• Für 50 Prozent der jungen Menschen ist Social Media die Hauptinformationsquelle. Sind die Parteien dort nicht präsent, fühlt sich die Zielgruppe auch nicht von ihnen angesprochen.
  • Schülervertretungen und Wissenschaft fordern mehr und bessere politische Bildung in der Schule.
  • Neben politischer Bildung ist aber Medien- und Informationskompetenz wichtig, die sich damit verbindet.

Amy Kirchhoff hat vor knapp zwei Wochen das erste Mal bei einer Bundestagswahl abgestimmt. "Eine spannende Erfahrung", sagt die 18-Jährige im Gespräch mit MDR AKTUELL. Über die Wahl informiert hat sich die junge Frau zu einem großen Teil in sozialen Netzwerken. "Insbesondere natürlich auch deshalb, weil ich die Plattformen auch privat nutze. Da kommt mir die politische Information über beispielsweise Instagram gelegen."

Mit dieser Mediennutzung steht Kirchhoff stellvertretend für ihre Generation. Rund 72 Prozent der Erstwähler empfinden Social Media als "sehr wichtig" für die politische Ansprache, so ein Ergebnis der "Jugendwahlstudie" des Instituts für Generationenforschung, für die repräsentativ über 4.000 Personen befragt wurden.

Social Media für 50 Prozent Hauptquelle

Der Gründer des Instituts, Rüdiger Maas, erklärte das gute Abschneiden von AfD und Linken bei der Wahl unter jungen Menschen vornehmlich mit deren erfolgreichen Social-Media-Auftritten. Dem "Spiegel" sagte er: "Ja, es hört sich unterkomplex an. Aber in unseren Umfragen nannten über 50 Prozent der jungen Menschen soziale Medien als ihre Hauptinformationsquelle." Wenn Parteien sie dort nicht ansprächen, dächten junge Menschen, dass sie auch keine Politik für sie machten.

In der Wählergruppe der unter 25-Jährigen lag die Linke bei der Bundestagswahl mit 25 Prozent vor der AfD mit 21 Prozent. Bei der vorangegangenen Bundestagswahl 2021 hatten die Grünen (23 Prozent) und die FDP (21 Prozent) noch die Spitzenplätze belegt. Linke (8 Prozent) und AfD (7 Prozent) waren damals die Schlusslichter.

Schülersprecher warnen vor Verfall demokratischer Werte

Amy Kirchhoff ist besorgt darüber, wie Kinder und Jugendliche mit den sozialen Plattformen umgehen. Als Landesvorsitzende des Landessschülerrats in Sachsen schrieb sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den übrigen ostdeutschen Bundesländern bereits im Januar ein Positionspapier. Darin warnen die Schülersprecher vor einem Erstarken extremistischer Gruppen und einem "Verfall der demokratischen Werte" an den Schulen.

Soziale Medien sind dabei ein Aspekt. In dem Papier heißt es, Schülerinnen und Schüler würde auf den Plattformen mit einer "geballten Informationsflut konfrontiert und müssten zwischen Desinformationen, Fakten und Meinungen unterscheiden". Kirchhoff hält die sozialen Netzwerke grundsätzlich für nicht gefährlich. Sie sagt: "Aber ich glaube, dass Jugendlichen der Umgang damit nicht genug gelehrt wird, weil wir in den Schulen Lehrpersonen haben, die selbst damit überfordert sind."

Die Forderungen der Schülervertetungen gehen weit über das Thema Medienkompetenz hinaus. Die Jugendlichen wünschen sich insgesamt eine Stärkung der politischen Bildung. Insbesondere fordern sie mehr Politikunterricht und mehr erlebbare Demokratie in Form von Debatten, Planspielen sowie Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Bildungsforscherin: Politikunterricht vernachlässigt

Die Wissenschaftlerin Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden, unterstützt diese Vorschläge. Der Politikunterricht zum Beispiel müsste aus ihrer Sicht "von der ersten bis zur letzten Klasse mindestens zwei Stunden unterrichtet werden". Das sei aber nicht der Fall.

