Gegensätzlicher geht es kaum. Am Priwall, der Landzunge am östlichen Ufer der Trave, die einst vom Grenzzaun in eine westdeutsche und eine ostdeutsche Hälfte geteilt wurde, scheiden sich weiterhin die Welten. Auf der einen Seite, in Schleswig-Holstein, Travemündes asphaltierte Kurpromenade mit Boutiquen, Restaurants, Souvenirläden und einem Hotelhochhaus aus westdeutschen Blütezeiten, das sich als Ausrufungszeichen des Massentourismus direkt am Ostseestrand erhebt.

Auf der anderen, der mecklenburgischen Seite, der unverbaute Naturstrand von Rosenhagen, frei von Strandkörben und Sonnenschirmen. An einer umgestürzten, malerisch daliegenden Kiefer weht ein einzelnes Badehandtuch im Wind. Regenpfeifer und Bachstelzen flitzen am Wassersaum entlang, vorbei an einigen FKKlern, die dem Nacktbaden beziehungsweise dem nahtlosen Bräunen als einem Akt der Freiheit frönen wie einst in der DDR.

Auf der westlichen Seite der Bucht treiben derweil weniger vorzeigefreudige Travemünde-Urlauber in bunter Badebekleidung wie verstreutes Konfetti auf dem Wasser.

Geht am Priwall tatsächlich immer noch ein Riss durchs Land, der Ost- und Westostsee voneinander trennt? Ist die Küste Schleswig-Holsteins stärker von Kommerz geprägt als die Mecklenburg-Vorpommerns? Trennt die ästhetizistische Frage der Kleiderordnung nackte Ossis von prüden Wessis, und viel wichtiger: Schmeckt das Fischbrötchen an der Flensburger Förde besser als auf Usedom?

Fest steht, dass die Küsten beider Bundesländer beliebte Reiseziele sind und jede ihre Besonderheiten hat. Also: Team Schleswig-Holstein oder Team Mecklenburg-Vorpommern?

Statistisch liegt Mecklenburg-Vorpommern vorn

Befragte man bloß nüchterne Statistiken, stünde der Sieger im Küstenwettbewerb schnell fest. Mit 1945 Kilometern hat Mecklenburg-Vorpommern – inklusive Gestaden an Bodden und Haff – eine fast viermal so lange Küste wie Schleswig-Holstein mit 541 Kilometern.

Die beiden größten Inseln der deutschen Ostsee, Rügen und Usedom, gehören zu Mecklenburg-Vorpommern, das überdies noch vier weitere für den Tourismus relevante Inseln und zahlreiche Halbinseln sein Eigen nennt, während aus Schleswig-Holstein mit Fehmarn nur ein einziges Eiland in die Ostsee hinausragt. Selbst die Sonne verwöhnt laut Deutschem Wetterdienst die Mecklenburger und Vorpommern ein klein wenig mehr als die Schleswig-Holsteiner.

Mit Zahlen lässt sich prahlen, aber wer hat denn nun die schönsten Strände, die komfortabelsten Unterkünfte und was kostet einen die Erholung im Strandkorb? Die Gastfreundschaft, so viel steht fest, ist hüben wie drüben in vielen Nuancen im Angebot. Hier haben Ost und West sich angeglichen, im Guten wie im nicht so Guten.

Wenn beispielsweise die Dame des Travemünder Tourismusbüros einen in den kräftigen Ostseewind zurückschickt, weil man knapp 40 Minuten vor der vereinbarten Zeit zur Schlüsselübergabe für die Ferienwohnung erschienen ist, weiß man jedoch nicht, ob sie dort aus Prinzip Prinzipien haben oder aus purer Boshaftigkeit. In Zingst lassen die Mitarbeiterinnen der Zimmerbörse hingegen freundlichen Pragmatismus walten, vorausgesetzt, der Gast erscheint nicht unverschämt früh.

