessere Bilanz. Schröder hat 23 Partien für seinen neuen Arbeitgeber absolviert, die Bilanz mit 15:8 Siegen ist erstrangig. Detroit stellt in jenem Zeitraum die drittbeste Abwehr der Liga, den fünftbesten Angriff und das viertbeste Net-Rating. Mit Durchschnittswerten von 10,9 Punkten und 5,4 Vorlagen in gut 24 Minuten Einsatzzeit pro Abend reicht Schröder zwar nicht an seine herausragenden Statistiken im Nets-Trikot heran. Seine Führungsqualitäten hingegen sind über jeden Zweifel erhaben: Er zählt auch als Piston zu den ballsichersten Spielern der Liga, seine Assist-zu-Ballverlust-Rate ist mit 4,8 absolut elitär und würde zu den fünf besten der Liga zählen, wenn über eine volle Saison aufgelegt.
Der echte Härtetest steht für die junge Truppe noch aus. In wenigen Wochen beginnen die Playoffs. Detroits Spielstil, die Schwächen im Halbfeld, dazu die kollektive Unerfahrenheit, das sind schon massive Fragezeichen. Wie sie sich dort verkaufen, und ob sie vielleicht sogar den ersten Sieg seit 17 Jahren einfahren können, wird auch von Schröder abhängen, dem mit 68 Playoff-Einsätzen erfahrensten Akteur in diesem Kader.
Egal aber, wie diese Spielzeit letztendlich ausgehen mag: Dieses Team ist keine Eintagsfliege. Die Leistungsträger Cunningham, Isaiah Stewart und Jaden Ivey sind erst 23, Ausar Thompson 22, Jalen Duren 21 und Ron Holland zarte 19. Detroit hat Cap Space satt und bereits jetzt so etwas wie eine Team-Kultur etabliert. Sie tanzen zusammen, feiern zusammen, stacheln sich gegenseitig an. Die Energie in der "Little Caesars Arena" ist ansteckend. Keine Egos, keine Ausreden, dafür "gute Vibes" satt. Die jungen Pistons glauben fest daran, dass sie jedes Team in der Liga schlagen können. Und dürften in Zukunft nur besser werden. "Wir haben riesige Schritte gemacht, haben gelernt, wie man Basketballspiele gewinnt", sagt Cunningham. "Es war verdammt schwer, aber wir sind dran geblieben, und sind in diesem Jahr belohnt worden. Wir sind hungrig ...".
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