Auch kleine Länder haben volle Straßen. Weil der Feierabendverkehr in Bahrain die Anfahrt gebremst hat, erreichen wir die Formel-1-Piste erst mit den letzten Sonnenstrahlen. Es ist fünf Uhr nachmittags, als wir auf der Aussichtsterrasse des leeren Kontrollgebäudes des Bahrain International Circuit stehen. Das milchige Abendlicht zeichnet die Fahrbahnen, die Nebenstrecken, Unterführungen und die majestätische Boxengasse weich. Das Gewirr sieht unwirklich aus wie eine dystopische Fantasie.

Aus dem Gebäude, in dem die Rennställe untergebracht sind, dringt zuweilen raumgreifendes Motorgrollen. Als stünden da drinnen Raubtiere in Käfigen, die sich brüllend in Erinnerung rufen. Und nicht Boliden mit 1000 PS, die im Ernstfall ohrenbetäubenden Lärm verbreiten und mit bis zu 350 km/h über diese Strecke rasen, die vor gut 20 Jahren von dem deutschen Rennbahn-Spezialisten Hermann Tilke gebaut worden ist.

Der Wüstenstaub wird für die Autos zuweilen zum Problem, das Rennen wird nachts abgehalten, wenn die Hitze erträglicher ist. Statt mit Champagner wird der Sieger mit Rosenwasser besprenkelt.

Gleich nebenan gibt es eine reibungslos organisierte Cartbahn, um noch einmal endgültig zu überprüfen, ob es für eine Formel-1-Karriere reichen würde. Doch selbst wenn der unbestechliche Rundenzähler eher ernüchternde Ergebnisse anzeigt: Einmal lärmend durch die Wüstennacht zu rasen, ist ein Vergnügen, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Anders als Dubai oder Abu Dhabi protzt Bahrain nicht

Selbst Reiseprofis müssen erst einmal nachschauen, wo genau sich Bahrain befindet. Und was es mit diesem 790-Quadratkilometer-Ländchen auf sich hat. Es ist klein und zumindest unter Europäern weitgehend unbekannt, hat also per se das Zeug zum Geheimtipp.

Das ölreiche islamische Königreich besteht aus 30 miteinander verbundenen Inseln, die nordwestlich von Katar im Persischen Golf liegen und mit Saudi-Arabien über eine 25 Kilometer lange Brücke verbunden sind. Es ist ein gemächlich wachsendes Land, weil sich im seichten Meer neues Land gewinnen lässt.

Hier wurde 1932 von der California Standard Oil Company die erste Ölquelle in der Region errichtet, aber nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich Bahrain, das bis 1971 britisches Protektorat war, als eines der Finanzzentren der Golfregion – und als Naherholungsgebiet für die Saudis. Weil die religiösen Vorschriften hier etwas lässiger ausgelegt werden, vor allem, was Verhüllung der Frauen und Genuss von Alkohol betrifft, ist es traditionell eine Partydestination, die mit einer vierstündigen Autofahrt von Riad aus zu erreichen ist. Mit den zögerlichen, aber spürbaren Lockerungen in Saudi-Arabien geht also perspektivisch eine wichtige Einnahmequelle verloren.

Anders als Dubai oder Abu Dhabi protzt Bahrain nicht mit aggressiver Bling-Bling-Strategie, mit goldenen Steaks und den spektakulären Filialen von Weltmuseen.

Was gibt es hier außer Wüstensand und Shopping-Malls? Zunächst einmal einen blitzblanken Flughafen. So licht und aufgeräumt, dass man den Abflughafen Frankfurt schnell im Gedächtnis verkramt. Im Ankunftsbereich eine McDonalds-Filiale auf dem allerneusten Stand, im Außenbereich Travertinboden, auf dem man keinesfalls Zigaretten oder Kaugummis hinterlassen möchte.

Bahrain ist weniger drakonisch als der Nachbar Saudi-Arabien (oder Singapur), aber eine gewisse Ordnungsliebe ist an vielen Ecken zu spüren. Man kann seine Tasche getrost irgendwo liegen lassen, wird einem zur Begrüßung stolz erklärt. Überall seien Kameras, Verlorenes finde sich zuverlässig wieder an. Das ist einer der erhellenden Effekte des Reisens: die Konfrontation mit anderen Sichtweisen. Was für kritische Deutsche nach Überwachungsstaat klingt, wird hier als Standortvorteil gepriesen.