Knauserigkeit zeigt sich von Flensburg bis Usedom

Ob man im Falle einer gebuchten Mietwohnung in einer Art Ferienhölle für Selbstversorger landet, lässt sich trotz blumiger Beschreibungen der Unterkünfte vorausahnen, wenn Bettwäsche und Handtücher nicht inklusive sind, sondern gegen einen stattlichen Aufpreis gebucht oder aus dem fernen Heimatbundesland in Koffer Nummer drei selbst mitgeschleppt werden müssen.

Koffer Nummer vier, in dem sich Pfeffer, Salz, Öl zum Braten und Gewürze sowie eine gute Pfanne befinden, die meist auch nicht zur Ausstattung gehört, gehört bei Apartmenturlaub in Ost und West gleichermaßen zum Standard.

Dass Knauserigkeit eine gesamtdeutsche Eigenschaft ist, zeigt sich von Flensburg bis Usedom auch darin, dass nach ausgeklügelten Berechnungen der Ferienwohnungsvermieter eine einzige Rolle Klopapier für eine Woche völlig ausreichen sollte. Gastroenteritis haben Ferienhausgäste offensichtlich nie.

Vorbei sind zum Glück die Zeiten, in denen mecklenburg-vorpommerische Hotelzimmer aussehen, als hätten Stasi und KGB ein Wörtchen bei der Zimmereinrichtung mitreden dürfen. Längst wurde flächendeckend aufgemöbelt, zum Teil durchaus anspruchsvoll.

Und roch der Osten auch einige Jahre nach dem Mauerfall noch nach Kernseife, DDR-Desinfektionsmittel und Kohl, hat er seitdem ordentlich aufgeholt und von idyllisch gelegenen Campingplätzen über schicke Ferienhäuser, Urlaub auf dem Bauernhof bis zu Fünf-Sterne-Hotels in alten Gutshöfen alles im Angebot, was es im Westen partiell schon lange vor der Wende gab.

Ostalgie auf Rügen, Bausünden auf Fehmarn

Ein wenig DDR-Flair weht den Gast hie und da aber noch an, dann allerdings aus purer Ostalgie, etwa während einer Fahrt mit dem Miet-Trabi über die Insel Rügen oder im „Betriebsferienlager Gera“, dem letzten DDR-Feriendorf am Bakenberger Strand, das fast im Originalzustand belassen wurde: schlichte Bungalows, Wohnwagen von Intercamp und Trabis mit Zeltdach, alles ohne Fernseher und Internet. Wasser muss in Eimern aus dem Sanitärgebäude geholt werden, und im Kiosk gibt es nur Ostprodukte wie Rotkäppchensekt und Hansa-Kekse.

Ästhetisch betrüblich, vergleichbar den meisten Erholungsheimen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) in der DDR, erscheinen die Bausünden der 70er- und 80er-Jahre entlang der westdeutschen Ostseeküste, nämlich die bleichen Betonriegel nördlich von Laboe an der Kieler Förde, in Damp, Heiligenhafen, auf Fehmarn und am Weissenhäuser Strand. Es sind riesige Ferienzentren, die schon bessere Tage gesehen haben oder noch sehen wollen. Jahrzehntelang dümpelte der Tourismus in diesen Orten vor sich hin.

Es gibt sogar Gäste, die das Wirtschaftswunder-Ambiente in den wassernahen Wohntürmen Schleswig-Holsteins schätzen, vermutlich aus purer Nostalgie. Seit 2014 bemühen sich die dortigen Touristiker zudem, den östlichen Küsten-Konkurrenten mit einer neuen Wachstumsstrategie wieder zu übertrumpfen.

Um Urlauber in die Region zu locken, wurden Millionen in den Bau extravaganter Seebrücken und neuer, architektonisch nicht immer ganz unzweifelhafter Ferienanlagen investiert – konfektionierte Behaglichkeit samt Indoor-Spielplätzen, Beachclubs, Adventure-Golfplatz, Gokart-Bahnen und Tagungszentren für einen modernen Urlaubertyp, der sich die laut Sparkassen-Tourismusbarometer teureren Unterkünfte in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr leisten möchte.

