Plötzlich wirkt das Wirtschaftsministerium wie ein Restposten, von dem ambitionierte Politiker lieber die Finger lassen. Wieso? Der stern hat frühere Ressortchefs gefragt.

Robert Habeck bestreitet seinen vermutlich letzten größeren öffentlichen Auftritt als Bundeswirtschaftsminister in alter Tradition: Er zieht eine Tafel mit einem Schaubild unter dem Tisch hervor. Darauf ist das Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft zu sehen – und eine blaue Kurve, die seit 2013 kontinuierlich nach unten zeigt.

"Man muss diese Kurve umdrehen", sagt Habeck am Donnerstagvormittag in Berlin. Man sehe an dem Schaubild aber auch, "wie schwer das ist, denn es ist bisher niemandem gelungen." Auch ihm nicht.

Es ist ein Eingeständnis, aber auch die wenig subtile Botschaft des scheidenden Wirtschaftsministers: Bei meiner Nachfolge wird garantiert keine Langeweile aufkommen.

Doch ausgerechnet das Haus, das nun eine besondere Relevanz zukommen sollte, erlebt im politischen Berlin einen Bedeutungsverlust. Das Wirtschaftsministerium wird plötzlich als Nischenressort wahrgenommen, als Restposten ohne Gestaltungsmacht. 

Carsten Linnemann, der lange für das Amt gehandelt wurde, hat sich vorsorglich selbst aus dem Spiel genommen, er wolle lieber CDU-Generalsekretär bleiben. Angeblich soll Linnemann ermattet über den abermals neuen und klein gestutzten Kompetenzbereich des Ressorts gewesen sein. Auch sonst drängt sich niemand für den Posten auf. Nun soll es offenbar eine Top-Managerin richten, die sich vor zehn Jahren aus der Spitzenpolitik zurückgezogen hat: Katherina Reiche.

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Das Wirtschaftsministerium – ein Haus, das niemand haben will: Dieser Eindruck entsteht. 

Wer übernimmt das Wirtschaftsministerium?

Sigmar Gabriel, einst Wirtschaftsminister unter Angela Merkel, formuliert es im stern mit einem Zitat des früheren FDP-Wirtschaftsministers Günter Rexrodt: "Wenn ein Minister der Überzeugung ist, ‚Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht‘, dann muss sich niemand darüber wundern, dass das Ministerium am Spielfeldrand der Regierungspolitik steht." 

Man könne sehr viel aus dem Haus machen, sagt ein früheres Kabinettsmitglied einer Großen Koalition dem stern, aber auch: "Ohne eine mutige Ministerin oder einen mutigen Minister, der die wirtschaftlichen Akteure motiviert, wird die Trendumkehr nicht gelingen."

Aktuell wird Katherina Reiche als Top-Favoritin für das Wirtschaftsministerium gehandelt. Sie ist die Geschäftsführerin von Westenergie. Aus Sicht vieler in der CDU-Führung wird der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands in den kommenden Jahren entscheidend von einer pragmatischeren Energiepolitik abhängen – und damit kenne sich Reiche nun mal bestens aus, heißt es. 

Sigmar Gabriel, SPD-Wirtschaftsminister von 2013 bis 2017: "Wenn ein Minister der Überzeugung ist, ‚Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht‘, dann muss sich niemand darüber wundern, dass das Ministerium am Spielfeldrand der Regierungspolitik steht." © Britta Pedersen / DPA

Aber will Reiche den Job? Und wäre ihre Berufung tatsächlich ein kräftiges Signal an eine verunsicherte Wirtschaft? 

Die im brandenburgischen Luckenwalde geborene Reiche erfüllt zwar gleich mehrere Proporzkriterien für Merz’ Kabinett: Sie ist Ostdeutsche und Frau. Außerdem gilt sie als durchsetzungsstark und ehrgeizig, aber nicht überall als beliebt. Sie passe jedoch in Merz‘ Profil, heißt es bei Christdemokraten: Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag (1998 bis 2015) habe sie auch in der Wirtschaft an führender Stelle ihr Können gezeigt. 

