Wismar – das ist Weltklasse im Kleinformat
Am schönsten ist es frühmorgens, wenn alles noch schläft. Dann ist man im Wismarer Lindengarten allein unter Vögeln, die hier ihre tägliche Vollversammlung abhalten. Sich eine Bank unter Platanen, Kastanien und Linden suchen, ins überwältigend leuchtende Grün schauen und dem Naturkonzert all der Bläser, Sänger und Flötisten lauschen: Das ist eine wunderbare Ouvertüre für die anstehende Stadterkundung.
Dem Mühlenbach folgend, der durch die über 200 Jahre alte Parkanlage zum Alten Hafen fließt, gelangt man in wenigen Minuten ins Herz der hübschen Hansestadt und erkennt sofort, warum Wismar 2002 zum Weltkulturerbe der Unesco ernannt wurde.
Keine modernen Wohnsilos und gläsernen Bankenhochhäuser bestimmen das Bild, stattdessen verwöhnt mittelalterliche Architektur Augen und Geist. Das über viele Jahrhunderte unverändert gebliebene Stadtbild mit gotischen Giebelhäusern, gewölbtem Kopfsteinpflaster, mächtigen Hafenspeichern und drei Kirchenkolossen, die aus Abermillionen Backsteinen erbaut wurden, macht aus Wismar den ehrwürdigen Statthalter einer längst verwehten Vergangenheit. Und eines der interessantesten Ziele an der deutschen Ostseeküste für einen Städteurlaub.
Von der hanseatischen Vergangenheit kann man beim Besuch des stadthistorischen Schabbell-Museums, des anschaulichen Welt-Erbe-Hauses oder auf einer der vielen Stadt- und Kirchenführungen eine Menge erfahren. Die kurioseste Geschichtsstunde erteilt einem jedoch der Ostfriedhof.
Schöne Aussichten, beeindruckende Bäume und stille Nachbarn – auf die Idee, dass dies ein wunderbarer Ort zum Verweilen ist, kommt man auch ohne ausdrücklichen Hinweis. Dass einen diese weite Trostlandschaft in den Bann zieht, liegt auch an zahlreichen kleinen Informationsstelen, die anhand ausgewählter Gräber spannende Lebens- und Stadtgeschichten aus Wismar erzählen.
Den Anfang hatte der gerade einmal zweijährige Sohn des Malers Johann Göttmann gemacht, der am 29. Juni 1832 als Erster auf dem neu geweihten Friedhof beigesetzt wurde. Unter denen, die ihm folgten, waren Verleger, Pastoren, Politiker, Pädagogen, Kapitäne und Krankenhausdirektoren. Friedrich Ludwig Gottlob Frege, der vielen als einer der größten abendländischen Denker nach Leibniz und Aristoteles gilt, fand hier ebenso seine letzte Ruhestätte wie die Malerin Sella Hasse und der Volksschauspieler und Mitbegründer der Niederdeutschen Bühne, August Schönberg.
Kernige Seemannslieder am Alten Hafen
Schönbergs Maxime „Plattdütsch läwt“ („Plattdeutsch lebt“) findet man am Alten Hafen oft bestätigt. Wenn Kreuzfahrtschiffe auslaufen oder Stadtfeste gefeiert werden, schmettert der Shantychor „Blänke“ kernige Seemannslieder in niederdeutscher Mundart.
Dann schunkeln die rund 30 Männer vun de Waterkannt (von der Wasserkante) wie Leichtmatrosen auf hoher See und singen von Fernweh, von Häfen, Schiffen und Fischen: „Hiring satt up den Disch, braden Hiring jung und frisch“ („Hering satt auf den Tisch, Brathering jung und frisch“) – und schon ist klar, wat dat hüüt tau Meddag givt (was es heut zu Mittag gibt): Fischbrötchen mit Brathering.
Nachgespült wird stilgerecht mit Wismarer Mumme, einem dickflüssigen Malzbier aus den Zeiten der alten Hanse, das aufgrund seines hohen Alkoholgehaltes sehr lange haltbar und damit ein idealer Proviant auf langen Schiffsreisen war.