Dort floss nach der Wende viel Geld in die Restaurierung der alten Kaiser- und Seebäder. Die sind inzwischen zweifelsohne attraktiv, rangieren preislich aber zum Teil in höchsten Sphären. Tatsächlich sind zum Beispiel die glanzvollen Quartiere im Nobelort Heiligendamm, Deutschlands ältestem Seebad, für Normalverdiener kaum noch zu bezahlen. Hier hat auch manch Kellner Verachtung in höchster Vollendung kultiviert, um seinen Gästen überdeutlich zeigen zu können, wo ihr Platz in der Welt des überteuerten Essens und der kapriziösen Kaffeekreationen ist.

Schleswig-Holstein lockt mit Fischbrötchen

Erfreulich rar machen sich an der Küste beider Bundesländer Küchenchefs mit überkandidelten Kocheinfällen. Solche Experimente schmecken ohnehin nicht halb so gut, wie sie klingen, und der Preis liegt meist schwerer im Magen als die Mahlzeit. Wer es also gern unkompliziert mag, findet an der gesamten Küste ein gutes gastronomisches Angebot, das teilweise gar nicht so fischreich ausfällt, wie man angesichts der Meeresnähe vermuten könnte.

Die in einigen Reiseführern als norddeutsche Küchenhits aufgeführten Fleischspezialitäten kommen allerdings nur noch selten auf den Gästeteller. Labskaus zum Beispiel – ein interessantes Gericht aus gepökeltem Rindfleisch, eingelegter Roter Bete, Zwiebeln und Kartoffeln, das an den Gestaden Schleswig-Holsteins eher eine oft erzählte Anekdote als ein genussvolles Ereignis ist.

Die als DDR-Klassiker gepriesene Grützwurst ist auch unter dem Namen „Tote Oma“ bekannt und optisch eine Zumutung, weshalb ein Fischbrötchen dem warmen Wurstbrei unbedingt vorzuziehen ist.

Ohne diese fabelhafte norddeutsche Antwort auf den mobilen Mampf von Burger- und Döner-Buden ist ein Ostseeküstenurlaub sowieso nur schwer vorstellbar. Ob simpel gehalten mit Matjes und Zwiebeln oder als ausgefallene Kreationen mit perfekt auf Fisch oder Krabben abgestimmten Soßen: Entscheidend ist immer die Frische des Meeresgetiers und die Knusprigkeit der Backware.

Anhand ihrer Bewertung auf Google wurden 240 Fischbrötchenbuden in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein nach ihrer Beliebtheit eingestuft. Auf Platz eins der Rangliste landete Heiligenhafen, gefolgt vom Timmendorfer Strand. Bronze ging an die alte Hansestadt Wismar. Den Weltfischbrötchentag (dieses Jahr am 3. Mai) und die Fischbrötchenstraße, die rund 50 Imbissbuden von Travemünde bis hoch nach Glücksburg vereint, haben pfiffige Marketingmenschen aus Schleswig-Holstein ins Leben gerufen.

Der längste Sandstrand in Deutschland

Und womit kann im Gegenzug Mecklenburg-Vorpommern so punkten? Mit den höchsten Steilküsten auf Rügen (dem 118 Meter messenden Königsstuhl im Nationalpark Jasmund), mit einer der elegantesten Promenaden Norddeutschlands in Kühlungsborn, der längsten Seebrücke im ganzen Ostseeraum (720 Meter, Ende 2024 eröffnet) in Prerow und der ältesten in Ahlbeck, das 1898 gebaute Holzgebäude wirkt mit seinen Türmchen wie ein Schloss auf Stelzen. Nicht zu vergessen, die 42 Kilometer Badestrand auf der Insel Usedom.

Er ist der längste Sandstrand Deutschlands und an manchen Stellen bis zu 70 Meter breit – ein Traum für Sonnenbader, Lenkdrachenpiloten, Sandburgenbauer und natürlich auch für Strandkorbliebhaber, vorausgesetzt, das Urlaubsgeld reicht für die Miete eines solch komfortablen Wind- und Sonnenschutzes.