Annäherung beim Blick von einem Wolkenkratzer

Der erste Morgen ist ein Schock. Der Blick aus dem Hotelzimmer zeigt die minimalistische Nord-Moschee gegenüber, das grelle Blinken von Warnleuchten an den Wolkenkratzern, aber vor allem eine Stadtlandschaft in einem Licht, das aus Sonne, Salz und Sand komponiert ist. Grell und gleichzeitig weich, einladend und fremd.

Das Zentrum Bahrains erschließt sich am besten von oben. Da bietet sich das „Wyndham Grand Manama“ an, ein Hybrid aus Hotel und Bürohaus und ziemlich zickigem Kaffeehaus im Erdgeschoss, 47 Stockwerke hoch, die gedrechselte Glasfassade vage von einer Doppelhelix inspiriert.

Mit etwas Überredungskunst gelangt man in die obersten Etagen, deren kathedralenhaft hohe Räume für Tagungen vermietet werden. Vor uns war das lokale Öl- und Gasunternehmen Bapco hier, die Poster werben mit einer jungen Frau (Kopftuch, Hornbrille, fideler Blick gen Himmel) und der Botschaft: Sei tapfer, sei ehrgeizig, sei fortschrittlich, sei offen.

Derartiger Zukunftsglaube fällt leicht beim schwindelerregenden Blick von oben. Ein verdichtetes Knäuel aus alten und neuen Wolkenkratzern, wobei die älteren Modelle wie Spielzeughäuser aussehen zwischen den modernen Riesen. Neben exzentrischen Bauten wie dem nachts bunt illuminierten Zweizack, in dem sich das Bahrain World Trade Center befindet, gibt es Brachland, nicht zugemüllt wie es in rund 80 Prozent aller Länder der Fall wäre, aber eben staubig und kahl.

Bahrain, und das ist durchaus reizvoll, sieht überall halb fertig aus. Allerorten spürt man die Dynamik, aber auch die Anstrengung, dieser unwirtlichen Gegend Zivilisation und Idylle abzutrotzen. Wie die Palmen im Hof von Carthag, der Hauptstadt des Wüstenplaneten in „Dune“, brauchen Pflanzen im Bahrain eine liebende Hand, denn die Sonne ist erbarmungslos.

An einigen Orten findet man auch Alkohol

Das spektakuläre „Four Seasons Hotel“ liegt auf einer Halbinsel mit dschungelartiger Vegetation, Geld wird hier nicht nur in die riesigen, wirklich geschmackvollen Toilettentüren aus Marmor investiert, sondern auch und vor allem in die konstante Bewässerung.

Eines der Restaurants wird vom nach Los Angeles ausgewanderten Österreicher Wolfgang Puck verantwortet. Die Speisekarte ist halal, darüber hinaus ein amüsanter Mix aus westlichen Klassikern wie Wiener Schnitzel, gegrilltem Knochenmark mit Salat oder Maccaroni & Cheese mit lokalen Zugeständnissen wie gegrillter Aubergine mit Minzjoghurt.

Was Alkohol betrifft, gilt in Bahrain die Regel: Wenn westliche Gäste anzutreffen sind und die Preise hoch, gibt es auch Alkohol, im „Four Seasons“ etwa Moselriesling von Villa Huesgen, ein solider Gebrauchswein, der seinen Weg hierher gefunden hat. Eine tiefschürfende Weinberatung allerdings sollte man nicht erwarten. Auf sehr passables Englisch dagegen kann man sich verlassen. Die Bahraini, sofern sich derartiges verallgemeinern lässt, drängen sich selten auf und sind in den allermeisten Fällen hilfsbereit.

Restaurierte Villen in der Altstadt von Muharraq

An der Ruine einer Festung aus dem 19. Jahrhundert startet mit einem Besucherzentrum der sogenannte Pearling Path. In der Altstadt von Muharraq wurden die Häuser, Villen und Läden von Perlenfischern restauriert, teilweise minimalistische, teilweise labyrinthisch ausufernde Bauten mit Holzintarsien und Dachlandschaften. Besonders reizvoll ist der Garten des ehemaligen Arztes Badr Ghulum Suleiman, in dem würzige Basilikumsorten und andere Kräuter wuchern.