Allerdings ist Reiche ist kein Schwergewicht, das dem Ministerium auf Anhieb mehr Autorität verleihen würde. Im Bundestagswahlkampf wurde das Ressort mit hohen Erwartungen aufgeladen. Fast-Kanzler Friedrich Merz mahnte eine "Wirtschaftswende" an, während er dem bisherigen Hausherren Robert Habeck praktisch jegliche Kompetenz absprach. 

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"Ludwig Erhard hätte sich im Grabe umgedreht, wenn er das noch mitbekommen hätte", spottete Merz einmal über die monatelange Wärmepumpen-Debatte, die Habeck zu verantworten habe. Der frühere CDU-Wirtschaftsminister Erhard gilt vielen als einer der Architekten des deutschen Wirtschaftswunders. Das schafft Fallhöhe. 

"Nicht die formelle Zuständigkeit ist entscheidend"

Nun steht die Wirtschaftspolitik im schwarz-roten Koalitionsvertrag ganz oben. Die Lage: ernst. Nach zwei Rezessionsjahren wird nun sogar ein Nullwachstum für das laufende Jahr erwartet, weil US-Präsident Donald Trump den zunächst prognostizierten Mini-Aufschwung von kümmerlichen 0,3 Prozent mit seiner Zollpolitik kurzerhand abgewürgt hat. Deutsche Schlüsselindustrien wie die Autobranche stehen massiv unter Druck, dem Exportweltmeister haben erst die Corona-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg schwer zugesetzt. 

Ex-Ressortchef Gabriel wähnt Deutschland unter "völlig veränderten globalen Wettbewerbsbedingungen" und vor der Frage, wie es als Industrienation leistungsfähig und wettbewerbsfähig bleiben könne. Eine große Herausforderung – aber auch Chance. Der frühere SPD-Vorsitzende ist überzeugt: "Wer sich dieser Aufgabe stellt, bringt das Wirtschaftsministerium vom Rand in die Mitte des politischen Spielfeldes und hat ein hochengagiertes Team hinter sich."

Rainer Brüderle, FDP-Wirtschaftsminister von 2009 bis 2011: "Nicht die formelle Zuständigkeit ist entscheidend" © Andreas Gebert / DPA

Dabei kommt es jedoch auch auf die Kompetenzen des künftigen Wirtschaftsministeriums an, das schon viele Metamorphosen erlebt hat. Zu den ersten Amtshandlungen eines Kanzlers Merz wird es gehören, die Zuschnitte der Ressorts per sogenanntem Organisationserlass zu regeln. Dabei werden ganze Abteilungen zwischen den (teils auch neuen) Ministerien hin und her geschoben, auf die sich Union und SPD verständigt haben. Auch das Wirtschaftsministerium wird sich verändern – wieder einmal. 

Mehrmals wurde das "Bundesministerium für Wirtschaft" neu sortiert, mal um Technologie erweitert (1998 - 2002), wieder beraubt und durch Arbeit ergänzt (2002 - 2005), von der Ampel-Regierung zum Wirtschafts- und Klimaschutzministerium umgebaut (seit 2021). Die schwarz-rote Koalition bleibt sich nun insofern treu, dass wieder ein Ressort für "Wirtschaft und Energie" geschaffen werden soll, wie schon Gabriel und sein Amtsnachfolger Peter Altmaier von der CDU es in Großen Koalitionen geführt haben. 

Das Hin-und-Her sorgt zwangsläufig für Reibungsverluste, im Zweifel auch für einen Machtverlust. Auch diesmal? "Nicht die formelle Zuständigkeit ist entscheidend", sagt der frühere FDP-Wirtschaftsminister Reiner Brüderle dem stern, "sondern, dass man als Person ordnungspolitisches Gewissen ist und neue Ideen, Konzepte einbringt." Dazu müsse man "brennen", sagt Brüderle, und nicht formell zuständig sein.

