Vor wenigen Tagen ist Tareq Alaows aus Syrien nach Deutschland gekommen, nicht zum ersten Mal in seinem Leben. Das nämlich war 2015, damals reiste er als Flüchtling ein, zum Teil zu Fuß, über den Balkan. Nun sei er ein paar Wochen in Damaskus gewesen, um sich dort an Projekten zum Wiederaufbau zu beteiligen, erzählt der 35-Jährige, der inzwischen auch einen deutschen Pass besitzt.

„Wir wollen ein ehemaliges Folterzentrum umbauen und dort eine Ausstellung über das Assad-Regime machen. Später soll dort ein Zentrum für die psychosoziale Unterstützung von Folteropfern entstehen“, berichtet Alaows. Er sei in der Nähe aufgewachsen und habe mitbekommen, wie Menschen dort gefoltert worden. „Wenn das Zentrum nun den Opfern zugutekommt, wird es meine Straße, meine Nachbarn heilen.“

Alaows war 2015 vor dem Assad-Regime geflohen, bekam Schutz in der Bundesrepublik. Einen Pass. Inzwischen arbeitet er hauptberuflich bei der NGO Pro Asyl. Nach dem Sturz des Regimes in Damaskus drängt es ihn wie viele Syrer in die alte Heimat. Sie wollen sehen, was aus den Verwandten geworden ist; einige wollen beim Wiederaufbau helfen. Um den richtigen Umgang mit solchen Rückreisenden ist in Deutschland eine Debatte entbrannt.

Es gibt eindeutige Fälle: Weil Alaows beide Staatsbürgerschaften besitzt, darf er pendeln. Bei mehr als 600.000 Syrern, die sich aus humanitären Gründen hierzulande aufhalten und keinen deutschen Pass besitzen, ist die Lage schwieriger. Ihr Aufenthalt in Deutschland ist an den Schutztitel gebunden. Besuche in der Heimat sind nicht vorgesehen. Die Ampel-Koalition hatte erst im Herbst das Recht verschärft.

Seitdem gilt: Wenn Flüchtlinge in ihr Herkunftsland reisen, gehen die Behörden davon aus, dass sie keinen Schutz mehr benötigen, es sei denn, sie können das Gegenteil belegen. Mehr als 2000 Prüfverfahren hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in den vergangenen fünf Monaten gegen Flüchtlinge eingeleitet, davon rund 700 wegen Reisen nach Syrien.

Die Prüfungen ruhen allerdings gerade. So richtig scheint die Politik nicht zu wissen, wie sie mit den Leuten letztlich umgehen soll. Ihnen den Entzug der Bleiberechte in Deutschland androhen? Oder ihnen doch die Reisen erlauben?

Es ist eine Fragestellung, die sich nach jedem Krieg stellt. Einerseits kann ein zu liberaler Umgang mit Flüchtlingen, die keines Schutzes mehr bedürfen, die Akzeptanz des Asylrechts noch weiter verringern. Andererseits: Womöglich bereiten die Menschen damit ihre dauerhafte Rückkehr in die Heimat vor.

Wie die Politik über Heimreisen von Syrern diskutiert

Die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich für eine halb-liberale Lösung ausgesprochen und „Erkundungsreisen“ ins Spiel gebracht. Die Idee: Syrer sollen einmalig für vier Wochen oder für zwei Mal zwei Wochen in die Heimat reisen können, ohne den Schutztitel in Deutschland zu verlieren. Zweck ist die Vorbereitung einer dauerhaften Rückkehr.

Das sei „pragmatisch“, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann. „Natürlich unterstützen wir die Syrerinnen und Syrer dabei, nach dem Bürgerkrieg freiwillig wieder in ihr Land zurückzukehren, wenn die Lage dies zulässt. Dazu muss es auch die Möglichkeit für die Menschen geben, sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.“ Zumal die Situation in Syrien nach wie vor sehr unübersichtlich sei. Es sei nur folgerichtig, „Syrern diese Reise unter bestimmten sehr strengen Voraussetzungen zu ermöglichen, ohne dass ihnen der direkte Verlust des Schutzstatus droht“.

