Dieser Champions-League-Sieger ist zentraler Teil der beliebtesten Fußball-Runde der Welt. Der frühere Liverpool-Profi Jamie Carragher sendete vergangene Woche aus dem Santiago Bernabéu in Madrid und sah, wie Real mit 3:1 Manchester City aus der Königsklasse schoss. Für den US-Sender CBS analysiert der 47-Jährige neben Thierry Henry, Micah Richards und Moderatorin Kate Scott die besten Teams Europas. Carragher gehörte seit 1992 dem FC Liverpool an, 2005 gewann er mit dem Team die Champions League, 2013 beendet er dort seine Karriere.

Frage: Mister Carragher, ist Real Madrid jetzt der Favorit auf den Champions-League-Titel?

Jamie Carragher: Ich denke ja. Bei Real ist ein langsamer Start inzwischen Normalität, doch dann nehmen sie nach Weihnachten Fahrt auf. Wenn man sich die beiden Spiele gegen Manchester City anschaut, waren die Leistungen sehr beeindruckend. Sogar im Hinspiel, als ihnen einige Abwehrspieler fehlten. Im Rückspiel sah es dann wie Männer gegen Jungs aus. Mbappé zündet gerade erst so richtig nach einem schwächeren Saisonbeginn.

Frage: Gegen City harmonierte die Reihe mit Kylian Mbappé, Vinícius Júnior, Jude Bellingham und Rodrygo. Sollte der Rest Europas Angst haben?

Carragher: Europa sollte sogar viel Angst vor ihnen haben. Mbappé und Vinícius zählen zu den drei, vier besten Spielern der Welt. Vor der Saison war es ein Rätsel, ob sie zusammenspielen können, aber jetzt hat Carlo Ancelotti die richtige Struktur gefunden, um das Beste aus beiden herauszuholen. Daher ist er auch der beste Trainer für dieses Team.

Frage: Würden Sie auch auf Real als Sieger tippen?

Carragher: Ihre Auslosung ist sehr schwer. Duelle mit Teams aus deiner eigenen Liga sind nie leicht, weil dir das Europapokal-Gefühl fehlt. Gegen Atlético spielten sie diese Saison daheim nur unentschieden. Dieses Los wird Real nicht gefallen. Wenn wir Runde für Runde durchgehen, dann lautet mein Finale am Ende Liverpool gegen Barcelona – und Liverpool gewinnt nach Elfmeterschießen. Aber beim Halbfinale von Liverpool gegen Real schwanke ich hin und her, doch sage am Ende Liverpool. Das Spiel ist wie ein Münzwurf.

Frage: Manchester City macht die schwerste Saison seit 2016/17 durch, damals wurde man Dritter, schied im Achtelfinale der Champions League aus und holte keinen Titel. Ist der Zauber von Pep Guardiola futsch?

Carragher: Guardiolas Zauber ist nicht weg, aber die Magie dieses Kaders ist definitiv verloren gegangen. Manchester City sollte jetzt diesem großen Trainer Zeit geben, das zu reparieren. Im Januar-Transferfenster haben sie es mit Marmoush, Khusanov und Nico González versucht, aber bei diesen Verpflichtungen geht es nicht nur um das Jetzt, sondern vielmehr um die Zukunft, also die nächsten drei, vier Jahre. City ist am Ende eines Zyklus.

Frage: Wie ist es dazu gekommen?

Carragher: Sie haben den Kader falsch zusammengestellt. Es ist normal, dass die großen Teams mal ein bisschen abfallen, aber das ist jetzt ein großer Absturz, den keiner erwartet hat. Ihre Zukunftsplanung haben sie schlecht gemacht: Sie haben in den vergangenen Jahren Spieler geholt, die sich nicht durchgesetzt haben. Dann verpflichteten sie Spieler, die nicht bereit waren – wie Kalvin Phillips und Matheus Nunes. Da diese es im Mittelfeld nicht brachten, holte City Ilkay Gündogan und Mateo Kovacic. Du hast immer noch Kevin De Bruyne, Bernardo Silva und den verletzten Rodri. Im Mittelfeld war die Planung einfach falsch. So etwas hat man bisher nicht erlebt, da waren die Übergänge nahtlos.