Sein Name leitet sich vom Verb mummen ab, ein Ausdruck aus dem 15. Jahrhundert für dumpf und undeutlich reden. Das Lallen nach übermäßigem Alkoholgenuss könnte kaum besser beschrieben werden. Gemummt werden darf in Wismar noch heute im 1452 gegründeten „Brauhaus am Lohberg“, das als einzige der einst 182 Altstadtbrauereien die Mumme-Tradition fortsetzt.
Ein Segeltörn in der Wismarer Bucht
Ob auch der berüchtigte Seeräuber Klaus Störtebeker in Wismar gezecht und Beutezüge geplant hat, gilt als nicht gesichert. Unbestritten jedoch ist, dass der Freibeuter auch solche Schiffe wie die im Alten Hafen ankernde „Wissemara“ gekapert hat, denn es waren typische Hansekoggen aus dem 14. Jahrhundert, die für diesen imposanten Nachbau Modell standen.
Wem beim Geräusch von ächzenden Planken, knarrender Takelage und flatterndem Segel das Fernweh befällt, der kann auf dem Schiff für einen mehrstündigen Segeltörn auf die Wismarer Bucht hinaus anheuern.
Idealerweise bei gutem Wetter. Richard Wagner schrieb den „Fliegenden Holländer“ bekanntlich nach einer stürmischen Fahrt über die Ostsee – nach einem Törn mit der „Wissemara“ an einem sonnenprallen Tag wäre es wohl eher die Oper vom „Träumenden Holländer“ geworden.
Wenn der Wind ein sanftes Liedchen pfeift und sich die Welt auf unverschämt leuchtendes Wasser, Möwenlachen und den silbrigen Zopf des Horizonts reduziert, wird auf dem Meer um Wismar selbst krachledernen Bayern ganz maritim ums Herz.
Ein Vorort von Wismar an der Ostsee
An der Ostsee lockt gleich das nächste Ausflugsziel. Dort, wo ein Dutzend Reetdächer über Felder und Wiesen lugen, liegt das denkmalgeschützte Fischerdorf Hoben, heute ein Vorort von Wismar, und von dort gut mit dem Rad zu erreichen. Autos müssen draußen bleiben. Doch selbst als Fußgänger kann man sich in der Stille und Schönheit des Dorfes wie ein Eindringling fühlen, wenn man dem kurzen Rundweg durch das Idyll folgt.
Hoben hat sich seinen ursprünglichen Charme bewahren können, ist jedoch kein Museumsdorf geworden, sondern eine Wohnsiedlung geblieben. Die traditionellen Niederdeutschen Hallenhäuser wurden liebevoll saniert. Schwalbenzwitschern hallt durch die Scheunen, torfbraune Schafe zupfen grüne Halme, und das Who’s who der mecklenburgischen Schmetterlings- und Bienenszene schwirrt durch bunte Bauerngärten, sobald die Frühlingssonne stark genug scheint.
Mit den Bildern aus dem friedlichen Hoben im Herzen nach Wismar zurückgekehrt, liest man in strahlend weißer Schnörkelschrift auf einem Schaufenster in der Innenstadt: „Am Ende eines Tages sollen deine Füße dreckig, dein Haar zerzaust und deine Augen leuchtend sein.“ Erfüllt! In Wismar war nichts leichter als das.
Tipps und Informationen:
Anreise: Wismar ist mit Regionalzügen gut erreichbar, beispielsweise von Berlin aus ohne Umsteigen, von Hamburg aus mit einmal Umsteigen. Mit dem Auto kommt man über die A20, B105 oder B 106 nach Wismar.
Unterkunft: „Ohlerich Speicher“, 48 stilvoll eingerichtete Apartments in einem umgebauten Getreidespeicher bieten eine tolle Sicht auf Hafen, Bucht und Altstadt, ab 94 Euro, ohlerich-speicher.de. „Fründts Hotel“, klassisches und komfortables Stadthotel, gute Altstadtlage, Doppelzimmer ab 114 Euro, hotel-stadtwismar.de.
Weitere Auskünfte: wismar.de
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