Ein Superministerium, das nicht super sein muss 

In anderen Worten: Der Minister oder die Ministerin macht das Ministerium, verschafft dem Haus Geltung und Einfluss. Gabriel war Wirtschaftsminister, Vizekanzler und SPD-Parteichef, Habeck Vizekanzler – das wertet den Kabinettsposten auf, der vielleicht mehr als andere auf die Unterstützung der Ressortkollegen (wie Finanzen) angewiesen ist. 

Es habe kluge und weniger kluge Zuschnitte des Wirtschaftsministeriums gegeben, sagt Ex-Ressortchef Gabriel. Doch: "Das Arbeits- und Sozialministerium mit dem Wirtschaftsministerium zu verbinden, hat damals zur Marginalisierung des Wirtschaftsministeriums geführt." 

Was nach einem Superministerium klingt – und auch CDU-Generalsekretär Linnemann vorgeschwebt haben soll – versammelt im Zweifel zu viele Aufgabenbereiche unter einem Dach. Macht ein Ressort träge, weniger schlagkräftig. Gabriel formuliert es so: Der jeweilige Minister verbringe mehr Zeit mit der Integration zweier großer Ministerien, dass er zum Entwurf und Durchsetzung nicht mehr komme.  

So hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck zwar viele Kompetenzen in seinem Haus vereint, war zudem Vizekanzler im Ampel-Kabinett, aber entsprechend ausgelastet durch enorm viele Zuständigkeiten, Koordinationsaufgaben und Termine. Hätte sich der Ärger um das sogenannte Heizungsgesetz oder den Compliance-Verdacht um (Ex-)Staatssekretär Patrick Graichen durch weniger Zuständigkeiten und mehr Zeit für andere Dinge verhindern lassen können? Wer weiß. 

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Die Rückkehr zum Ministerium für "Wirtschaft und Energie" könnte jedenfalls wieder an Gewicht gewinnen, glaubt Gabriel. Rückblickend sagt er, dass die Kombination sinnvoll gewesen sei, hätten Sicherheit, Stabilität und Preisniveau unmittelbaren Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung. Zumal auch die erneuerbaren Energien ins Einflussgebiet des Wirtschaftsministeriums gehören. Diese Zusammenlegung habe dem Wirtschaftsministerium zusätzliche Bedeutung in der Regierung gegeben, sagt Gabriel. 

Es brauche jetzt ein Signal des Aufbruchs an die Wirtschaft, sagt ein früheres Groko-Kabinettsmitglied, die vom neuen Ressortchef "mehr als freundliche Worte und Schulterklopfen" erwarten würde. "Grundsätzlich wird ein Wirtschaftsminister dafür verantwortlich gemacht, dass die Belastungen für Unternehmen zurückgehen oder nicht weiter steigen – das ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance."

Friedrich Merz, der sich am 6. Mai zum Bundeskanzler wählen lassen will, dürfte um die vielen Herausforderungen wissen – aber auch um die Chancen des Postens. Als er Armin Laschet im Rennen um den CDU-Vorsitz 2021 unterlag, unterbreitete Merz seinem damaligen Kontrahenten (und Kanzlerin Merkel) ein verwegenes Angebot: "Dem neuen Parteivorsitzenden habe ich angeboten, in die jetzige Bundesregierung einzutreten und das Bundeswirtschaftsministerium zu übernehmen."  

So viel Begeisterung für das Wirtschaftsressort scheint in der Union gerade niemand aufzubringen, auch Noch-Amtsinhaber Habeck wird bei seinem Auftritt in Berlin gefragt: Warum will niemand dieses Haus haben? 

"Auf der allgemeinsten Ebene scheint es mir so zu sein", setzt Habeck an, "dass die vielen Reden der letzten Jahre auf einmal auf Wirklichkeit treffen, und die Union, wie soll ich sagen, dass sie sehr viel geredet hat."

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