Andere aber bezeichnen die Idee als eher hilflos – womöglich auch kontraproduktiv. „Wenn die Regelung so bleibt, wird sie niemandem zugutekommen“, ist Tareq Alaows überzeugt. „Die Menschen können kein Blanko-Papier unterschreiben, in dem sie die dauerhafte Rückkehr nach Syrien erklären, wenn sie gar nicht wissen, ob die Lage dort nicht in den nächsten Monaten wieder eskaliert.“ Vier Wochen seien „außerdem viel zu kurz, um die Basis für eine dauerhafte Rückkehr zu legen. Das würde nicht mal reichen, um eine zerstörte Wohnung neu aufzubauen.“

Politische Kritik kommt auch aus den Reihen der Union. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagt zu dem Vorhaben von Faeser nach möglichen Heimreisen nach Syrien: „Wenn wir diesbezüglich in Deutschland großzügig sind, andere EU-Mitgliedstaaten aber zurückhaltender, kann dies nicht zuletzt auch zu unerwünschten Effekten bei Migrationsbewegungen führen.“ Es sei wichtig, sich mit den europäischen Partnern abzustimmen. Zunächst gelte es, die Entwicklung der Situation in Syrien genau zu beobachten.

Im Moment ist die Lage in Syrien längst nicht für alle Gruppen sicher. Beim Umgang mit der religiösen Minderheit der Alawiten gebe es zum Beispiel weiterhin „erhebliche Bedenken“, heißt es im Bericht der EU-Asylagentur aus dem März. Von Tötungen und Inhaftierungen ist die Rede. Unklarheit besteht offenbar darüber, wie das neue, islamistisch geprägte Regime mit Frauenrechten und sexuellen Minderheiten umgehen wird.

Wer aktuell in die Heimat reist, ist also womöglich weiterhin Gefahren ausgesetzt. Darf man diesen Leuten überhaupt den Schutztitel in Deutschland entziehen?

„Das wird Behörden und Gerichte überfordern“

Skeptisch ist in dieser Hinsicht der Freiburger Jurist Philipp Wittmann, der schon oft als Sachverständiger für Asyl- und Migrationsrecht im Bundestag aufgetreten ist. Der Nachweis, dass Betroffenen während eines Kurzaufenthalts im Herkunftsstaat nichts passiert sei, lasse nicht notwendigerweise den Schluss zu, dass sie dort nachhaltig vor Gefährdung oder gar Verfolgung sicher seien. „Dies ist aber Voraussetzung für den Widerruf eines Schutzstatus nach geltendem Unions- und Völkerrecht“, sagt Wittmann. Viele Betroffene dürften also klagen, wenn ihnen das BAMF den Schutzstatus wegen einer Heimreise entzöge – und würden am Ende womöglich Recht bekommen.

Die nächste Regierung brauche ein Konzept zum Umgang mit syrischen Flüchtlingen, fordert der Konstanzer Asylrechtsexperte Daniel Thym. Dies betreffe nicht nur die Syrer, die nun Besuchsreisen unternehmen, sondern alle hier im Land anwesenden mit Schutzberechtigung. Denn auch bei jenen stehen Prüfungen in großem Stil an. „Im Moment gilt: Wenn sich die Lage im Herkunftsland stabilisiert, muss das BAMF den Schutzstatus überprüfen. Wenn die Voraussetzungen für den Schutz nicht mehr vorliegen, muss es den Status entziehen.“ Danach könne die Ausländerbehörde den Aufenthaltstitel entziehen. Gegen beides können die Leute klagen. „Das wird Behörden und Gerichte überfordern. Die aktuelle Regelung eignet sich nicht für große Fallzahlen.“

Thym schlägt vor, nicht alle Syrer zu überprüfen, sondern nur einen Teil. „Es braucht eine gesunde Portion Pragmatismus, weil Widerrufe im großen Stil nicht funktionieren werden. Stattdessen sollte man die Widerrufsprüfungen auf bestimmte Gruppen begrenzen – etwa Personen, die keinen Job in Deutschland haben.“ Dann müsse man schauen, wie man die Rückführungen und freiwilligen Rückreisen organisiert.

Zwischenzeitlich behelfen sich Betroffene und Behörden zum Teil mit kreativen Lösungen. Der Mitarbeiter einer Ausländerbehörde berichtet, dass man Syrern aktuell im Zweifel empfehle, nicht in die Heimat zu reisen. In einem Notfall habe die Behörde aber ausgeholfen: Eine Frau habe unbedingt nach Syrien reisen wollen, um ihre kranke Schwester zu sehen. Man habe ihren Einbürgerungsantrag vorzeitig bearbeitet, damit die Frau ohne Sorge nach Syrien reisen konnte.

Ricarda Breyton berichtet für WELT seit vielen Jahren über Migrationspolitik.

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