Tate Modern und die Royals – braucht es das? London mit der Gen Z
Ein Skelett. Die Überreste eines Blauwals in einem Museum. Wer hätte gedacht, dass zwei lebensfrohe junge Frauen bei ihrem ersten Trip nach London ausgerechnet ein Knochengerüst zuerst ansteuern wollen? Und sie sind begeistert, machen aus jedem Winkel Handyfotos von dem 25 Meter langen Objekt. Tatsächlich ist es Instagram-tauglich. Wie so vieles im Naturhistorischen Museum, einem der berühmtesten seiner Art.
Dass der Eintritt frei ist, macht es für junge Besucher nur noch attraktiver. Ein Modell des ausgestorbenen Dodos, Dinosaurier-Fossilien, Meteoriten – meine Nichten fotografieren, schauen, drücken Knöpfe im interaktiven Teil der Ausstellung, sind einfach fasziniert.
Genau wie ich, die ebenfalls noch nie in London war, und das mit Anfang 60. Ich bin vorher einfach nicht dazu gekommen. Bis meine Nichten unbedingt die Stadt besuchen wollten. Immerhin rankt Großbritanniens Kapitale bei TikTok auf Platz zwei der beliebtesten Reiseziele weltweit (hinter Dubai und vor Barcelona). Solche Social-Media-Plattformen sind eine wichtige Inspirationsquelle für Amaya und Ana, beide Anfang 20 und damit Teil der Generation Z.
Gemeinsam London als Anfänger zu erleben, die Stadt auch durch ihre Augen zu entdecken, schien mir der perfekte Anlass für diese Premiere. Das Programm bereiteten wir gemeinsam vor. Ich las ganz klassisch Reiseführer und recherchierte auf der Website von Visit London. Die Nichten informierten sich bei Freundinnen und auf Social Media. Erstaunlicherweise waren die Ergebnisse gar nicht so unterschiedlich. Aber würde London die Herausforderung meistern, uns allen zu gefallen?
Enttäuschungen beim Shopping in London
Nach dem erfolgreichen Auftakt im Museum kommt die erste Prüfung. Shopping in London, das muss sein. Doch der berühmte Camden Market mit Krimskrams und Klamotten hält den hohen Erwartungen nicht stand, die durch Social Media geschürt wurden. „In Wirklichkeit sieht es aus wie auf Sardinien am Strand“, sagt Amaya.
Ana entbrennt für einen Pullover mit aufgestickter Kuh. Ihre Schwester googelt: „Den gleichen gibt es online, für ein Drittel des Preises.“ Die Kuh wandert zurück an den Kleiderständer. Enttäuschung auch in einem der Vintage-Läden. Die Nichten sind geradezu entsetzt, wie teuer in London sogar Second-Hand-Kleidung ist. „Eigentlich müsste es doch um den ökologischen Aspekt gehen, Gebrauchtes weiterzuverwenden“, sagt Amaya, „aber hier wird nur Geld gemacht.“
Kurz danach strahlen uns in der Sonne zwei rote Telefonzellen an. Ikonische Motive, perfekt für Social Media! Gute Spots für Videos und Bilder sind der Gen Z beim Reisen offenbar sehr wichtig. Und meine Nichten wissen genau, wo sie die finden. Auf der Millennium-Bridge, einem filigranen Steg über die Themse, stellen sie eine Szene aus „Rubinrot“ nach. Die Verfilmung des Jugendbuch-Bestsellers von Kerstin Gier wurde teils in London gedreht.
Weiter geht’s zur Westminster-Brücke. Auf der Südseite der Themse könne man Selfies machen mit Big Ben im Hintergrund, so verrät es ein TikToker. Der scheint recht bekannt zu sein – es warten schon mehrere Leute darauf, dass der Selfie-Spot frei wird.
Aber auch der alte Schmachtfetzen „Notting Hill“ (1999) mit Julia Roberts und Hugh Grant steht auf der Foto-Liste meiner jungen Nichten. Wir schaffen es kurz vor Ladenschluss zu der Buchhandlung, die im Film Hugh Grant gehört. Da wird schon gefeudelt, aber für einige Fotos reicht die Zeit. Dabei sagen wir uns gegenseitig Filmzitate vor. Generation Z und Babyboomer sind begeistert – so entstehen gemeinsame Urlaubserinnerungen.
