Kein Ball rollt mehr über den grünen Rasen, die Spielfelder sind verwaist. Die früher so lauten Reggae-Klänge sind ebenso verstummt wie Kindergeschrei und Hundegebell. Es ist ruhig geworden im „Casa del Migrante“ in Ciudad Juarez. Von hier aus ist es nur noch ein Steinwurf zur US-Grenze, die texanische Grenzstadt El Paso liegt auf der anderen Seite der Stahlmauer.

Die von der Kirche und anderen Hilfswerken betreute Herberge war in den letzten Jahren für tausende Migranten die letzte Station vor dem heiß ersehnten Termin bei der Asylbehörde in den USA. Jetzt herrscht Stille. „Im Moment sind 48 Menschen im Haus, bei einer Kapazität von 560 Personen“, sagt Ivonne Lopez de Lara im Gespräch mit WELT.

Nicht einmal zehn Prozent der Plätze für Migranten sind belegt. „Und die meisten von denen, die noch da sind, planen keinen Grenzübertritt in die USA mehr, sondern wollen zurück nach Hause“, sagt Lopez, bei der als Koordinatorin des Hauses alle Stränge zusammenlaufen.

Damit bestätigt sich in Ciudad Juarez, was sich zwischen Panama und Mexiko überall andeutet: Eine Zäsur in der Migrationsbewegung in Richtung USA. Sie ist zumindest stark abgebremst, wenn nicht sogar gestoppt – und teils sogar in die gegenteilige Richtung gekippt.

Die knallharte Migrations-Rhetorik der Trump-Regierung, die Bilder von abgeschobenen Migranten aus Venezuela, die im Hochsicherheitsgefängnis in El Salvador auf wenigen Quadratmetern wie Schwerverbrecher zusammengepfercht werden. Dazu anhaltende Abschiebeflüge auch in Länder, mit denen die USA eigentlich eine ideologische Feindschaft verbindet wie Venezuela oder Kuba. Und schließlich die komplette Absage der Termine für eine Asylverhandlung durch die USA. Aus dem amerikanischen Traum ist ein Alptraum geworden. Das alles verfehlt seine Wirkung nicht.

Eine Entwicklung, die auch Mayra Alejandra Corona vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Ciudad Juarez bestätigt: „Wir beobachten seit etwa drei Wochen, dass sich die Menschen angesichts der Ungewissheit, was mit ihren Asylanträgen passiert, damit befassen, wieder in ihrer Heimat zurückzugehen. Sie haben Angst, sonst alles zu verlieren“.

Die Migranten erwägen nun alternative Möglichkeiten. Eine Rückkehr in die Heimat, sofern das überhaupt möglich sei, oder ein Umzug in Regionen, „die menschlicher und aufnahmebereiter sind“, sagt Corona. „Für uns bedeutet es, dass wir den Menschen, die zunächst von Süden nach Norden zogen, nun auch auf ihrem Weg zurück helfen.“

Auf einer Bank in der Innenstadt von Ciudad Juarez sitzt Felipe mit seiner Familie. Er hatte bereits einen Termin bei der Asylbehörde, doch dann wurde die App abgeschaltet. Nun wissen sie nicht, was aus ihnen werden soll. „Wir haben alles verkauft“, sagt Felipe, der seinen vollständigen Namen nicht nennen will und erst zögerlich erzählt: „Nach Venezuela zurück? Nein, da gibt es nur Not und Elend“.

Nun erwägt er, mit seiner Familie ins Landesinnere nach Mexiko zu gehen. Es gibt Unterstützungsprogramme der mexikanischen Regierung, die dabei helfen. Guatemala meldet in dieser Woche: Die Hälfte der Rückkehrer sei zuvor im Baugewerbe in den USA aktiv gewesen. Nun werden sie im Land dringend gebracht: Die Branche hatte sich über Arbeitermangel beklagt, weil es zu viele Arbeiter auf die besser bezahlten Baustellen in den USA gezogen hatte. Wer dort jetzt weiterbaut, bleibt abzuwarten.

Die Rückkehrbewegung ist aber nicht nur ein Ergebnis der harten Hand von Donald Trump. In Panama riegelte die Regierung den Dschungel zu Kolumbien im Süden ab. Dort, wo 2023 noch über 500.000 Menschen – überwiegend aus Venezuela – den lebensgefährlichen und tagelangen Weg durch die Wildnis des Darien wagten, kamen zu Jahresbeginn im Schnitt nur noch 73 Migranten am Tag an. Damit ist eine der weltweit größten Migrationsrouten praktisch trockengelegt.

Den Migranten geht es auch um ihren Stolz

Vor drei Wochen berichtete Panamas Präsident Jose Raul Mulino sogar von einer umgekehrten Migrationsbewegung: Mehr als 2000 Menschen seien in den letzten Tagen nach Panama gekommen, diesmal allerdings nicht von Süden aus Kolumbien in Richtung USA, sondern in umgekehrter Richtung aus Costa Rica: „Die meisten stammen aus Venezuela“, sagt Mulino. Und wollen zurück in ihre Heimat.

Und dann ist da noch ein anderes Phänomen, dass die Diözese in der gegenüberliegenden texanischen Grenzstadt El Paso „Auto-Deportation“ nennt. „In den letzten Tagen habe ich selbst Freunde verloren, die sich für eine Selbstabschiebung in ihr Heimatland entschieden haben, wo sie mit enormen Herausforderungen konfrontiert sind“, heißt es in einem Brandbrief des Bischofs von El Paso, Mark Seitz, der WELT vorliegt.

Dass sich immer mehr Migranten in den USA für eine Selbstabschiebung entscheiden, um sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen, können auch die Expertinnen in Ciudad Juarez bestätigen. Angesichts der sich ständig ändernden Regelungen, dem Entzug eines zuvor gewährten Schutzstatus, der plötzlich nicht mehr gelte, würden die Menschen einer Abschiebung durch die USA zuvorkommen.

Denn die würde bedeuten, dass es künftig ein Einreiseverbot für sie gebe. Viele wüssten inzwischen gar nicht mehr, ob sie sich noch legal oder wieder illegal im Land aufhalten. Und es geht auch um den eigenen Stolz: Die bisweilen demütigende Behandlung der Behörden wollen sie sich ersparen, dann doch lieber selbstbestimmt gehen.

„Es gibt spürbare Veränderungen, aber es wird definitiv kein Ende der Migration geben“, sagt Ivonne Lopez. „Ich arbeite jetzt seit elf Jahren hier und habe verschiedene Phasen miterlebt, darunter auch die der bis heute unerreichten Rekordmassenabschiebungen unter Präsident Barack Obama. Es wird immer Migrationsbewegungen geben, solange die Ursachen in den Heimatländern nicht beseitigt sind.“

Gerade erst habe sie in den Nachrichten erfahren, dass die Armee der mexikanischen Nationalgarde einen Lastwagen abgefangen habe, der mit zig Migranten an der Nordgrenze angekommen sei. „Wir sehen also das, was in der Vergangenheit geschehen ist, nämlich die Wiederholung eines Teufelskreises: Je stärker die Mobilität eingeschränkt wird, desto mehr irreguläre Migrationsphänomene treten durch Menschenhandel auf.“

Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.

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