Japan ist so populär wie noch nie, weshalb es in Tokio und Kyoto voller ist denn je. Wer Massen aus dem Weg gehen will, setzt sich in den Zug nach Shikoku, die kleinste der vier Hauptinseln, berühmt für ihre Sanuki Udon, das sind dicke Weizennudeln, vor allem aber für den Henro, einen alten Pilgerpfad, der auf den buddhistischen Gelehrten Kobo Daishi zurückgeht und 88 Tempel miteinander verbindet.

Im Gegensatz etwa zum Jakobsweg hat der Henro kein Ziel, die Route führt rund um die Insel und bildet einen Kreis, in den man an jedem beliebigen Punkt ein- und wieder austreten kann. Wenn man fertig ist, steht man wieder am Anfang. Erste Berichte über Pilgerreisen auf Shikoku stammen aus dem 11. Jahrhundert.

In jüngerer Vergangenheit lockt der Weg zunehmend auch Besucher aus dem Westen an, die nach innerer Einkehr suchen. Oder nach einer sportlichen Herausforderung: Die gesamte Strecke ist 1200 Kilometer lang und gilt als anspruchsvoll, für die volle Länge sollte man ein bis zwei Monate einplanen.

Nach dem Aufstieg belohnt der Blick vom Tempel

Das sprengt den Zeitrahmen unseres Jahresurlaubs, aber wir wollen wenigstens einen symbolischen Abschnitt des Pilgerpfads absolvieren und den Berg erklimmen, auf dem der Yashima-Ji errichtet wurde, Tempel Nummer 84 auf der Route. Der Legende nach soll Kobo Daishi sich hier im Nebel verirrt haben, bis ihn ein alter Mann in einem Regenmantel aus Stroh zum Gipfel geleitete, bei dem es sich in Wahrheit um den Tanuki handelte, einen Marder mit magischen Kräften, der in der Lage war, menschliche Gestalt anzunehmen.

Vom Vorstadtbahnhof am Fuß des Yashima machen wir uns an den Aufstieg. Über steile Treppen führt der alte Pilgerpfad einen bewaldeten Hang hinauf. Am Himmel dreht ein Schwarzmilan seine Runden, Menschen sind keine zu sehen. Doch jedes Mal, wenn wir befürchten, uns verlaufen zu haben, weist uns eine Markierung mit japanischen Schriftzeichen den Weg nach oben.

Nach etwa 45 Minuten erreichen wir keuchend unser Ziel, drei aufeinanderfolgende Pforten bilden den Zugang zur Tempelanlage, wo uns lachende Buddha-Figuren begrüßen. Es ist ein erhebendes Gefühl, hier oben anzukommen, auch wenn wir nicht unter uns sind. Auf dem Gelände tummeln sich Schulklassen und Touristengruppen, um die herrliche Aussicht auf die Provinzhauptstadt Takamatsu und das Seito-Binnenmeer zu genießen.

In einer Mischung aus Andenkenladen und Ausflugslokal essen wir eine Schale der dicken Sanuki Udon (köstlich!). Auf dem Parkplatz vor der Tempelanlage treffen wir einen Pilger wieder, dem wir am Vormittag begegnet waren. Er muss auf der asphaltierten Straße nach oben gelaufen sein. Man sieht ihm an, dass er schon eine Weile unterwegs ist, aber er scheint die Strapazen gut weggesteckt zu haben.

Mit einer kreisenden Handbewegung frage ich ihn, ob er sich die komplette Runde vorgenommen hat. Er nickt und lächelt freundlich. Wie lange er schon reist? „One Month“, sagt er. Weil er den nächsten Tempel noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen möchte, steigt er mit uns in den Linienbus, der uns wieder nach unten bringt. Anders als in den Zeiten von Kobo Daishi ist es heute möglich, auf dem Pfad der Erleuchtung auch mal eine kleine Abkürzung zu nehmen.

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