Europas unbekannter Satellitenchampion, der die Ukraine retten soll
Als Wolodymyr Selenskyj am 19. März zu einem Staatsbesuch nach Finnland reiste, verbreiteten ukrainische wie finnische Pressestellen kurz darauf entsprechende Bilder: der ukrainische Präsident, wie er in der Hauptstadt Helsinki eine Bunkeranlage für 6000 Personen besichtigte und natürlich, wie er mit seinem finnischen Amtskollegen Alexander Stubb zusammenkam. „Wir werden an eurer Seite stehen, solange es notwendig ist“, erklärte Stubb neben Selenskyj stehend.
Die finnische Regierung hatte zuvor bereits angekündigt, die Ukraine mit militärischer Hilfe im Wert von 660 Millionen Euro zu unterstützen. Finnland mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern gilt als einer der entschiedensten Unterstützer der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland.
Neben dem bekannten Programm allerdings kam es in Helsinki noch zu einer Begegnung, von der kaum jemand Notiz nahm: Selenskyj traf am Rande seines Staatsbesuchs einen polnischen Geschäftsmann, Rafal Modrzewski. Lediglich ein Foto lässt sich online von Selenskyj und dem 35-jährigen Polen finden. Dabei dürften Modrzewski und das Produkt, das er der Ukraine zur Verfügung stellt, mindestens so wichtig sein wie das finnische 660-Millionen-Euro-Waffenpaket.
Denn Modrzewski ist der Gründer und Vorstandsvorsitzende von ICEYE. Das 2014 gegründete Unternehmen bietet der Ukraine und den Europäern etwas, das in Zeiten, in denen die USA unter Donald Trump als Sicherheitspartner enorm an Glaubwürdigkeit verlieren, von unschätzbarem Wert ist: nachrichtendienstliche Informationen.
Die USA hatten zumindest kurzfristig die Weitergabe eben solcher Informationen an die Ukraine unterbunden, und in Kiew und anderen europäischen Hauptstädten ist die Sorge groß, dass Elon Musk – vielleicht sogar aus einer Laune heraus – das Satellitennetzwerk Starlink und damit das Internet und die Kommunikation der ukrainischen Streitkräfte abschalten könnte.
Seitdem fragen sich viele Entscheidungsträger in Paris, Berlin und Warschau, ob und inwieweit die Europäer bestimmte technologische, militärische und nachrichtendienstliche Fähigkeiten der Amerikaner ersetzen könnten – für die Ukraine und auch für sich selbst. Dabei ist der europäischen Öffentlichkeit kaum bekannt, dass mit ICEYE das Satellitenunternehmen, das über die größte Konstellation von SAR-Satelliten verfügt, ausgerechnet in Finnland registriert ist.
SAR steht für „synthetic-aperture radar“, was ins Deutsche meist mit „Radar mit synthetischer Apertur“ übersetzt wird. Mithilfe von elektromagnetischen Wellen scannen die Radare die Erdoberfläche und fertigen so unabhängig vom Wetter oder davon, ob es Nacht ist, hochauflösende Bilder an. Es sind ideale Spionagesatelliten.
48 SAR-Satelliten betreibt ICEYE derzeit. Das bestätigt auf Nachfrage von WELT die Pressestelle des Unternehmens. Und es werden in hohem Tempo mehr. In den Orbit gebracht werden die Mikrosatelliten von Kalifornien und Florida aus – mit den Raketen von SpaceX von Elon Musk. Was Raketentechnologie angeht, scheint Musk uneinholbar vorn zu liegen. Bei SAR-Satelliten sieht es anders aus, wie Modrzewski und sein Mitgründer, der Finne Pekka Laurila, unter Beweis stellen.
ICEYE betreibt die Satelliten nicht nur, das Unternehmen fertigt sie auch. Kunden können einzelne Satelliten oder ganze Netzwerke bei dem polnisch-finnischen Unternehmen mit Standorten unter anderem im finnischen Espoo und in Warschau erwerben. ICEYE kann Informationen darüber liefern, wo sich in der Ukraine zum Beispiel russische Truppen befinden und wohin sie sich voraussichtlich bewegen werden.