Beim Thema Kunst scheiden sich die Geister
Als generationsübergreifender Erfolg erweist sich auch die Besichtigungsfahrt im Hop-on-hop-off-Bus. Wir sitzen im Doppeldecker oben vorn, das sind die besten Plätze. Über Kopfhörer werden Sehenswürdigkeiten und Stadtgeschichte erklärt. Gut informiert schaukeln wir zum Tower of London, fahren über die Tower Bridge, zu St. Pauls Cathedral, Big Ben und den Houses of Parliament. Eine bequeme Art für London-Neulinge, die Metropole zu entdecken. Wir werfen unsere Vorbehalte über die Touristenbusse über Bord.
Danach geht es zur Tate Modern in einem umgebauten Kraftwerk am südlichen Themseufer. Hier ist der Eintritt frei. Hinein geht es durch die gigantische Turbinenhalle zu moderner und zeitgenössischer Kunst. Unbedingt besuchenswert, finde ich.
Meine Nichten sind hingegen unbeeindruckt. Gelangweilt. „Kann man das nicht auch anders präsentieren?“, sagt Amaya. „So viele Bilder an einer weißen Wand, das macht keinen Spaß.“ In Wahrheit sind die Werke umfassend beschriftet, es gibt lange Kuratoren-Texte zu den Sälen. Ich versuche, den Zusammenhang der ausgestellten Bilder zu erläutern. Aber es hilft nichts, es gefällt nicht. Wir gehen wieder raus.
Kunst also „anders präsentieren“? Genau das verspricht Frameless – zum Preis von 31 Pfund (36 Euro) pro Person. 2022 eröffnet, gilt das „immersive Kunst-Erlebnis“ als neue Sehenswürdigkeit der Stadt. Die Dauerausstellung zeigt 42 berühmte Kunstwerke in technisch brillanten Video-Installationen. Dadurch sollen Besucher mit allen Sinnen in die Bilder „eintauchen“ (Englisch: „immerse“).
Werke von Hieronymus Bosch über Salvador Dalí bis zu Max Ernst wabern ineinander, untermalt von Säuselmusik. Eindrucksvoll. Aber mehr nicht. Kunst als Dekoration. Man erfährt nichts über die Qualen der Entstehung, die Auseinandersetzung mit der Welt, über das Wesen von Kunst.
Die Besucher werden berieselt von Farben und Formen. Auch betört. Doch nach einiger Zeit finde ich es langweilig. In jedem Raum verbringt man 20 Minuten, bis die Chose von vorn anfängt. Die Nichten aber sind fasziniert. Kunst ist offenbar eine Generationenfrage.
Die Nächte mit Netflix haben sich gelohnt
Wie auch die Wachablösung vor dem Buckingham-Palast. Männer mit riesigen Mützen marschieren zu Blasmusik. „Wie ein Kostüm-Umzug“, sagt Ana leicht befremdet. „Und Bärenfellmützen – braucht es das?“ Die Ältere meint, wer nicht auf die Royals abfahre, dem sage das nichts. Historisch seien die Royals „interessant. Aber der Kolonialismus der Briten!“ Amaya resümiert: „Wir sind im 21. Jahrhundert und reden über KI – wer braucht da noch eine Monarchie? Mir kommt das absurd vor.“ Ich stelle fest: Sie sind einfach nicht mit Lady Diana sozialisiert.
Dafür mit Netflix. Bei dem Streamingdienst haben meine Nichten viele Serien im englischen Original gesehen – und daher beste Voraussetzungen, die fremde Stadt intensiv kennenzulernen. Beide waren noch nie im englischsprachigen Ausland, aber sie sprechen flüssig und ungehemmt, erkundigen sich nach Details, bestellen im Restaurant. Die Nächte mit „Downton Abbey“ und „Friends“ haben sich eindeutig gelohnt.
Nachmittags gehen wir ins „St. Pancras Renaissance Hotel“. Zunächst verstehe ich nicht, warum meine Nichten dort unbedingt eine 150 Jahre alte geschwungene Treppe sehen wollen. Sie ist offenbar berühmt. Dann erfahre ich: Die Spice Girls sind schuld! Die Band drehte hier 1996 das Musikvideo zu „Wannabe“.
Da wir schon mal hier sind, gönnen wir uns den Laurent-Perrier Afternoon Tea. Es geht los mit Champagner. Meine Nichten tragen heute statt Urban Street Style etwas Elegantes und sind froh darum, fühlen sich so wohler in dem luxuriösen Hotel. Ein Kellner scharwenzelt um uns herum, Sandwiches, Scones, vielleicht noch ein Tee? Ich wähle Minze, Ana Roiboos, Amaya einen japanischen Genmaicha („schmeckt nach Spinat“). Zufrieden schreiten wir danach noch einmal die Freitreppe hinauf.