Die Preismodelle hierfür sind in beiden Bundesländern unübersichtlich. Abhängig davon, ob zur Vor-, Nach- oder Hauptsaison, ob tage- oder wochenweise, ob vor oder nach 15 Uhr gemietet wird und ob der Korb in der ersten, zweiten oder in der letzten Reihe steht, muss man an der gesamten Ostseeküste durchschnittlich zwölf Euro pro Tag berappen.

In Binz auf der Insel Rügen ist die Tagesmiete für einen Standardkorb mit 18 Euro am höchsten. Für 20 Euro gibt es dort die Vollliegeversion und für 22 Euro die extrabreite Luxusvariante, garantiert in der ersten Reihe mit freiem Blick zum Wasser – und zum LNG-Terminal in Hafen Mukran, dem man an manchen Tagen auch mit geschlossenen Augen nicht entkommt. Dann verkleistert ein Wummern und Dröhnen die Ohren. Der Lärm tritt zum Glück nur phasenweise auf.

FKK an der Ostsee in Ost und West

Manch Rüganer hofft offenbar noch darauf, dass die LNG-Anlage für Touristen ein spannendes Ziel auf einer Inselrundfahrt werden könnte und sie in ihrer Urlaubseuphorie den Industriekrach am Strand als gelegentlich lästige Lebensrealität ebenso in Kauf nehmen werden wie die Zahl der Windräder, die sowohl in Mecklenburg-Vorpommern als auch in Schleswig-Holstein stetig zunimmt. Beide Küstenteile sind hier also vereinigt in der Aussicht auf einen vollgestellten Horizont.

Gleichermaßen in Ost und West durchgesetzt hat sich der Trend zum textilfreien Baden. Einer der schönsten FKK-Strände befindet sich im Ostseebad Warnemünde, zwischen Westmole und Wilhelmshöhe. Der nördlichste Hotspot für hüllenloses Strandvergnügen an der deutschen Ostseeküste gehört jedoch den Schleswig-Holsteinern, er liegt bei Glücksburg auf der Halbinsel Holnis.

In welchem Bundesland ist Ostseeurlaub nun am schönsten? Klar beantworten lässt sich die Frage nicht. Es hängt von den eigenen Vorlieben und Urlaubsträumen ab – und davon, wie gut der Geldbeutel gefüllt ist.

Am Ende gilt: Man ist an den richtigen Ort gelangt, wenn fidele Wölkchen über einen hohen Himmel ziehen, der Geruch von Salz und Seegras in der Luft liegt, rosa Kartoffelrosen den Dünenweg säumen, der Wind über puderweißen Sand streicht und das Krächzen der Möwen sich mit dem Rauschen der Wellen mischt – dieses Glück des Müßiggangs bieten Westostsee wie Ostostsee gleichermaßen. Wem das nicht genügt, der fährt besser nach Rimini oder Tahiti.

Tipps und Informationen:

Anreise: Mit der Deutschen Bahn werden wichtige Ziele wie Flensburg, Kiel, Travemünde, Wismar, Warnemünde, Rügen erreicht. Nach Fehmarn fährt man mit dem Zug bis Lübeck und steigt dort in den Bus um. Bahnurlauber Richtung Usedom reisen bis Züssow und fahren von dort weiter mit der Usedomer Bäderbahn (bahn.de; ubb-online.com). Für Autofahrer dienen die Autobahnen A7 und A1 als Zubringer in Schleswig-Holstein, in Mecklenburg-Vorpommern ist es die A20, die von Lübeck bis nach Pasewalk führt.

Touristische Auskünfte: Die Websites der Tourismusämter bündeln Tipps zu Urlaubsorten, Unterkünften, Aktivitäten, E-Auto-Ladestellen und Parkplätzen: ostsee-schleswig-holstein.de; auf-nach-mv.de

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