Wer sich nach ICEYE erkundigt, bekommt schnell das Gerücht erzählt, dass schon in den ersten Kriegstagen im Februar 2022 Kyrylo Budanow, der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kontakt zu Modrzewski aufgenommen und um Hilfe gebeten habe. Dazu sagt Modrzewski WELT: „Ich kann nicht sagen, wer genau auf uns zugekommen ist und was genau von uns gefordert wurde. Aber ja, jemand hat Kontakt zu uns aufgenommen und wir haben uns bereit erklärt zu helfen und tun es bis heute.“
ICEYE stelle Informationen darüber bereit, wo sich Einheiten befinden und wo sie sich hinbewegen werden, egal, ob in der Nähe oder weit weg, bestätigt Modrzewski. „Wir stellen kritische nachrichtendienstliche Informationen zur Verfügung – wir tun es von Anfang an.“ Und dann schiebt er nach: „Wir haben bereits Aufnahmen mit unseren Satelliten angefertigt, bevor die Invasion begann.“
Darüber hinaus wurde im Rahmen einer privaten Initiative ein Satellit für die Ukraine angeschafft, und ICEYE arbeitet mit dem deutschen Rüstungsriesen Rheinmetall zusammen, um der Ukraine Aufklärungsmaterial zur Verfügung zu stellen. Finanziert wird das Programm von der Bundesregierung.
ICEYE wurde vor mehr als zehn Jahren gegründet, um geologische oder Wetterinformationen über die Arktis zu sammeln. Daher der Name: Die Buchstaben werden nicht einzeln gesprochen, sondern wie „ice“ und „eye“, zu Deutsch „Eisauge“. Geld verdienen wollten die Gründer, indem sie Privatunternehmen und Regierungen Informationen zur Verfügung stellen, mit denen Schiffe besser durch die Arktis manövrieren können.
Dabei war Modrzewski bewusst, dass er ein sogenanntes Dual-Use-Produkt anbietet, also etwas, das zivil wie militärisch genutzt werden kann. Dass er jedoch einmal für Militärs und Geheimdienstler ein derart gefragter Mann werden würde, hat er nach eigener Aussage nicht erwartet.
„Wir sehen in der Ukraine, dass es das wichtigste Element einer Verteidigungskampagne ist, Informationen über den Feind zu beschaffen. Deswegen haben bestimmte Signale und letztlich Entscheidungen der USA einen so großen Schock bei Verbündeten ausgelöst“, sagt er heute und erklärt dann selbstbewusst: „Wir sind fähig, Europa dieses Element, die Informationsbeschaffung, zur Verfügung zu stellen – und zwar ‚at scale‘, in großem Umfang, in einer Qualität und Geschwindigkeit, die bislang nicht möglich waren.“
Raumfahrttechnologien auf dem Vormarsch
Dass heutzutage etwas möglich ist, was es vor fünf Jahren noch nicht war, liegt an einer Reihe von Innovationen, die unter dem Slogan „New Space“ vor allem mit jungen, privaten Unternehmen verbunden werden. Die Raumfahrt hat im Grunde über mehrere Jahrzehnte kaum Innovationen hervorgebracht, aktuell aber erlebt sie einen Innovationsschub, der auch mit deutlichen Kostensenkungen verbunden ist.
SAR-Aufklärung ist auch ein Thema für die Bundeswehr. Schon 2013 wurde ein Bremer Unternehmen mit der Entwicklung des Projekts SARah beauftragt: drei Satelliten und zwei Bodenstationen sollten angeschafft werden. Zwei der Satelliten jedoch sind defekt und für die Bundeswehr nicht einsatzfähig. Das Projekt soll bereits mehr als eine Milliarde Euro verschlungen haben. Zum Vergleich: ein Mikrosatellit von ICEYE ist für 25 Millionen Euro zu haben.
Entsprechend groß ist das Interesse an Modrzewski. Über Details hüllt der Unternehmer sich in Schweigen. „Geheimdienste machen nicht publik, ob sie bei uns einkaufen. Aber ich kann bestätigen, dass Geheimdienste zu unseren Kunden zählen und unsere Satelliten gekauft haben. Ich kann bestätigen, dass es viele Geheimdienste sind, aus mehr als elf Ländern“, so Modrzewski.
Er sagt, er habe Anfang des Jahres mit einem Geheimdienst eines europäischen Landes einen Vertrag unterschrieben. „Deren erster Satellit wird schon in vier Monaten hochgeschossen. So schnell sind wir. So was hat mal Jahre gedauert.“
Philipp Fritz ist seit 2018 freier Auslandskorrespondent für WELT und WELT AM SONNTAG. Er berichtet vor allem aus Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei sowie aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit rechtsstaatlichen und sicherheitspolitischen Fragen, aber auch mit dem schwierigen deutsch-polnischen Verhältnis.
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