Kulinarisch ist die Stadt besser als ihr Ruf
Auch sonst schmeckt uns London, da sind wir uns einig. Denn nicht nur ist die britische Kulinarik mit ihrer Teekultur besser als ihr Ruf. Die Weltstadt bietet auch ein reiches Angebot an internationaler Küche. Die zahlreichen indischen Restaurants müssen sich gegenseitig übertreffen, um hier zu bestehen.
Beim Libanesen probieren wir ein scharf gewürztes Wrap mit Lamm. Natürlich dürfen Fish & Chips nicht fehlen. Tapfer vertilgen wir riesige Fischfilets, frittiert im Teigmantel, und den Berg Chips, der aus geschnittenen Kartoffeln besteht. Als Abendessen liegt es mir schwer im Magen.
Die Nichten hingegen speisen am nächsten Morgen beim Frühstück, nach britischer Art herzhaft und fettig, fröhlich Rührei mit Lachs. Und abends ihr erstes Guinness in einem traditionellen Pub, eröffnet 1859. „Princess of Prussia“ heißt es, aber warum?
Wir googeln, zum Glück gilt trotz Brexit weiterhin das kostenfreie EU-Roaming. Gemeint ist Viktoria Luise, Enkelin von Queen Victoria und Tochter des deutschen Kaisers Wilhelm II., erfahren wir. Das Lokal benannte sich 1913 nach ihr, zu Ehren ihrer Hochzeit mit Prinz Ernst August von Hannover, dem Erben des Herzogs von Cumberland.
Ein Höhepunkt am Ende der Reise
Am letzten Tag fahren wir bei typisch Londoner Wetter im Nieselregen aus der Innenstadt hinaus, zu den Kew Gardens. Nicht meine Idee: Die Nichten wollen in den alten Botanischen Garten. Es wird das Highlight der Reise. Im Palmenhaus, erbaut 1841, empfängt uns schwül-tropisches Gewucher, die Pflanzen drücken sich an den viktorianischen Scheiben die Zweige platt.
Eine Mitarbeiterin fährt mit einer Schubkarre abgeschnittene Pflanzenreste weg. Wir fragen, ob wir uns Ableger für zu Hause nehmen dürfen. Leider nein, sagt die Gärtnerin. Schade! Vielleicht, so vermutet Ana, Biologie-Studentin „möchte man vermeiden, dass wir invasive Arten verbreiten“. Da mag sie recht haben.
Unser Fazit? Meine Nichten sagen, dass sie Freundinnen bei knappem Budget eher zu den Kew Gardens raten würden als zum Hop-on-hop-off-Bus. „Es bleibt länger im Gedächtnis“, sagen sie. Das finde ich auch. Und freue mich: Offenbar geht es auch ihnen, die mit Social Media aufgewachsen sind, beim Reisen nicht nur um klickwirksame Fotos. Über Instagram hinaus haben sie ein Gespür für wirkliche Erlebnisse. Die hat London zu bieten. Und besteht den Test.
Tipps und Informationen:
Anreise: Direktflüge bieten etwa Lufthansa, British Airways oder Easyjet. Mit dem Zug fährt man erst nach Brüssel, weiter mit dem Eurostar in rund zwei Stunden nach London (eurostar.com). Zur Einreise ist neben dem Reisepass neuerdings eine Elektronische Reisegenehmigung (ETA) erforderlich, sie kostet 16 Pfund (19 Euro), gov.uk/guidance/apply-for-an-electronic-travel-authorisation-eta.
Unterkunft: Das „Ember Locke“ mit moderner Inneneinrichtung liegt fußläufig zum Naturhistorischen Museum, Doppelzimmer ab 155 Euro (lockeliving.com). Luxuriös ist das „St. Pancras Renaissance Hotel“ mit Spice-Girls-Treppe und Afternoon Tea, Doppelzimmer ab 337 Euro (marriott.com). In das Budget junger Leute passt das „Palmers Lodge Swiss Cottage“ in einem viktorianischen Gebäude, Bett im Schlafsaal ab 21 Euro (palmerslodge.uk).
Attraktionen: Für fast alle großen Museen ist der Eintritt frei, etwa für das Naturhistorische Museum (nhm.ac.uk) und die Tate Gallery of Modern Art (tate.org.uk). Bustouren mit Erklärungen bietet Golden Tours (goldentours.com). Informationen und Preise zur Kunstshow Frameless unter frameless.com.
Weitere Auskünfte: visitlondon.com; visitbritain.com
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Visit London. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.
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