Frage: Sollte Guardiola wechseln?

Carragher: Nein! Vielleicht könnte man das nächste Saison sagen, falls es so schwach weitergeht. Bei der Qualität im Kader und den hohen Ausgaben kann sich City nicht zwei schlechte Spielzeiten erlauben. Sie haben Fehler gemacht, und vielleicht sind einige Spieler auch müde, Guardiola zuzuhören. Das ist normal, wenn ein Trainer so lange da ist. Daher brauchen sie eher neue, frische Spieler. Pep sollte City nicht verlassen. Sie brauchen keine neue Identität, denn Peps Weg ist seit 15 Jahren unheimlich erfolgreich.

Frage: Guardiolas Lehrling ist Vincent Kompany. Sie konnten ihn bei Burnley in der Premier League beobachten. Wie bewerten Sie bisher seinen Übergang zum FC Bayern?

Carragher: Ich denke, dass er Glück hatte, den Job bei Bayern zu bekommen. Sie haben gesehen, was Xabi Alonso bei Leverkusen erreicht hat. Ein Ex-Spieler, der als junger Trainer Erfolg hat. Kompany kennt die Bundesliga, spielte in Hamburg. Er war als Spieler ein großer Name und hat die Pep-Ideen verinnerlicht. Die Bayern halten viel von Guardiola. Bisher hat er das geschafft, was von ihm erwartet wurde. Aber nach Platz drei im Vorjahr waren die Ansprüche auch wirklich niedrig. Es konnte also nur besser werden. Bayern sollte jede Saison Meister werden – egal, wer Trainer ist. Wenn Kompany mit Bayern Meister wird, wäre das eine Note 3 bis 4, das ist noch nichts Herausragendes. Der Erfolg der Münchner hängt immer davon ab, was sie in der Champions League erreichen.

Frage: Nach dem recht knappen Weiterkommen gegen Celtic: Steckt in Bayern ein Titel-Team?

Carragher: Bayern hat mich überhaupt noch nicht überzeugt. Jetzt geht es gegen Leverkusen, die Bayern zuletzt in der Bundesliga beherrscht haben. Es ist ein 50:50-Duell. Am Ende tippe ich auf Leverkusen. Wenn Kompany das nicht gewinnt, wird es viele Fragen zu seiner Verpflichtung geben, weil die Meisterschaft erwartbar ist, und die Champions League der Zuckerguss einer Saison ist. Sie müssen mindestens das Halbfinale erreichen.

Frage: Bayern hofft auf das „Finale dahoam“.

Carragher: Das bringt zusätzlichen Druck. An solchen Heimfinals sind schon viele gescheitert, weil die Teams glauben, dass sie um jeden Preis dort sein müssen. Bayern hat ja die Erfahrung 2012 schon gemacht. Da ging es gegen Chelsea dann schief.

Frage: Bayern ist auf Meisterkurs, es wäre der erste Titel für Harry Kane. Würden Sie sich für ihn freuen, und was wäre das wert?

Carragher: Ich wäre sehr glücklich. Das würde den ganzen Idioten den Mund stopfen, die ihm ständig vorhalten, dass er nie eine Trophäe gewonnen hat. Er ist seit fast zehn Jahren einer der besten Stürmer Europas. Aber ich muss sagen: Eine Meisterschaft mit Bayern ist jetzt nicht wirklich eine überragende, unfassbare Leistung. Wenn sie die Champions League gewinnen, wäre das etwas anderes. Harry hatte das Pech, dass er in England mit Tottenham bei einem Klub spielte, der dafür berüchtigt ist, keine Titel zu gewinnen. Aber das war nicht seine Schuld.