Der Pearling Path ist auch eine Art Naherholungsgebiet von der Perfektion des Geschäftsviertels von Manama. Hier steht schon mal ein alter Kühlschrank vor dem Haus, dösen Katzen im Schatten und eine Autowerkstatt wirbt mit einem kühnen Schild, auf dem ein Flügeltür-Ferrari und der Batman-Schriftzug kombiniert werden. Davor ein Kleinlaster mit alten Gasflaschen, die so oft lackiert wurden, dass sie wirken wie prähistorische Fundstücke.

Dieser Stadtteil ist ein Nebeneinander von wurstigem Chaos und ehrgeizigen Neubauten. Die Betondecken eines Parkhauses sind an den Rändern poetisch gebogen, der Buchladen Sophia befindet sich in einem Gebäude, das an den Kanten künstlich zerbrochen ist, vergleichbar mit den Fensteröffnungen der berühmten Berliner „Antivilla“ des Architekten Arno Brandlhuber.

Und in den Läden gibt es eine verwirrende Auswahl an Datteln, zähflüssiges Halva, das erwärmt zum Probieren gereicht wird, und aromatisiertes Wasser mit Thymian, Orangenblüten, Weihrauch, Fenchel, Endivie oder eben Rosenblüten. Deren heilende Kräfte mögen diskutierbar sein, aber die Flaschen sind hübsche und preisgünstige Mitbringsel.

An dem Pearling Path Visitor und Experience Center scheiden sich die Geister: ausrangiertes Filmset oder historisch verankerter Spätbrutalismus? Egal. Der Garten des direkt nebenan gelegenen Restaurants „El Sedra“ jedenfalls bezaubert mit üppiger Vegetation und einer der hier üblichen Grillstationen, deren Kohle mit einem seitlich montierten Föhn zum Glühen gebracht wird.

„Gehen Sie raus und grillen Sie in der Wüste“

Ohne Frage ist Bahrain ein Land der zwei Geschwindigkeiten. Das Frühstück vor der „Haji’s Cafe Bakery“ in einer engen Gasse am Rande des Souks ist ein quirliges Vergnügen. Im rot glühenden Ofen werden Fladenbrote gebacken, die als Greifhilfe für gekochte Linsen, Rührei mit Bohnen, Gurken-Tomaten-Zwiebel-Salat und Lammragout dienen.

Der Bahrain-Experte Ali Hussain Mushaima kommt auf einen Tee dazu. Er ist der Autor des Buches „101 Things to See and Do in Bahrain“. „Die Zeichen einer boomenden Wirtschaft sind überall zu sehen“, sagt er, und empfiehlt Touristen ein Wüsten-BBQ: „Gehen Sie raus und grillen Sie unter einem Zelt in der Wüste. Das ist eine großartige Möglichkeit, dem hektischen Treiben der Stadt zu entfliehen.“

In „Haji’s Café“ dagegen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Wegen seiner Ursprünglichkeit ist es beliebt, drinnen plaudern Gruppen von „Real Housewifes of Bahrain“. Aber Achtung. Sobald eine Kamera gezückt wird, verdüstert sich die Laune.

Wenige Schritte weiter gibt es eine malerisch gealterte Shopping-Mall für Perlen und Schmuck. Viele Läden sind geschlossen, ein älterer Herr döst in seinem Rollstuhl an einem wasserlosen Brunnen, ein paar Touristen lassen sich in der Boutique „Gulf Pearl Jewelry“ beraten. Das hier ist kein High-End-Luxus-Shopping, sondern ein melancholisches Beispiel dafür, wie sich Ökonomien überlagern und ablösen.

Das Gegenmodell ist die „Marassi Galleria Mall“, das größte Luxus-Einkaufszentrum des Königreichs. Neben Big Names wie Hermès oder Gucci gibt es erstaunlicherweise auch eine Deichmann-Filiale, den lokalen Duftriesen Arabian Oud (der Flakon des programmatischen Parfüms „Yacht“ hat die Form eines Motorboots) und die kunterbunte, levantinische Fast-Food-Kette Zaroob, deren Präsenz man sich dringend auf dem deutschen Markt wünscht.