Einen Überblick dazu gibt das regelmäßig erscheinende "Ranking Politische Bildung" der Universität Bielefeld. Im Jahr 2022 stellten die Autoren fest: "In keinem Bundesland ist das Leitfach der politischen Bildung im Verlauf der Sekundarstufen I und II durchgehend verbindlich".

Mit dem Finger nur auf die Jungen zu zeigen und zu sagen, die können überhaupt nicht kritisch einschätzen, was sie da wählen, das scheinen mir die Wahlergebnisse nicht herzugeben.

Anja BesandPolitikwissenschaftlerin an der TU Dresden

Aus den Zahlen geht auch hervor, dass der Anteil des Politikunterrichts in Thüringen und Sachsen-Anhalt meist unterdurchschnittlich ist. In Sachsen hat es Aufstockungen gegeben. Bildungsforscherin Besand berichtet, dass es im Freistaat Politikunterricht seit einigen Jahren ab Klasse 7 gebe. "Wir haben in Sachsen über ganz, ganz lange Zeit aber erst ab Klasse 9 angefangen."

Beim Thema Social Media betont Besand, dass sich die politische Kommunikation in den Medien für alle verändert habe, etwa durch die Verbreitung von Desinformation. Besand: "Mit dem Finger nur auf die Jungen zu zeigen und zu sagen, die können überhaupt nicht kritisch einschätzen, was sie da wählen, das scheinen mir die Wahlergebnisse nicht herzugeben." Sicherlich müsse man in den Schulen aber Werkzeuge an die Hand geben, damit sich Kinder und Jugendliche in den "medialen Umwelten" orientieren können.

Medienexperte: Informationskompetenz vermitteln

Letzteres ist die Mission von Stephan Gert. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Institut für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) in Leipzig. Am EIJK startete vor einigen Jahren das Projekt "Fit for news", das mit Materialien für Schüler- und Lehrerschaft den Umgang mit Medien und Plattformen verbessern möchte. Statt von Medienkompetenz spricht Gert lieber von Informationskompetenz: "Ein allgemeiner kritischer Blick auf Informationen, der kann in allen Situationen und auf allen Plattformen in gewissen Maß schützen, etwa vor extremistischen Tendenzen oder Akteuren."

Mit Künstlicher Intelligenz und den Chatbots haben wir die nächste Eskalationsstufe.

Stephan GertProjekt "Fit for news"

Der Status Quo ist bei vielen Schülerinnen und Schülern in dieser Hinsicht bedenklich, wie Gert berichtet. Sie hätten schon bislang oft das erste Ergebnis einer Internetsuche unkritisch als richtige Antwort akzeptiert. "Mit Künstlicher Intelligenz und den Chatbots haben wir die nächste Eskalationsstufe", sagt Gert. Es sei für viele nun noch verlockender, die ausformulierten Antworten von Chat GPT und Co. "einfach direkt als Wahrheit anzunehmen".

Insbesondere jungen Menschen müsse daher nach Meinung von Gert immer wieder vermittelt werden, dass sie sich unterschiedliche Quellen ansehen sollten, um ein vollständiges Bild der Welt zu erhalten. Der Experte sagt: "Von den sozialen Medien werden wir sie nicht wegbekommen, dementsprechend ist es vor allem wichtig, dass sie eben merken, wenn ihnen dort falsche Informationen begegnen und dass sie das einordnen können."

Wunsch nach mehr Engagement aller Parteien auf Social Media

Schülersprecherin Amy Kirchhoff stimmt damit überein. Von der Politik wünscht sie sich außerdem, dass alle Parteien Social Media als Kommunikationskanal ernst nehmen. Olaf Scholz zeige auf Tiktok zwar inzwischen seine Aktentasche. "Ob das wirklich das ist, was die jungen Menschen dann bei der Wahlentscheidung interessiert, stelle ich mal infrage", sagt Kirchhoff. "Ich glaube, da ist noch viel Spielraum und das müssen sich die Parteien jetzt auch bis zu den nächsten Wahlen auf alle Fälle zur Aufgabe machen, daran zu arbeiten."

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