Frage: Das Spiel Bayern gegen Leverkusen ist auch das Duell Jamal Musiala gegen Florian Wirtz. Wen hätten Sie als Trainer lieber in Ihrem Team?

Carragher: Vor dieser Saison hätte ich Musiala gesagt. Er ist einer meiner Lieblingsspieler. Ich schaue ihm so gern zu, vor allem in den großen Turnieren mit der deutschen Nationalmannschaft. Da ist er etwas Besonderes. Diese Saison hat er noch nicht seine Bestform gezeigt. Ich habe den Eindruck, dass seine Entwicklung ein wenig stagniert. Vielleicht liegt das an der Heim-EM und dem neuen Trainer. Wirtz spielt dagegen fantastisch. Wegen der aktuellen Form würde ich momentan eher Wirtz nehmen. Aber ich bin ein riesiger Musiala-Fan.

Frage: Trauen Sie beiden irgendwann den „Ballon d’Or“ zu?

Carragher: Den traue ich ihnen zu! Noch nicht jetzt, aber in zwei, drei Jahren, wenn sie mehr Erfahrung haben und auf dem Höhepunkt ihrer Karriere sind.

Frage: Sie gewannen 2005 gemeinsam mit Xabi Alonso die Champions League. Was zeichnet ihn als Trainer in Leverkusen aus?

Carragher: Xabi hatte schon immer ein riesiges Fußball-Wissen. Er hat unter Mourinho, Guardiola, Benítez und Ancelotti gespielt. Das ist, als ob man in Harvard seinen Trainerschein macht. Besser geht es nicht. Auch sein Vater war ein Fußballer. Er war dafür bestimmt, ein toller Trainer zu werden, und was er mit Leverkusen geschafft hat, ist stark. Auch wenn Leverkusen gerade acht Punkte hinter Bayern liegt, so haben sie nur einmal in der Bundesliga verloren. Ein kleiner Rückgang war zu erwarten, es ist aber immer noch eine sehr gute Saison.

Frage: Wo sollte er in Zukunft Trainer werden? Würden Sie sich ihn irgendwann einmal bei Liverpool wünschen?

Carragher: Ich würde es lieben, wenn er einmal Liverpool trainieren würde. Wegen seiner Zeit als Spieler würde er sehr gut passen. Ich frage mich allerdings, ob sein System mit Dreier- bzw. Fünferkette hinten zu Liverpool passen würde. So hat Liverpool lange nicht mehr gespielt. Das war wohl auch ein Grund, warum sie ihn noch nicht geholt haben. Sie haben ihn und Rúben Amorim (damals Sporting, jetzt Manchester United, d. Red.) angeschaut. Aber die passten nicht so zu den Spielern, die sie hatten. Daher fiel die Wahl auf Arne Slot, der Jürgen Klopp ähnlicher ist. Mit Slot sind wir aktuell sehr glücklich!

Frage: Liverpool ist in der Premier League auf Titelkurs. Wie hat Slot es geschafft, das Team nach Klopp weiterzuentwickeln?

Carragher: Er drückte dem Team seinen Stempel auf, aber dieser musste gar nicht so groß sein. Es gibt viele Gemeinsamkeiten mit Jürgen. Sein System setzt etwas mehr auf Ballkontrolle. Bei Klopp ging es mehr hin und her. Unter Slot ist es etwas langsamer und präziser. Das hilft Liverpool auch in der Defensive und sorgt auch dafür, dass es weniger Verletzungen gibt. Unter Klopp war unsere Bilanz in der Verteidigung nicht so gut, denn man musste perfekt spielen, damit es nicht auch mal nach hinten losging. Da ging es schon mal 3:3 aus, aber dafür wurde Jürgen geliebt.

Frage: Wie überrascht waren Sie, dass Klopp zu Red Bull gegangen ist?