Gleich nebenan liegt das ausufernde Luxushotel „Address Beach Resort“ mit Pool und Strand und einem Ableger der japanischen „Sumosan“-Restaurant-Kette. Laute Musik, flinkes Personal und erfreulich aufgebrezeltes Publikum. Es könnte auch ein Themenlokal in Miami Beach sein, und die Wagyu Beef Tacos mit Avocado und Zitronenschale sind top solide ausgeführtes Comfort-Food.

Eine Tour mit dem Boot zur unbewohnten Insel Jarada

Während die Begleiterin in der imposanten Ahmed-al-Fatih-Moschee nachdrücklich auf die Völker verbindende Botschaft des Islam hinweist und im architektonisch reizvollen Bahrain National Museum sowohl die 6000 Jahre alte Geschichte des Landes als auch die Aktualität von Mehrfrauenehen erörtert werden, gibt es eben auch ein modernes, leicht über die Stränge schlagendes Bahrain.

Beispielsweise in dem Ausgehviertel Block 338, wo unter einem künstlichen Sternenhimmel in „The Room“ Drinks wie Cassiopeia oder Eclipse (mit russischem Beluga Noble Wodka) gemixt werden. Weiter oben im gleichen Gebäude ist die Lounge „Escobar“. Auf das Lob für die Idee, das Etablissement nach dem berühmtesten Kokain-Dealer aller Zeit zu benennen, bricht der Barmann in frenetische Heiterkeit aus. Kleine Frechheiten, so scheint ist, sind hier erlaubt. Man muss sie nicht unbedingt beim Namen nennen.

Was man dagegen unbedingt tun muss, wenn es Zeit und Budget erlauben, ist eine Bootstour zur unbewohnten Insel Jarada. Auf dem offenen Meer ankert Bootsmann Rashid kurz und taucht nach ein paar Austern, die winzigen, transparenten Quallen im warmen Wasser sind harmlos. Vor Jarada – eigentlich ist es eine Sandbank mit kleinem Leuchtturm – ankern ein paar andere Ausflügler, wiegen sich am Strand im Takt ihrer Boombox, bereiten sich ihr Essen auf mobilen Grills. Auch die geöffneten Austern (leider leer) werden kurz auf den Grill gelegt, der Ausflug ist so schlicht wie luxuriös.

Auf dem Heimweg rückt die Wirklichkeit wieder näher. Das Boot durchschneidet die sanften Wellen, über einem Frachter senkt sich der rote Feuerball in den Nebel der Abenddämmerung. Die Lichter dieser uralten, brandneuen Stadt Manama flackern auf, bis die Skyline verheißungsvoll strahlt. Ein paar Stunden auf einem Boot und einer einsamen Insel haben einen merkwürdigen Effekt: Als erwache man aus einem sonnendurchglühten Traum.

Tipps und Informationen:

Anreise: Zum Beispiel über Istanbul mit Turkish Airlines zum Bahrain International Airport. Oder von München oder Frankfurt/Main mit Gulf Air. Vom Flughafen zum Hotel weiter per Taxi oder Shuttle. Bundesbürger benötigen für die Einreise ein Visum, es kann bei Einreise („on arrival“) oder vor der Einreise bei der zuständigen Auslandsvertretung oder online beantragt werden.

Unterkunft: Das „Hilton Garden Inn Hotel“ ist direkt angeschlossen an eine große Shopping-Mall, mit grandiosem Blick auf das Geschäftsviertel von Manama und Panorama-Pool – ein King-Bed-Eckzimmer kostet umgerechnet ab 130 Euro (hilton.com). Das „Address Beach Resort“ (DZ ab 232 Euro) ist weniger zentral gelegen, aber einer dieser Rundum-Sorglos-Orte, die man nicht verlassen muss, außer vielleicht, um in der nebenan gelegenen Super-Mall einen neuen Badeanzug zu kaufen (addresshotels.com).

Gut zu wissen: In Hotels und Lokalen kann man meist mit Kreditkarten bezahlen. Frauen müssen sich beim Besuch von Moscheen einen Hijab leihen. Homosexualität ist offiziell nicht strafbar, aber wir raten zur Vorsicht. Alkohol ist erlaubt, aber nicht überall erhältlich.

Weitere Auskünfte: bahrain.com/en

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der Bahrain Tourism and Exhibitions Authority. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.

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