Carragher: Er hat immer gesagt, dass er noch im Fußball arbeiten will. Daher überraschte es mich nicht, dass er zurück ist. Er hat die Möglichkeit, durch die Welt zu reisen, sich verschiedene Klubs und Ideen anzugucken. Die nimmt er dann vielleicht zu einem Trainerjob, vielleicht sogar bei der deutschen Nationalmannschaft mit. Außerdem wird er bestimmt sehr gut bezahlt.

Frage: Die Verträge von Mo Salah, Virgil van Dijk und Trent Alexander-Arnold laufen alle nach dieser Saison aus. Würden Sie alle drei behalten?

Carragher: Liverpool schaut sich immer genau an, was die Spieler wert sind. Sie könnten sich wohl alle drei leisten. Aber der Klub sieht nicht den entsprechenden Wert in den nächsten zwei bis fünf Jahren. Ich vertraue da der Klubführung. In den vergangenen zehn Jahren lagen sie öfter richtig als falsch. Falls aber alle drei den Klub verlassen würden, müsste sich die Führung harten Fragen stellen. Dann wäre Liverpool für die nächste Saison nicht gut aufgestellt. Der Druck auf den Nachfolgern wäre riesig. Ich glaube, dass Salah und van Dijk bleiben werden, Alexander-Arnold wird gehen.

Frage: Klopps früherer Verein, Borussia Dortmund, erreichte vergangene Saison das Finale, verlor 0:2 gegen Real. In der Bundesliga tut sich der BVB schwer, in der Champions League läuft es besser. Wie bewerten Sie die Mannschaft?

Carragher: Man dachte vergangene Saison auch schon, dass dem Team die nötige Qualität fehlt. Platz fünf in der Bundesliga war unter den Erwartungen. Was sie haben, sind der Glaube und die Fans hinter sich im Stadion. Ich glaube nicht, dass sie es wieder bis ins Finale schaffen, aber sie sind härtere Gegner, als man es mit Blick auf die Bundesliga denken würde. Mit Nuri Sahin hat es einfach nicht funktioniert. Ich bewundere an deutschen Klubs, dass sie jungen Trainern eine Chance geben. Ich glaube aber, dass Nuri zurückkommen wird. 2012/13 spielten wir zusammen bei Liverpool. Er hat einen großen Fußballsachverstand und wird aus der Erfahrung lernen.

Frage: Ihre TV-Runde begeistert die Fans. Was war der witzigste Moment in dieser Saison? Alles rund um Brest, was im Englischen wie Brust klingt und so zu reichlich schlüpfrigen Sprüchen einlud?

Carragher: Damit hatten wir viel Spaß! Micah Richards bekommt jetzt bestimmt eine Dauerkarte von Brest. Das Ganze haben wir ziemlich gemolken. (lacht)

Frage: Was ist das Geheimnis der Runde?

Carragher: Die Chemie funktioniert, weil wir alle so verschieden sind. Micah ist ein mitreißender Typ, der Spaß macht. Thierry Henrys Wissen ist unfassbar. Kate Scott nimmt sich selbst nicht zu ernst. Wenn wir Mist bauen, lachen wir zusammen. Ich liefere gern die kontroversen Meinungen. Jeder hat seine Rolle.

Frage: Thomas Tuchel fängt am 21. März gegen Albanien als englischer Nationaltrainer an. Wie kann er England titelreif machen?

Carragher: Er ist ein geborener Gewinner, der den Spielern die Siegermentalität vermitteln kann. Er kennt viele Länder und Ligen, hat überall etwas gewonnen. Besonders in den K.o.-Runden ist er stark. Genau darum geht es bei großen Turnieren mit dem Nationalteam. In dieser Phase zählt es, dass du einen Trainer hast, der den Unterschied in großen Spielen macht und England über die Ziellinie bringt. Das ist das Einzige, was ihnen noch fehlt – dieser Titel. Gareth Southgate hat bis dahin brillante Arbeit abgeliefert, aber der entscheidende Schritt fehlte. Das werfe ich ihm aber nicht vor. Tuchel kennt diese großen Momente.

Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) erstellt und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.

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